Andreas Schüller, wie haben Sie und die Staatsoperette Dresden zusammengefunden?
Durch meine Arbeit an der Wiener Volksoper bin ich natürlich sehr ausführlich mit Operette und Spieloper in Kontakt gekommen – zwei Genres, die ich während meines Studiums nicht wirklich im Blick hatte. Das ist nicht ungewöhnlich: das Studium ist kurz, man konzentriert sich auf Wagner, Puccini, alte Musik oder auf Zeitgenössisches. In meinem Fall war die Operette "hinten runtergefallen". In Wien habe ich dann in kurzer Zeit viele Stücke einstudiert und nachdirigiert. Momentan mache ich dort meine dritte eigene Operetten-Premiere. Und dann ganz einfach: man hat mich gefragt.
Das Genre wird an vielen Stadttheatern eher stiefmütterlich behandelt. Was hält es für junge Dirigenten bereit?
Im Gegensatz zur so genannten ernsten Oper besitzt man die Freiheit, Dinge sehr umfassend zu gestalten. In der »Walküre« etwa ist der Werkgedanke dominant; es geht also in ersten Linie darum, Wagners Werk so gut wie möglich gerecht zu werden. In der Operette müssen Sie die Dinge immer wieder neu erfinden, sie an Dialektarten, Erfordernisse und Darsteller der jeweiligen Stadt anpassen. Diese Notwendigkeit ist vom Genre zwingend vorgegeben. Auch ein Dirigent kann sich da kreativ einbringen. Zudem habe ich in den letzten zehn Jahren feststellen können, dass Operettenvorstellungen in aller Regel gut besucht sind und, wenn sie künstlerisch ein gutes Niveau haben, den Beteiligten auch große Freude machen. Wenn sich ein kleines Theater einmal pro Spielzeit der leichten Muse widmet, um die Einnahmeverluste aus ambitionierten Uraufführungen zu kompensieren – welches Niveau wird die Inszenierung dann haben? Am Stadtthetaer wird die Operette oft nicht von allen ernst genommen. Tatsächlich krankt manche Aufführung daran. Und auch nicht allen Kollegen eines Stadttheaters ist es gegeben, sich der Operette stilecht und offen zu widmen. Das ist natürlich ein großer Vorteil des Leubener Ensembles: Hier in Dresden wissen sie wirklich, was sie tun, und haben die umfassende Erfahrung sich den Schwierigkeiten des Genres anzunehmen! Und es gibt so viele Operetten zu entdecken. Durch die geringe Premierenanzahl von Operetten Land auf, Land ab hat sich der Kanon an heute noch aufgeführten Werken doch mehr oder weniger auf zehn reduziert. An der Staatsoperette hat man da natürlich ganz andere Möglichkeiten.
Wie passt ein Haus wie das Leubener am besten in die Karriereplanung eines jungen Dirigenten?
Ach, das ist sehr spekulativ. Dresden wird zukünftig den größten Teil meiner Arbeit ausmachen, aber ich werde daneben andere Dinge am Leben erhalten, namentlich an der Wiener Volksoper. Wie sich meine Karriere in fünf Jahren entwickelt, kann ich jetzt nicht wissen. Bisher kam alles in meinem Berufsleben eher unerwartet und überraschend, zu keinem Zeitpunkt konnte man da von einer wirklichen Karriereplanung reden.
Muss das Ensemble nicht fürchten, dass Sie Ihr dreijähriges Engagement schlicht als Station einer klassischen Kapellmeisterkarriere nutzen, sich neues Repertoire erarbeiten, und anschließend an größere Häuser weiterwandern?
Ich habe ja doch schon einige Jahre Berufserfahrung. Wahrscheinlich werde ich das meiste, was ich hier mache, schon anderswo gemacht haben. Auf der andern Seite kann ich hier sehr ausgefallene Dinge verwirklichen: 2013/2014 kommt Kurt Weills "The Firebrand of Florence". Das ist eine ganz spannende Geschichte: Ein Broadway-Musical mit fast opernhaften Zügen. Unverständlicherweise wurde es noch nie szenisch in Europa gespielt.
Ich habe ja das Glück, an großen Häusern zu gastieren – Köln, Volksoper Wien, Komische Oper Berlin. Aber eigentlich wünsche ich mir eine Arbeitssituation, wo ich viel mehr musikalisch-gestalterisch Einfluss nehmen kann. Das ist als Gastdirigent für eine Wiederaufnahme oft nicht gegeben. Da geht es meist um von vornherein einkalkulierte Kompromisse; man muss, wegen der immer viel zu kurzen Probenzeit, mit bestmöglichem Handwerk unter Zeitdruck etwas zustande bekommen. Ich wünsche mir, dass ich einmal eine Zauberflöte von Anfang bis Ende vernünftig probieren kann! Dazu ist aber auch eine familiäre Atmosphäre nötig, wie ich sie in Dresden vorgefunden habe. Überlegen Sie mal: in den drei Jahren, in denen ich an der Leipziger Oper engagiert war, habe ich nicht einmal alle sieben Konzertmeister des Orchesters kennengelernt….
