Mathis Neidhardt, Dresdner Bühnen- und Kostümbildner, war während der neunziger Jahre am hiesigen Staatsschauspiel engagiert, wo er mit Regisseuren wie Hasko Weber, Tobias Wellemeyer, Klaus-Dieter Kirst oder Horst Schönemann zusammenarbeitete. Seit 2001 ist er freischaffend tätig, immer öfter gemeinsam mit dem Regisseur Jens-Daniel Herzog. Deutschlandweit schaffte das Duo erfolgreich hintergründige Inszenierungen; in Dresden etwa vor einem Jahr für den "Tod eines Handlungsreisenden", oder im Juli dieses Jahres für die Uraufführung der Lalo-Oper "Fiesque" am Nationaltheater Mannheim. Im Opernhaus Zürich hat am 21. Oktober nun die Humperdinck-Oper "Die Königskinder" Premiere.
Als Holk Freytag 2001 die Intendanz am Dresdner Staatsschauspiel übernahm, änderte sich auch die Inszenierungspraxis – von nun an wurden vor allem Gastregisseure engagiert. Büßte das Haus damals an künstlerischem Profil ein?
Der Intendant Dieter Görne hielt lang an dem Prinzip, feste Regisseure und Bühnenbildner vertraglich an das Haus zu binden, fest. Der Vorteil war eine Kontinuität in der künstlerischen Arbeit und eine Wiedererkennbarkeit der verschiedenen Handschriften. Andererseits entstanden so auch gewisse Ermüdungserscheinungen und Vorhersehbarkeiten. Heute allerdings ist der Wechsel von Regisseuren oft so groß, dass das Publikum mit vielen Namen nichts anfangen kann und künstlerische Partnerschaften kaum Zeit haben, um zu wachsen. Insgesamt halte ich es für notwendig und wichtig, dass die festgefügten Strukturen in Dresden aufgebrochen wurden und neue Leute kamen. Letztendlich war das auch für meine Weiterentwicklung gut so.
Ihr langjähriger Lehrer und Mentor Frank Hänig war in Dresden Chefbühnenbildner; unter ihm arbeiteten Sie zwei Jahre als Assistent, bevor Sie mit eigenen Arbeiten bekannt wurden. Wie haben Sie dann den Absprung in die Freiberuflichkeit vollzogen?
Einen offiziellen Weg, sich als Bühnenbildner für eine Inszenierung zu "bewerben", gibt es quasi nicht. In aller Regel wird heute ein Regisseur angefragt, der dann einen Bühnen- oder Kostümbildner seiner Wahl dazubittet. Ohne persönliche Kontakte zu Regisseuren ist es also äußerst schwierig, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Vielleicht war es da einfach ein großes Glück, dass wir 2001 mit dem Dresdner "Wallenstein" unter Hasko Webers Regie zu den Mannheimer Schiller-Tagen eingeladen waren. Jens-Daniel Herzog war damals Schauspieldirektor in Mannheim; wir lernten uns kennen, und ein halbes Jahr später bat er mich, das Bühnenbild für seine Mannheimer Inszenierung von "Tartuffe" zu gestalten. Aus der einen Zusammenarbeit sind inzwischen fünfzehn Inszenierungen geworden.
Ist der Stellenwert der Arbeit eines Bühnenbildners im Hinblick auf die gesamte Inszenierung dabei größer als früher?
Ja, ich denke, dass der Bühnenbildner immer mehr zu einem konzeptionellen Partner für den Regisseur wird. Das Bühnenbild bewegt sich weg von der Dekoration und wird integraler und visueller Bestandteil des Werkkonzepts. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken.
Verschwimmen da nicht die Aufgabenfelder von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner?
Es gibt ja einige Bühnenbildner, die Regie führen, und umgekehrt. Aber es wird auch weiterhin Regisseure geben, die den inhaltlichen Austausch suchen, den Diskurs, die gemeinsame Bildfindung. Theater bleibt immer ein kollektiver Prozess. Insofern ist schon eine Erweiterung des Arbeitsfeldes bei Bühnenbildnern zu beobachten, die ich sehr spannend finde.
Bei einer Operninszenierung kommen dann noch die Ansichten des Dirigenten hinzu…
Das kann sehr befruchtend sein, birgt natürlich manchmal auch Probleme. Es ist immer sehr spannend herauszufinden, wo Schnittmengen und Überlagerungen in den künstlerischen Ansätzen vorhanden sind, oder wo es Differenzen gibt. Immerhin arbeiten ja mit Dirigent und Regisseur zwei Künstler mit ihren unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten, Ideen und Vorstellungen an der gleichen Inszenierung.
Ihr erster eigener Ausflug als Bühnenbildner in die Opernszene war "Cosí fan tutte" in Mannheim vor drei Jahren. Inwieweit erforderte das eine Umstellung Ihrer Arbeitsweise?
Der eigentliche Unterschied zum Schauspiel ist, dass das Bild in der Oper eine andere Wirkung, vielleicht auch eine größere Bedeutung hat, weil die emotionale Wirkung des Bildes durch die Musik größer ist. Im Schauspiel steht das Bühnenbild unter größerem intellektuellen Begründungszwang, es muß in stärkerem Maß inhaltlichen Gesichtspunkten genügen. Bei der Oper kann man durch optische Eindrücke größere Wirkungen erzielen; die Musik verstärkt das Bild oder konterkariert es.
