Vor 84 Jahren, als Bertolt Brecht nach dem Vorbild von John Gays „Beggar´s Opera“ im Alter von 29 Jahren seine „Dreigroschenoper“ im Berliner Theater am Schiffbauerdamm herausbrachte, konnte seine Kritik an verbrecherischen, bürgerlichen Machenschaften noch kitzeln. Seine Gauner und Verbrecher sind erfolgreich, weil sie sich der bürgerlichen Manieren so perfekt zu bedienen wissen. Also, im Umkehrschluss, so der Theaterphilosoph Georg Hensel, müssen die Methoden verbrecherisch sein.
Wahrscheinlich aber setzt mit dem Erfolg dieses Stückes, sicher auch dank der Musik, die Tragik des armen B.B. ein. Die Kritisierten wurden fortan seine größten Fans, und die, um deren Rechte es dem zeitlebens bibelinfizierten, sozialromantischen Moralisten ging, kamen nicht in sein Theater; wahrscheinlich konnten sie es sich gar nicht leisten. Später, als Brecht im Staat lebte, in dem Arbeiter und Bauern an der Macht waren, da wurde der scharfzüngige Zeitbeobachter misstrauisch betrachtet. Brecht, der mit etlichen Wassern gewaschene Schelm, ließ es sich heimzahlen und verlegte seine Werke, die den Sozialismus in aller gebotenen und bauernschlauen Vorsicht lobten, im nichtsozialistischen Ausland. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ – Textzeilen aus der „Dreigroschenoper“ wurden zu Zitaten, Weills Songs wurden zu Schlagern, so machten sich die Kritisierten ihren Kritiker gefügig.
Brechts Verbrecher sind nett. Der Räuber Macheath und seine Bräute, Polly und Lucy. Hure Jenny aus der billigen Spelunke hat ein weiches Herz. Wenn sie das Bett für jeden macht, kann sie auch von jedem Geld nehmen, sogar vom ärgsten Feind Macheath´s, dem cleversten der Geschäftemacher, Bettlerkönig Joanthan Jeremiah Peachum und seiner versoffenen Gattin, die aber immer noch eins und eins zusammenzählen kann und – wenn es sein muss – die beste Intrige zu spinnen weiß. Keine Räuberpistole ohne Männerfreundschaft, raue Kerle in verschämter Zärtlichkeit, die Hand in Hand von Weibern schwadronieren. Das sah man Ende der goldenen Zwanziger besonders gern, daran hat sich nicht viel geändert. Macheath Messer der Räuber und Tiger-Brown, Polizeichef von London, eine der großen Männerfreundschaften der Theatergeschichte, geadelt mit einem der schönsten Duette der Musikgeschichte, dem „Kanonensong“.
Von den Typen der Bettlerplatte, Filch etwa, oder von Verbrechern mit so poetischen Namen wie „Münz-Matthias“, „Hakenfinger-Jacob“, „Säge-Robert“, „Trauerweiden-Walter“, geht so etwas wie die Poesie des Verbrechens aus.
Und alles, Mord und Todschlag, Eifersucht, Verrat, Weisheiten von biblischem Format, Kitsch und Kunst, Melancholie und Anmache, Männerfreundschaft, Weibeslust, Intrige, Galgen und Begnadigung, mit Musik. Opernpersiflage vom Feinsten, jazzige Tanzrhythmen, Schlager zum Schluchzen, Kitsch gesegnet mit Orgelklang, unverwüstlich, weil´s der Weill so gut gemacht hat. „Was als gesprochenes Wort nicht hinreichend gut ist, das kann man immer noch singen“, wird Beaumarchais zugeschrieben und 1928 anlässlich der Uraufführung von Alfred Kerr zitiert.
Keine Frage, das wollen bis auf den heutigen Tag die Leute sehen und hören, das wollen Schauspielerinnen und Schauspieler singen und sagen, das wollen auch Theater gerne machen, ganz im Sinne des Meisters der Mehrfachverwertung „John Bertolt Gay“, politisch korrekt und trotzdem offen nach allen Seiten, Fragen stellen, aber nicht beantworten.