Seit einem halben Jahrhundert werkelt dieses familiäre Ensemble in einem ehemaligen Gasthof in der Vorstadt. Sie sind eigentlich ganz schön mutig, hierherzukommen…
Ich bin gerade dabei, mich in die Verhältnisse einzudenken. Der Stadtratsbeschluss von vor Ostern macht doch große Hoffnungen. Meine erste Amtszeit endet aber ohnedies vor dem geplanten Umzug. Ich könnte also sagen: das betrifft mich nicht mehr. Aber das ist natürlich Quatsch: die Option ist ja nicht nur für die Staatsoperette, sondern auch für die Stadt eine große Chance. Das Areal des Kraftwerks liegt so gut, die alten Gebäude sind so attraktiv, dass es jedem Städteplaner unter den Nägeln brennen müsste, das wieder mit Leben zu füllen! Denken Sie an Bochums Jahrhunderthalle, das Londoner Tate Modern… ein großartiges Museumsgebäude! Dazu die Nähe zur Musikhochschule… Ich freue mich also über den Beschluss, wenngleich ich seine Realisierung vielleicht nicht mehr als Chefdirigent erlebe.
Dann lassen Sie uns zuletzt über Inhalte sprechen. Wenn ich die Staatsoperette besuche, bin ich mit Abstand der jüngste im Publikum. Ist Operette nur etwas für den bequemen Lebensabend, müssen sich die Inszenierungen daran anpassen?
Das finde ich zynisch. Die Tatsache, dass es ein Publikum für die Operette gibt, stellt als solches einen Wert dar. Es ist vermessen zu sagen, wir erwarten, unbedingt Seh- und Hörgewohnheiten von älteren Zuschauern ändern zu müssen. Große Kulturstädte müssen ein großes Spektrum an Veranstaltungen anbieten. Wenn ich in meinem persönlichen Umfeld Freunde frage, fällt eines auf: jeder hat seine eigene Kultur-Konsumentenbiografie. Von der Schultheater AG ist jemand zum Sprechtheaterfan geworden und entdeckt dann vielleicht später eine Leidenschaft für Wagner-Opern, jemand anderes singt im Chor und begeistert sich jahrelang für Sinfoniekonzerte, ehe er den Tanz für sich entdeckt; andere sind Museumsfans bevor sie zu Streichquartettexperten werden. Nicht jede Kunstform ist für jedes Lebensalter und jeden Menschen gleichermaßen attraktiv, das halte ich für ganz normal. Sie werden also nicht alle gleichermaßen erreichen können. Aber das bringt eben die Kultur mit sich: Sasha Waltz und das klassische russische Ballett existieren vollkommen richtigerweise auch nebeneinander. Wenn die Qualität stimmt, hat jede Arbeit ihre Berechtigung. Das ist die Aufgabe, an der man sich zunächst zu messen hat. Die Operette ist nicht unbedingt das geeignete Genre, um Ästhetiken wildester Art auszuprobieren. Und das klassische Musical vermutlich noch weniger. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen: das Genre hält noch viele Ausgrabungen bereit – da ist viel Platz für Neugier und Entdeckungen.
Nach Weihnachten haben Sie in Leuben schon einmal zur Probe dirigiert. Wie war ihr Eindruck?
Positiv aufgefallen ist mir das Familiäre! Danach sehne ich mich schon sehr lang. In der Aufführung, die ich zuletzt gesehen habe – »Hello Dolly« – hat man sich sehr stilecht mit dem Stoff auseinandergesetzt. Das scheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Solche Musik holpert und stolpert bei so manchem deutschen Orchester ungelenk dahin. Auch nicht jedem Sänger ist es gegeben, so etwas glaubhaft zu verkörpern. An der Staatsoperette spürt man aber, wie sicher und ausgesprochen souverän sich alle Beteiligten den Anforderungen stellen, die das Genre mit sich bringt. Ich verrate daneben kein Geheimnis, wenn ich sage, dass das Haus unter der sehr kleinen Bühne leidet. In der Tat ist mit dieser räumlichen Einschränkung jede Choreografie beschränkt. Die Freiheiten, die einem durch den Umzug erwachsen würden, sind so gewaltig, dass niemand anders kann, als sich nach dem größeren Haus zu sehnen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.