Nicht alle Bühnenbildner bringen Sensibilität für eine musikalische Inszenierung auf – Ihnen wird der nötige "Musiksinn" dagegen nachgesagt…
Das freut mich. Manchmal wird aber auch etwas erkannt oder wahrgenommen, was ich so bewusst gar nicht einfließen lassen habe. Natürlich bemühe ich mich bei einem Bühnenbildentwurf für eine Oper, nicht nur inhaltlich zu denken, sondern auch die Musik mitschwingen zu lassen.
Dafür braucht es eine ganz besondere Sensibilität und den "szenischen Witz der höheren Art", den ein Rezensent in einem ihrer Bühnenbilder lobte. Erobern Sie – gemeinsam mit Jens-Daniel Herzog – jetzt also Zürich mit Regietheater auf die leise Art?
Wir gehen an eine Arbeit nie dekonstruktiv heran. Man muß eine Oper als Kunstwerk sehen, in das man nicht beliebig eingreifen kann, ohne es zu beschädigen. Andererseits muß man natürlich sehen: wo sind die Ansatzpunkte für eine heutige Rezeption, in welchen (gegebenenfalls konkreten) zeitlichen oder räumlichen Kontext setze ich die Handlung, wo sind Situationen, die man zuspitzen kann und was interessiert mich heute nicht oder nicht mehr. So gehen wir an jede Arbeit heran. Das ist vielleicht nicht sehr spektakulär, entspricht aber unserem Verständnis von Regie-Theater.
Nehmen Sie denn bei der Umsetzung Ihrer künstlerischen Ideen Rücksicht auf die Erwartungen des jeweiligen Publikums?
Wir als Inszenierungsteam gehen davon aus, dass die Intendanten unsere künstlerische Arbeit kennen und uns gerade deshalb engagieren. Es geht in erster Linie um das Werk und unsere Sicht darauf. Natürlich kann man den Ort und die Zeit der jeweiligen Inszenierung nicht ausblenden; manchmal bietet es sich regelrecht an, Bezug darauf zu nehmen. In Mannheim werde ich nächstes Jahr das Bühnenbild für die "Meistersinger" entwerfen. Die Stadt hatte eine alte Meistersinger-Inszenierung, die seit den sechziger Jahren bis 2001 auf dem Spielplan war und Kultstatus genoss. Mit dieser lokalen Rezeptionsgeschichte umzugehen, bietet sich bei den "Meistersingern" natürlich an…
Noch ein Wort zu Ihrem aktuellen Projekt: der Zürcher Premiere von "Königskinder". Ingo Metzmacher dirigiert die Premiere – wird die Inszenierung musikalisch dort abgeholt, wo Herzog und Sie sie inhaltlich hingestellt haben?
Absolut. Dieser Dirigent ist ein großes Glück für uns. Ich habe Ingo Metzmacher als einen sehr wachen, neugierigen und dem Regietheater nicht abgewandten Dirigenten kennengelernt. Natürlich ist auch die Besetzung wunderbar: Jonas Kaufmann und Isabel Rey singen die Hauptrollen. In diesem Fall scheint mir das ein Gleichgewicht von inszenatorischer und musikalischer Interpretation zu sein: zwei starke Partner, das macht die Sache sehr spannend.
Inwieweit sehen Sie selbst eine ästhetische Linie in Ihren Arbeiten? Gibt es inhaltliche und ästhetische Zusammenhänge zwischen den Themen, die Sie beschäftigen, etwa zwischen "Elias" (in Mainz, 2005) und nun den "Königskindern"?
Da gibt es schon viele Parallelen. Diese beiden Werke zum Beispiel zeigen, wie sich ein Mensch in einer ihm feindlichen Gesellschaft behaupten kann oder nicht. Für mich selbst bleiben im Rückblick schon ein paar wichtige Momente von einzelnen Inszenierungen stehen. Eine Kontinuität in meiner künstlerischen Handschrift zu entdecken – das überlasse ich lieber dem Publikum.
Pflegen Sie weiterhin die künstlerischen Beziehungen zu Dresden, der Stadt, in der Sie nach wie vor mit Ihrer Familie leben?
Jens-Daniel Herzog und ich haben hier letztes Jahr den "Tod eines Handlungsreisenden" auf die Bühne gebracht – aber daraus haben sich vorerst keine weiteren Aufträge ergeben. Die Stadt ist für mich auch nicht das entscheidende Argument aus künstlerischer Sicht. Im Gegenteil – Ich finde es wichtig, daß sich künstlerisch keine Monokulturen entwickeln, sondern dass man mit verschiedenen Partnern an verschiedenen Häusern arbeitet. Das hält wach. So arbeite ich weiterhin mit Hasko Weber in Stuttgart, mit Stefan Nolte erarbeite ich den "Urfaust" in Aachen und mit Jens-Daniel Herzog "Intermezzo" von Strauss in Zürich. Und glücklicherweise machen sich ja heutzutage auch viele kunstbegeisterte Dresdner auf den Weg und erkunden andere Städte…