Die Dresdner Neuinszenierung von Friederike Heller stellt daher auch gar nicht den Anspruch, Fragen zu beantworten. Thomas Mahn hat die musikalische Leitung und sorgt mit sieben Musikern für akkurat gespielten, weichen Weill-Sound. Die Bühne von Sabine Kohlstedt ist im Grunde leer, Brecht sei Dank, luftige weiße Vorhänge und etwas Illuminationsgeflimmer reichen aus. Der Meister liebte es ja, Orte auf Schildern oder Tafeln anzuzeigen. Auch da folgt man ihm und kommt dann zu einer so verblüffenden wie überzeugenden Lösung. Jens Besser, weltweiter Botschafter Sachsens für ungenehmigte Kunst aus der Spraydose, lässt in schwindelnder Höhe den Mond über Soho aufgehen, Sterne dazu und vieles andere mehr und gegen Ende hin sogar den Tod persönlich knochenklappernd am Portal erscheinen.
Dass das Stück zu lang geraten ist, weiß man seit der Uraufführung, Brecht aber, darüber wird gewacht, Weill auch, gibt’s aber nur ganz oder gar nicht. Dass der Einstieg in Dresden vielleicht am Premierenabend etwas zu langatmig geriet, kann man aber weder dem einen noch dem anderen anlasten. Da hilft auch kein nackter Knackarsch mit Eiern. Mit dem Kanonensong, gesungen von Christian Friedel und Thomas Eisen, geht’s dann aber doch voran. Was macht man im Jahre 2012, wenn ein Stück eigentlich so zwischen Jahrmarktsklamauk, Tingel-Tangel-Varieté und Moritatenseligkeit in Muschebubu-Stimmung gedacht war? Man orientiert sich an softigen Produkten der Unterhaltungsindustrie, z.B. TV, eitle Rivalitäten metrosexueller Männer à la „neoparadise“ oder verzögerte Witzigkeiten in „NightWash-Formaten“ oder greift ganz tief in die bodenlose Kiste des Varietés und holt die Knuddeltypen der Muppet-Show heraus. So ist es möglich, das Ganze mit nur acht Protagonisten zu spielen. Das hat einen großen Vorteil, nichts mit großer Oper, keine geschminkte Armut in chargierender Opernchorästhetik. Es hat seinen Reiz, wenn in dieser Oper für Arme die Schauspieler auf der riesigen Bühne manchmal ziemlich einsam wirken. Wenn sie mit Masken-, Kleider- und Geschlechtertausch Banditen sind und Bettler, wenn sie zu Huren werden und wie Nixen als nicht näher definierbare Dienstleistungswesen auf- und niederschweben, dass sie als Verbrecher und Konstabler Gejagte und Jäger sind. So haben sie je ihre „Hauptrollen“ und entfalten in ihren „Nebenrollen“ die Facetten ihrer gespaltenen oder gebrochenen Seelen. Sebastian Wendelin als Spelunkenjenny singt den Song vom weisen Salomo mit gehauchter, zerbrechlicher Wehmut, knisternde Spannung, Stille im Saal. Hat man das so schon gehört?
Thomas Eisen steigert sich als Bettlerkönig Peachum wunderbar selbstironisch in hysterische Verbissenheit und schießt doch lediglich mit Knallerbsen. Antje Trautmann als dem Alkohol verfallene Gattin vermeidet zum Glück sattsam bekannte Klischees. Beider Tochter Polly ist Sonja Beißwenger, gesanglich und im Spiel eine Frau, die weiß was sie will und was sie will auch bekommt. Christine-Marie Günther ist als Lucy ihre Konkurrentin mit der Scheinschwangerschaft und steigt dazu in etliche andere Rollen bis hin zum soufflierenden Schutzengel. Der Hüne mit Herz im Stück ist Benjamin Höppner, ein verschlagener Polizeichef, der immer eine Lücke findet, sei es um was reinzustecken oder wenn´s brenzlig wird davonzukommen. Wenn der verschmitzt heitere Thomas Braungart im sexy-knappen Höschen neben etlichen anderen Rollen den Konstabler spielt, dann geistert der Geist Genets durch Brechts Männerfantasien und dazu passt es ausgezeichnet, wie Christian Friedel als Macheath gleich einem biegsamen Gigolo in verführerischen Schmalzattacken wie ein wiedergeborener Valentino mit verborgenem Glockenspiel charmiert und verführt, was in seine Nähe kommt. Und das Premierenpublikum lässt sich gerne einwickeln, die Songs sind Selbstläufer, hier und da wird schon mal mit gesummt. Da sind noch Möglichkeiten, die Ansätze in Sachen Entertainment lassen sich ausbauen, das Tempo zieht noch an, der Sound wird frecher. Unterhaltendes Musiktheater im Dresdner Zentrum – bitte mehr davon!
Die Dreigroschenoper
Termine: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/home/die_dreigroschenoper/termine/