Sie hat geraucht, sie trank Bier, konnte gut Witze zum Besten geben und ist doch in der Erinnerung als tragische Persönlichkeit geblieben. Kathleen Ferrier wurde gestern vor 100 Jahren geboren, sie wurde nur 41 Jahre alt, denn am 8. Oktober 1953 starb sie an Krebs. Ihre Gesangskarriere währte nur ganze sieben Jahre.
Legendär sind ihre Interpretationen der Werke von Gustav Mahler, Lieder, der Zyklus „Kindertotenlieder“ und besonders ihre Einspielung „Das Lied von der Erde“ mit dem Tenor Julius Patzak, den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Bruno Walter. Allein schon die besondere Art ihrer Interpretationen solcher Werke – „Vier ernste Gesänge“ von Johannes Brahms gehören dazu, Lieder von Schubert oder immer wieder Folk-Songs – mögen dazu beigetragen haben, dass sich der Mythos Kathlen Ferrier als die „Stimme des Leids“ bildete. Und es ist ja auch so: diese Stimme vergisst man nicht. Die satte Tiefe, die lichte, dennoch immer auch leicht dunkel grundierte Höhe, und alles in einem so harmonischen, organischen Strom; denn die Ferrier verfügte über eine exzellente Gesangstechnik. Anlässlich ihres 50. Todestages, im Jahre 2003 zitierte Christine Lemke-Matway in der der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ den einzigen Lehrer der Ausnahmesängerin, den Bariton Roy Hendersen, der angesichts der gesangstechnischen Besonderheiten bei Kathleen Ferrier von den „fantastischen Kopf-Hohlräumen“ schwärmte, von der „idealen Knochenstruktur“ von einer Stimme, die ausströmte, „weil es nichts gab, was sie hätte hindern oder aufhalten können.“
Ich bin mit dieser Mahler-Stimme groß geworden. VEB Eterna hatte noch so ein Zwischenformat: keine kleine 45er Scheibe, nein, noch so ein Format einer kleinen Langspielplatte, 33 Umdrehungen. Auf einer solchen Platte gab es Mahlers „Kindertotenlieder“ mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Bruno Walter. Eine Aufnahme von 1949, da war ich auch erst zwei Jahre alt, aber eben diese „Lizenzausgabe“ gehörte zu meinen ersten Schallplatten, erstanden im damaligen Fachgeschäft auf der Berliner Friedrichsstraße, kurz bevor die Linienstraße rechts abgeht. Das muss wohl 1969 gewesen sein. Manche Platten brachte man sich aus Moskau mit, da gab es so eine Reihe in blau. Da die Sowjetunion wohl nicht so sehr auf internationale Urheberrechtsdinge achtete, gab es eben mit viel Rauschen im Hintergrund auch Aufnahmen mit Kathleen Ferrier.
So eine Platte kostete umgerechnet 1,50 Mark. Inzwischen sind zu den wenigen Studioaufnahmen Rundfunkmitschnitte gekommen und auf etlichen CDs, einzeln oder in Boxen zusammengefasst, unterschiedlich in der Qualität der Bearbeitungen, ist dieser besondere Gesang, von dem ich reinen Herzens sagen kann, dass er zu Herzen geht, dokumentiert.
So wie Bruno Walter der Dirigent für die Ferrier war, so war Gerald Moore der Begleiter für ihre Liedprogramme. Moore hat ein wunderbares Buch geschrieben; ironisch der Titel, „Bin ich zu laut?“ Wir erfahren viel über die von ihm begleiteten Künstler. Über Kathleen Ferrier schreibt er: „Kathleens Stimme war von natürlicher Schönheit und mußte nicht wie eine Treibhauspflanze gehegt und gepflegt werden; sie strömte aus ihr wie ein kristallklarer Fluß und besaß Frische und warmes Timbre. Man war gerührt von der herzbewegenden Menschlichkeit dieses Organs. Da war nichts von dem traditionellen pastosen Klang, der uns ja oft bei englischen Oratoriums-Altistinnen auffällt. John McCormack pflegte zu sagen, Caruso sei nicht ein Tenor, sondern ein Mann mit einer hohen Stimme; für mich war Kathleen Ferrier keine Altistin, sondern eine Frau mit einer tiefen Stimme. Damit will ich aber nicht andeuten, daß ihr Stimmumfang beschränkt gewesen sei. Ich höre sie wundervolle hohe A´s in Elgars »Traum des Gerontius« singen, doch wie bei Caruso lag unter den hohen Tönen eine Tiefe, die ihnen zusätzliche Fülle verlieh.“
Über Bruno Walters Äußerung nach dem frühen Tod der Sängerin, dass er wisse, sie würde es vorziehen, „wenn man sich in einer lichten Dur-Tonart an sie erinnerte“, habe ich lange nachgedacht. Dann fiel mir eine kuriose CD in die Hände, „Kathleen Ferrier, Songs My Father Tought Me“, erschienen bei Gala. Da plaudert die Sängerin fröhlich, gleich darauf folgt ein Lied, und darin klingt alle Trauer dieser Welt… Aber diese CD verewigt auch den Mitschnitt einer ausgelassenen Feier, nach einem Konzert, die Sängerin parliert am Klavier, pathetisch in der Nationalhymne Englands, sprudelnd und witzelnd in Improvisationen und immer wieder dieses Lachen, wunderbar, herzlich.
Gestern, zum 100. Geburtstag, habe ich da wieder hineingehört. Im Rundfunk wurden Mahlers „Kindertotenlieder“ gesendet, arte brachte eine Dokumentation. Eigentlich, daher auch heute in aller Kürze, bin ich ja im angenehmen Tanzwochenstress, nächstens wieder mehr. Apropos besondere Stimmen, kennen Sie die niederländische Sängerin Aafje Heynis? Nächstens mehr zu ihr. Jetzt muss ich zum Tanz.
Herzlich, bis Montag,
Boris Gruhl