Vor zwanzig Jahren hatte John Cage bereits zugesagt, nach Dresden zu kommen, zu den damaligen Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik. Wenige Tage vor seiner Reise verstarb der knapp achtzigjährige Komponist. Nun widmet ihm Hellerau einen Jubiläumsjahrgang.
„Das Absichtslose und die Stille sind zentrale Begriffe seines Werks,“ sagt Dieter Jaenicke, der Intendant des Festspielhauses, das bekanntlich ein Jahr vor Cage das Licht der Welt erblickte. „Das chinesische ‚Buch der Wandlungen‘, das I Ging, hat er als Auslöser für Kompositionen genutzt, so Entscheidungen delegiert. Nun werden seine Kompositionen in einem Haus aufgeführt, bei dem das Yin-Yang-Zeichen am Giebel prangt…“
Enorme finanzielle Schwierigkeiten und Einschränkungen habe das Festival dieses Jahr hinnehmen müssen, sagt der Intendant; trotzdem habe das Team ein "beachtliches Programm" auf die Beine gestellt. Das hat – in Hellerauer Tradition – für Interessenten aus allen künstlerischen Richtungen verführerische Veranstaltungs-Honigtöpfe aufgestellt. So bleiben die Besucher hoffentlich hängen und blicken auch mal über den Tellerrand hinaus. Gelegenheit dazu ist etwa am Abend des 9. Oktober: Neue Musik aus Aserbaidschan ist da zu hören, und man kann feststellen, ob „in diesem Lande außer dem Eurovision Song Contest noch etwas stattfindet“ (Jaenicke). Fünf aserbaidschanische Komponisten sind eingeladen gewesen, Werke für die TONLAGEN zu komponieren. Studenten der Musikhochschule werden sie aufführen. Oder noch weiter östlich geblickt: Zum ersten Mal nach Dresden kommt das junge Pekinger Ensemble ConTempo. Das chinesische Pendant zum „ensemble modern“ wurde 2011 gegründet; es entlockt den traditionellen chinesischen Instrumenten Sheng, Pipa oder Zheng zeitgenössische Klänge.
Einen starken Blick auf die lokale Szene wirft das Festival aber traditionell auch. Das Ensemble Courage widmet sich einem weniger bekannten Grenzgänger der zeitgenössischen Musik: Jani Christou, präsentiert ihn in Kombination mit Sergej Newski und Francesco Filidei (3. Oktober). Und das Ensemble Auditivvokal bringt sein neues Programm zum fünfjährigen Bestehen zum Gehör (7. Oktober).
Gegen Ende ertönt ein – so Jaenicke – "ziemlich gnadenloses Crossover" von Funk, Minimal Music und Jazz: Nik Bärtsch’s Ronin heißt das Quintett. Das Festival schliesst mit dem "Club Hellerau", dieses Jahr mit dem Münchner Schlagzeuger Christian Prommer.
Wer will, kann übrigens während der Festivalzeit im Haupthaus übernachten und sich so mit Haut und Haar auf die Cage-Sause einlassen. „So kann man sich in Cage hineintreiben lassen,“ sagt Dieter Jaenicke. Die Zahnbürste packt der Intendant also ein, wird vielleicht am 6. Oktober mit dem Cellisten Jan Vogler auf einen Pilzspaziergang aufbrechen (ab 9.00 Uhr; Wegegeld: 5 Euro). Der Rest ergibt sich. Absichtslos eben.
Der Text erscheint in der Oktober-Ausgabe des Kulturmagazins DRESDNER.
TonLagen 2012 – Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik
Die erste Woche: PROLOG // ERÖFFNUNG // JANI CHRISTOU // CONTEMPO BEIJING // JOHN-CAGE-WOCHENENDE
KLANGMUSIKPREISLOUNGE //
Der KlangMusikPreis des Filmfests Dresden, gestiftet von HELLERAU, feiert sein zehntes Jahr! Während des Festivals bietet die KlangMusikPreis-Lounge die erste und einmalige Gelegenheit, alle Preisträgerfilme zu erleben. Die lustigen, gruseligen oder surrealen Kurzspielfilme faszinieren durch perfekten Umgang mit dem Sound.
Termine: Mo 01.-Do 04.10. & So 07.-Sa 13.10. immer ab 18.30 Uhr // Mi 03.10. ab 16.30 Uhr
RADIOKUNSTLOUNGE //
Public Listening im entspannten Ambiente: Gemeinsam mit dem Hörspielsommer Leipzig präsentiert TonLagen zeitgenössische Hörspielproduktionen. Das Interesse an radiophoner Kunst ist in den vergangenen Jahren enorm angewachsen, entsprechend vielfältig sind die Genres und Ausdrucksformen dieses Mediums.
