Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Oder ist es ein Zauberer? Ketzal heißt der, stammt aus Mexiko, ist eigentlich eine Federgottheit und wurde vom Petersburg-Dresdener Tanztheater Derevo bereits vor rund acht Jahren betanzt. Am Freitag ist sein Nachfolger herausgekommen, „Ketzal II. Noah's Ark“ heißt der und führt in alle Zeiten des Vorher von einst. Wer da eine Nacherzählung der Archen-Legende vom Tierschützer-Käptn Noah erwartet hatte, lag schon mal gründlich daneben. Mit solcherlei Unterforderung ist den Tänzerinnen und Tänzern um Anton Adassinsky nicht beizukommen.
Zwar wandern zu Beginn des düsteren Stückes eine Unmenge Kreaturen diagonal über die Bühne, bis sich der Eindruck vermittelt, nun könnte eine jegliche Spezies an Bord sein. Zwar schließt sich auch irgendwann später der durch und durch theatralische Kreis, als all diese Figuren reichlich verwandelt wiederum im Raum zurück defilieren. Aber dazwischen wird das Vorher betrachtet, das ewige Vorher, wie es immerzu schon gewesen sein könnte. Am von Tristesse umlagerten Schiffswrack finden sich Assoziationen ein, morbide Tanzszenen nie dagewesener Wesenheiten.
Abstrakta aus Dingwelt und Vorstellungsvermögen in einer ungemein starken Bildkraft paaren sich mit den so wunder- wie wandelbaren Darstellungskünsten von lediglich sechs Derevo-Mimen, die mit ihrem kreativen Vokabular ganze Daseinsgeschichten umschreiben. Welch zauberhafte Wesen der einzelne Mensch darstellen kann – hier wird dieses inspirative Kunststück einmal mehr Realität.
Nur mit Licht (Igor Fomin) und Klangraum (Daniel Williams) gelingen großartige Wandlungen der Szenerie und ihrer Stimmungsbögen, tatsächlich stellt sich der Eindruck einer Arche ein, gestrandet in totaler Ödnis. Davor ragt ein Knochenwerk aus dem Boden, mit dem Vergänglichkeit schier zum Himmel schreit. Ein dreifaches Echo rückt jeden Laut, sei es Schrei, sei es Wort, sei es Händeklatschen oder heftiges Auftreten, in die Dimension von Ewigkeit. Selten hat Derevo in früheren Produktionen so viel Witz bewiesen. Selbst aus eher dunklen Episoden schwingt eine humorige Pointe herüber, dürfen die Darstellerinnen und Darsteller ihrer Spielfreude Ausdruck verleihen, werden archaische Episoden mit clowneskem Theater verknüpft.
Ja, manche Extreme des körperlichen Einsatzes schmerzen beim Hinschauen. Andere Gesten sind so gelungen, dass es eine einzige Freude ist. Die Balance von hier nach da – nicht immer wirkt sie völlig ausgewogen – löst Befremden aus und schafft Distanz. Dadurch gerät „Ketzal II. Noah's Ark“ zu einem philosophisch-anarchischen Machwerk, das die Chance der Konzentration auf ganz und gar Wesentliches zulässt.
„Ketzal II. Noah's Ark“ – Sonntag, 8. April 2012, 20 Uhr im Festspielhaus Hellerau