Drei attraktive, historische Theater, der moderne Glaspalast Neue Szene und die Experimentierbühne des Kolowrat Theaters sind jetzt vereint als Prager Nationaltheater unter einer Leitung, mit gemeinsamer Verwaltung – nur dass der Posten des Direktors, nach unserer Tradition des Generalintendanten, derzeit gerade frei ist. Während das Nationaltheater an der Moldau und das architektonisch einmalige Ständetheater, wo Mozart die Uraufführungen „Don Giovanni“ und „La clemenza di Tito“ dirigierte, als Dreispartenhäuser fungieren, in der Neuen Szene zudem nach wie vor die Illusionen der Laterna Magica das Publikum anlocken, bleibt das Haus der Staatsoper, zwischen Hauptbahnhof und oberem Wenzelsplatz, der Oper und dem Ballett vorbehalten.
Nur hat dieses ehemalige Deutsche Theater, später dann als Smetana-Theater bekannt, nach der Samtenen Revolution zur Staatsoper erhoben, jetzt seine Eigenständigkeit verloren. Mit Beginn dieses Jahres gibt es in Prag ein Opernensemble und ein Nationalballett. Spielplandopplungen, wie sie bislang gang und gäbe waren, soll es künftig nicht mehr geben. An jedem Haus sollen die Programme entsprechend ihrer besonderen Traditionen konzipiert werden. Durch die Fusionen steht für die drei großen Musiktheaterbühnen derzeit ein Sängerensemble mit gut 50 Solisten zur Verfügung; zwei Chöre sind nötig, da in der Staatsoper beinahe abendlich Opern oder Ballette gespielt werden. Das Haus behält demzufolge auch sein eigenes Orchester. Nur soll der Spielplan sich an den historischen, international ausgerichteten Traditionen des ehemals Deutschen Theaters orientieren. Schon zu Beginn des Jahres erinnerte daran die Inszenierung der Oper „Die drei Pintos“ von Carl Maria von Weber in der Bearbeitung von Gustav Mahler; beide hatten an diesem Haus als Dirigenten gearbeitet. geplant. Das Nationaltheater bleibt die Stätte tschechischer Komponisten und der europäischen Moderne des 20. Jahrhunderts.
Mozart gehört nach wie vor auf die Bühne des historischen Ständetheaters. Derzeit gewöhnen sich Prager und Touristen an eine neue Sicht auf „Don Giovanni“, dessen Inszenierung man dem jungen Künstlerduo SKUTR anvertraut hat, welches aus der freien Szene kommt. Hier kommt auch die tschechische Barockoper wieder zu Ehren: mit dem auch in Dresden bestens bekannten Collegium 1704 unter seinem Dirigenten Václav Luks kommt „L’Olimpiade“ von Josef Mysliveček mit dem bewährten Regie- und Ausstattungsduo Ursel und Ernst-Karl Hermann auf die historischen Bretter.
Deutlich spürbar war vor wenigen Tagen der Aufbruch beim neu gefügten Nationalballet. Wurde schon vor einigen Jahren die Kompanie des Nationaltheaters mit dem Kammerballett von Pavel Šmok zusammengefügt, so steht Ballettchef Petr Zuska nun einem Nationalballett mit über 80 Tänzerinnen und Tänzern vor. Programmatisch die erste Premiere in der Staatsoper, „Amerikana III“, Choreografien von Balanchine, Forsythe und Robbins. Forsythe zum ersten Mal in Prag: das Publikum ist begeistert, nicht nur am Premierenabend! Sein Klassiker von 1987,„In the Middle, Somewhat Elevated“, reißt die Leute von den Sitzen. Die Solistenpaare tanzen, als hätten sie auf eine solche Herausforderung nur gewartet, und lassen geforderte Exaktheit mit den weichen Linien ihres speziellen Charmes verschmelzen.
Ein paar Tage später im Nationaltheater stellt sich der neue Operndirektor Rocc als Regisseur in Prag vor. Das Jubiläumsjahr für Claude Debussy und Maurice Maeterlinck – beide wurden vor 150 Jahren geboren – neigt sich dem Ende, nicht zu spät für eine Ehrung. Die in der Personenführung sehr genaue, was Aktionen angeht wunderbar reduzierte Inszenierung, bei der die einsamen Menschen dieses Stückes auf der großen dunklen Bühne getrennt bleiben müssen. Ein fast unsichtbares Geflecht hindert sie daran, sich zu finden und ihre Rätsel zu lösen. Das kommt besonders beim jungen Publikum an. Das Orchester des Nationaltheaters spielt unter der Leitung von Jean-Luc Tingaud. Ihm gelingt es, dem an Aktionen sparsamen Stück überzeugende Dynamik zu verleihen und selbst im zweiten, kräftiger klingenden Teil dem grundsätzlich schwebenden Charakter der Musik verpflichtet zu bleiben. Gewisse Verwandtschaften mit Leoš Janáčeks Klangsprache sind dabei nicht zu überhören. In den Titelpartien überzeugen Veronika Hajnová und Philippe Do besonders, und sollen stellvertretend für das Ensemble genannt sein.
Noch eine Prager Besonderheit: am 11. und am 12. Januar wird der neue Präsident Tschechiens gewählt. Zum ersten Mal in Direktwahl. Einer der Kandidaten ist der Maler, Komponist und Philosoph Vladimír Franz, Jahrgang 1959. Bekannt ist Franz vor allem wegen seiner kunstvollen Ganzkörpertätowierungen, der Mann mit der blauen Haut, soweit man offiziell sehen darf. Am 10. Januar wird in der Staatsoper das neue Stück von Vladimír Franz uraufgeführt. „Der Krieg mit den Molchen“, eine Oper nach dem gleichnamigen Roman von Karel Čapek aus dem Jahre 1936. Es ist noch gar nicht so lange her, dass dieses Buch auch in Tschechien ungekürzt zu lesen ist, denn Čapek traute es keiner politischen Richtung zu, auch dem Kommunismus nicht, die Welt aus der von ihm angekündigten Katastrophe zu führen. Befragt, ob seine Beschreibung von Profitgier und Größenwahn eine Vision der Zukunft sei, sagte er, dass er nichts beschreibe als die Gegenwart. Pikant vielleicht noch im Zusammenhang der Uraufführung gerade dieses Stückes am Abend vor der Wahl, in Klänge gesetzt von einem der Kandidaten: es geht um eine Klimakatastrophe, die ja nach Meinung des scheidenden tschechischen Präsidenten Václav Klaus nichts als ein Hirngespinst ist!
Vladimír Franz sieht das anders, sonst hätte er diesen Roman ja nicht vertont. Ob es ihm hilft, die Wahl zu gewinnen, ist fraglich; derzeit ist der tätowierte Künstler noch nicht angekommen im oberen Bereich der Beliebtheitsskala. Aber wenn wirklich eine Oper eine Präsidentschaftswahl entschiede? Nicht auszudenken, wer dann plötzlich alles komponieren würde. Kandidat Steinbrück – wo bleibt Ihr neues Opus?