Termine: Mo 01.-Do 04.10. & So 07.-Sa 13.10. immer ab 18.30 Uhr // Mi 03.10. ab 16.30 Uhr
FESTIVALPROLOG // OPEN CAGE
Im Festivalprolog setzen sich Schüler des Vitzthum-Gymnasiums Dresden, des Landesgymnasiums für Musik Dresden und des Franziskaneums Meißen mit Cages Kosmos auseinander. In sieben verschiedenen Räumen werden parallel unterschiedliche Kompositionen von Cage oder von Cage inspirierte Kompositionen von Schülern aufgeführt. Nach einem Zufallsprinzip entsteht für jeden Zuhörer eine andere Reihenfolge der zu besuchenden Räume.
Termine: Mo 01.10. // 20 Uhr
Preise: 5/3 €
HANNES SEIDL / DANIEL KÖTTER // FERNORCHESTER // FESTIVALERÖFFNUNG / URAUFFÜHRUNG
Die Uraufführung des Musiktheaterstücks Fernorchester von Hannes Seidl und Daniel Kötter thematisiert das, was dem Zuschauer sonst verborgen bleibt: die Entstehung eines Werkes. Der »Protagonist« des Stückes ist eine Gruppe von Instrumentalisten: das Berliner Ensemble Mosaik. Fernorchester ist ein Stück zwischen Performance, Konzert und Videodokumentation.
Hannes Seidl und Daniel Kötter arbeiten seit 2008 zusammen. Gemeinsam haben sie mehrere Bühnenarbeiten, installative Arbeiten und Filme entwickelt. Ihr Stück Freizeitspektakel wurde auf der Biennale di Venezia, Musicadhoy Madrid, Zukunftsmusik Stuttgart, Ultima Oslo sowie beim Warschauer Herbst gezeigt.
Termin: Di 02.10. 20 Uhr // Mi 03.10. 18 Uhr
Preis: 19/10 €
PORTRÄT JANI CHRISTOU
The function of music is to create soul.
Jani Christou war einer der Grenzgänger in der zeitgenössischen Musik. Für den griechischen Komponisten war Musik ein vitales Medium, das spirituelle, psychische, ja körperliche Kraft bündelt und entfaltet. Musik sollte ein Erlebnis sein, das den Hörer hinausträgt in ein für ihn unbekanntes Terrain. courage – Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik kombiniert Christous Anaparastasis-Stücke mit Werken von Sergej Newski und Francesco Filidei, die beide auf Christou verweisen.
Termin: Mi 03.10. // 20 Uhr // Im Anschluss Publikumsgespräch
Preis: 15/7 €
Rahmenprogramm: ANAPARASTASIS: LIFE & WORK OF JANI CHRISTOU (1926–1970)
(Griechenland 2012) Dokumentarfilm von Costis Zouliatis 95 min, engl. UT
Termin: Mi 03.10. 16 Uhr // Do 04.10. 18 Uhr
ENSEMBLE CONTEMPO BEIJING // NEUE MUSIK AUF KLASSISCHEN CHINESISCHEN INSTRUMENTEN
Chinesische Mundorgel, Schalenhalslaute und Zither gehören zu den traditionellen chinesischen Instrumenten, auf denen Contempo Beijing zeitgenössische chinesische Musik präsentiert. Das 2011 gegründete Ensemble hat sich bereits erfolgreich auf mehreren Festivals vorgestellt und ist jetzt erstmals in Dresden zu Gast.
Termin: Do 04.10. // 20 Uhr // Im Anschluss Publikumsgespräch
Preis: 15/7 €
FÜR DIE VÖGEL – ein Wochenende mit Musik von JOHN CAGE
Am 5. September 2012 wäre John Cage 100 Jahre alt geworden. Am 5. und 6. Oktober feiern Musiker, Performer, Sänger, Tänzer und Schauspieler seinen runden Geburtstag in allen Räumen des Festspielhauses. Im Festspielhaus liegen Matratzen zum Übernachten bereit.
Termine: Fr 05.10. 20 Uhr // Sa 06.10. ca 2 Uhr // Sa 06.10. 9 Uhr / 12 Uhr / 13 Uhr / 15 Uhr / 16 Uhr / 18 Uhr //
Sa 06. 10. 20 Uhr // Sa 06. 10. 23 Uhr
Preis: John-Cage-Stepzialticket: 55/33 € (gilt für alle Veranstaltungen am 05. und 06.10.) Preise Einzelveranstaltungen siehe unten
CAGE-PARCOURS
Verschiedene kammermusikalische Besetzungen in inszenierten Räumen sind als Stationen im Festspielhaus Hellerau angeordnet. Jeder Besucher lost sein individuelles Abendprogramm.
