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Volksoper im böhmischen Stil

Es ist immer wieder erschreckend, wie weit die Untaten der deutschen Kulturbarbaren im zwölfjährigen „Reich“ bis in unsere Gegenwart hinein wirken. Im verbrecherischen Rassenwahn wurde damals eine ganze Kulturelite entweder ausgelöscht oder aber ins Exil getrieben – und allzu viele Namen gerieten so in Vergessenheit bis heute.

Dieses Schicksal hat auch den 1896 in Prag geborenen Komponisten Jaromír Weinberger ereilt. Zwar ging der einst am Leipziger Konservatorium von Max Reger unterwiesene jüdischstämmige Musiker rechtzeitig in die Emigration, doch blieb er dort trotz US-amerikanischer Staatsbürgerschaft ein Fremder und fasste in Europa nie wieder Fuß. 1967 nahm er sich in Florida das Leben.

In seiner 1927 uraufgeführten Oper „Švanda dudák“ („Schwanda, der Dudelsackpfeifer“) geht es zwar ebenfalls um Tod und Leben, doch das Stück ist ein Mix aus Fabel, Märchen und Volksstück. Da tut also nichts wirklich weh.

Leider trifft das so ähnlich auch auf die aktuelle Inszenierung zu. Der namhafte Altus Axel Köhler, im Zweitberuf Regisseur und seit der laufenden Spielzeit zudem Opernintendant in Halle, hatte die Aufgabe, „Schwanda“ wieder wachzuküssen. Sein Ansatz dazu scheint klug gewählt, denn er vertraut der musikalisch so üppigen und inhaltlich so zauberhaften Vorlage. Das Märchen bleibt Märchen, da muss also nicht alles aufgehen, und die Chiffren dieses Fabelstoffes belässt er als Chiffren im Fabelstoff. Jeder Versuch, sie aktualisierend auszudeuten, wäre vermutlich zum Scheitern verurteilt. Wieso hinterlässt die nahezu einhellig bejubelte Premiere – ein oder zwei scharfe Buh-Rufe wurden da rasch im zustimmenden Getrampel erstickt – dennoch einen so zwiespältigen Eindruck?

Die Regie lebt hauptsächlich von schönen Bildern, was zuvörderst ein Verdienst von Henrike Bromber (Kostüme) und Arne Walter (Bühne) ist. Die Ausstatter geben das Thema vor: Ein enges Häuschen, in dem Schwanda mit seiner frisch angetrauten Frau Dorotka glücklich ist. Seinen Dudelsack-Künsten sei Dank. Als sich Schwanda mit dem liebenswerten Erzganoven Babinský auf Abenteuerreise begibt, um auch die Königin des Eispalastes mit seinem Spiel zu erfreuen, ist deren Schloss ein gewachsenes Glashaus. Kaum wird er von seiner eifersüchtigen Ehefrau des Betrugs überführt, fährt er zum Teufel – und dessen Hölle ist ein gigantisches Arrangement aus Fritz Langs „Metropolis“ und Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“. Die Seelenopfer werden in monströsen Zahnrädern zermalmt – und ringsum grüßt das Glas des Gewächshauses.

Nachdem Babinský seinem Freund abermals zur Seite springt und ihn im trickreichen Kartenspiel gegen den Höllenhund zu retten versteht, schlüpft der sichtlich gealterte Schwanda erneut in die Enge seines Häuschens, um mit der treuen Dorotka den Lebensabend zu genießen. Philemon und Baucis in Böhmens Hain und Flur. Und Babinský sehnt sich nach neuen Abenteuern.

Musikalisch ist diese faustische Volksoper ein großer Griff ins slawische Repertoire. Der tschechisch-jüdische Komponist hat seine Klangwelt dem fetten Schmelztiegel böhmischen Volksschaffens entnommen, angerührt mit Smetana und Dvorák, um das klug arrangierte Traditionsbewusstsein geschickt mit Modernismen à la Janáček zu garnieren. Das Ergebnis ist dennoch eigenständig genug, um mit spielerischem Anspruch zu gefallen.
Begeistert hätte die Umsetzung freilich erst, wenn sich die Musik auf der Bühne und die im Graben koordinierter dem Wink des Dirigenten Constantin Trinks gefügt hätte. Dabei tönt die Staatskapelle fulminant und fühlt sich in diesem Repertoire hörbar wohl. Der von Christof Bauer einstudierte Chor klingt, als wäre die slawische Oper sein Kernbereich. Seine statuarische Verhaltenheit hingegen wirkt spaßtötend, grenzt unfreiwillig an Rampentheater.

Die Solistenriege ist mit Christoph Pohl in der Titelpartie und Ladislav Elgr als Räuber Babinský und Michael Eder als Teufel hervorragend besetzt. Als des Teufels Großmutter gelingt Timothy Oliver eine kleine Paraderolle, die beim Publikum zielgerecht ankommt. Die liebende Dorotka wird in liebenswürdiger Naivität von Marjorie Owens gegeben, deren Gesang wohltuend rein ausstrahlt und nicht nur ihrem untreuen Gespons ins Herz geht. Wieso der aber bei seinem Ausflug in die Eiseskälte ausgerechnet der voluminösen Königin des Frostes verfallen soll, bleibt ein Geheimnis von Regie und Betriebsbüro. Tichina Vaughn singt ihren Part kraftvoll, doch mit wenig Brillanz.

Unterm Strich bleibt „Schwanda“ also eine Ausgrabung, die weiteres Entdecken durchaus lohnt.

Termine: 27., 30.3., 7., 14., 29.4., 2., 17.5.2012

www.semperoper.de

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