John Cage
45’ für einen Sprecher (1954)
mit Kammersänger Olaf Bär Stimme, Julia Aldinger Klavier
John Cage
Variation III (1963)
mit elole-Klaviertrio
John Cage
Songbooks Auswahl (1970)
mit Auditivvokal
John Cage
One 4 (1990), Two (1987), Five (1988), Seven (1988)
mit Ensemble Garage
John Cage
Solo aus Songbooks (1970)
von und mit Kat Válastur
John Cage
Five (1988)
mit Ensemble ConTempo Beijing
John Cage
Thirty Pieces for string quartet (1984) und Four (1989)
mit Sonar Quartett
Termin: Fr 05.10. 20 Uhr
Preis: 19/10 €
JOHANN SEBASTIAN BACH: GOLDBERGVARIATIONEN
Im Großen Saal spielt die Pianistin Pi-Hsien Chen DAS Variationenwerk schlechthin und ein Nachtstück par Excellence: Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen.
Termin: Sa 06.10. 2 Uhr nachts
Preis: Eintritt frei
JAN VOGLER // PILZSPAZIERGANG / ONE 8
Jan Vogler, Cellist und Intendant der Dresdner Musikfestspiele, teilt mit John Cage die Leidenschaft des Pilzesuchens. Deshalb lädt er zunächst zu einem Pilzspaziergang durch den Hellerauer Wald ein, bevor er im Großen Saal des Festspielhauses John Cages Komposition für Violoncello One 8 spielt. Zwischen Spaziergang und Konzert wird auch noch genügend Zeit für ein gemeinsames Pilzmahl sein.
Termin: Sa 06.10. Pilzspaziergang 9 Uhr (Eintritt frei) // One 8 12 Uhr
Preis: 15/7 €
CHRISTIAN GRAMMEL/ANDREAS MIHAN // THE PHANTOM PIPER OF CORRIEYAIRRACK
The phantom piper of corrieyairrack unternimmt einen musikalischen Brückenschlag zwischen dem klassischen Repertoire des schottischen Dudelsacks und zeitgenössischen Klangexperimenten. Ausgehend von John Cages Variations I setzt sich Christian Grammel kritisch mit der gegenwärtigen Aufführungspraxis der Dudelsackmusik auseinander. Er selbst spielt dieses Instrument seit vielen Jahren und wird derzeit als viertbester Dudelsackspieler Deutschlands gewertet. Zusammen mit Andreas Mihan untersucht er die Möglichkeiten zur szenischen Aufführung des mit Stereotypen behafteten Instrumentes.
Termin: Sa 06.10. 15 Uhr
Preis: 15/7 €
JOHN CAGE / RUI HORTA // DANZA PREPARATA
Danza Preparata entstand 2012 als Gemeinschaftsprojekt des Choreografen Rui Horta und des Pianisten Rolf Hind. Diesen Dialog eines präparierten Klaviers mit dem „präparierten Körper“ der italienischen Tänzerin Silvia Bertoncelli begreift Rui Horta als Studie über die Rollen von Zufall und Kontrapunkt im Verhältnis von Bühnenbewegung und Klang. In den 20 kurzen Stücken des Cage-Zyklus Sonatas and Interludes entlockt Rolf Hind dem als Schlagzeugbatterie umgebauten Klavier eine einzigartige Klangqualität und tritt in einen Austausch mit dem sich bewegenden Körper der Solotänzerin Silvia Bertoncelli.
JOHN CAGE / ONE 11 // FILM
1992, kurz vor seinem Tod vollendete Cage seinen einzigen Film One 11. In Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Henning Lohner entstand eine filmische Performance für eine Kamera und Scheinwerferprojektionen, ein Film über die Wirkung des Lichtes im leeren Raum. Wie viele Werke Cages basiert auch der Film auf Zufallsoperationen – in diesem Fall vom Computer generiert – die die Lichtverhältnisse und die Bewegungen der Kamera bestimmen. Akustisch unterlegt ist das Orchesterwerk 103, das John Cage 1991 komponierte. Entstanden ist ein ebenso poetischer wie suggestiver filmischer Essay über Licht und Leere.
Termin: Sa 06.10. 13 & 18 Uhr // Eintritt frei
DRESDNER PHILHARMONIE / ORCHESTERWERKE VON JOHN CAGE / MANOS TSANGARIS / CHEAP VARIATIONS // URAUFFÜHRUNG
Das Programm am Samstagabend präsentiert die großen Orchesterwerke von John Cage gleich doppelt und im zweiten Teil variiert durch eine raum-theatrale stille Komposition von Manos Tsangaris. Seine Cheap Variations für Licht und Bewegung erleben dabei ihre Uraufführung.
Termin: Sa 06.10. 20 Uhr
Preis: 19/10 €
DAS LIEBHABERSPÄTPROGRAMM: JOHN CAGE // MUSIC OF CHANGES // VORTRAG ÜBER NICHTS
Das exklusive Programm zum Abschluss des John-Cage-Spezials:
Musik of Changes I und II (1951) mit Pi-hsien Chen Klavier
Vortrag über Nichts (1950) in der Übersetzung von Ernst Jandl
mit Markus Boysen Sprecher
Musik of Changes III und IV (1951)
mit Pi-hsien Chen Klavier
Termin: Sa 06.10. 23 Uhr
Preis: 15/7 €