Heute Abend steht in der Gläsernen Manufaktur kein Geringerer als Al Jarreau auf der Bühne. Auf Tournee wird er von seinem Musikerkollegen Joe Sample und der NDR Bigband begleitet. Das Konzert ist leider ausverkauft. Aber ich habe den Großmeister kürzlich bei einem glanzvollen Konzert in Hamburg erlebt.
Was Joe Sample am Herzen liegt, schrieb er in eigenen Kompositionen aus, die der Pianist unter dem Titel „Children Of The Sun“ auf der Jazzbaltika 2011 welturaufgeführt hat. Das Repertoire, das thematisch die Geschichte der Sklaverei vertont, wird von einem exzellenten multi-instrumentalen Klangkörper interpretiert: Chefdirigent Jörg-Joachim Keller hat die Werke per E-Mail geschickt bekommen und für die NDR Bigband arrangiert. "Die heutige Zeit ist schon verrückt," sagt Joe Sample. "Ich freu mich, dass es die heutigen Kommunikationswege möglich gemacht haben, "Children of the Sun" mit dieser hervorragenden Bigband aufzuführen."
Die Idee für das Kompositionsprojekt kam Joe Sample auf Reisen. Auf St. Croix, einer Insel in der Karibik, ereilten ihn Gedanken, die er bis zur ersten Aufführung mehrere Jahre in sich trug. Im Konzert berührt er durch seine Ansprachen. Der Komponist und Pianist beleuchtet darin die menschlichen Emotionen von Sklaven, die hauptsächlich in den Südstaaten über mehrere Generationen dafür schuften mußten, dass die USA in einer solch erstaunlichen Geschwindigkeit aus dem Boden gestampft werden konnte. Von Einebnung und Bebauung des Landes, Bestellung der Felder, bis hin zum Bau der Eisenbahnstrecken: ohne Slklavenarbeit wäre der Eroberungs- und Wachstumssprozess nur sehr langsam vorangeschritten.
Die Vorstellung, wie sich diese unter Zwang lebenden Arbeiter im "Neuen Land" gefühlt haben müssen, inspirierte Joe Sample. Natürlich deklarierte die USA von Anfang an Freiheit und unbegrenzte Möglichkeiten für alle. Joe Sample griff mit Absicht eine zwischen diesen wohlklingenden Zeilen zu findende Realität auf, und setzte besonders packend die Sehnsucht der eingeschleppten Bevölkerung nach der wahren Heimat um. "I wanna go home" ist eine der herausragenden Kompositionen des neuen Repertoires. Desweiteren drehen sich die Stücke um Glauben, dem Brodeln im vorbürgerkrieglichen Texas, die Situation der Creolen, und immer wieder um das Gefühl, daß sich Sklaven oft nur als Arbeitstiere fühlen.
Das Setting wird auch im ersten Auftritt von Al Jarreaus erstem Beitrag bedient. Noch vor der Pause singt er ein glanzvoll arrangiertes, jazzig verspieltes „Summertime“. Hoffnung, die besonders im von Sample kreirten Spannungsfeld aufstrahlt. Auch die folgenden Stücke bleiben unterhaltsam und rundum künstlerisch anspruchsvoll. In der Hamburger Aufführung wurde sogar Nils Landgren auf die Bühne gebeten. Der skandinavische Posaunist spielte in spannenden Phrasen über das witzig arrangierte „It Ain´t Necessarily So“, und begeisterte durch eine gefühlvolle Improvisation den Saal.
Nah am ersten Thema Sklaverei ist auch das Stück „Bess, You Is My Woman“. Al Jarreaus Stimme klang dabei immer noch so, wie wir sie kennen. Mühehlos startete er in lange Phrasen, sang hohe Töne energievoll aus, und überzeugte mit einer erstaunlichen Leichtigkeit über den gesamten, beeindruckenden Stimmumfang. Nicht nur in den Ansagen gab er sich witzig und voller Leidenschaft für die Musik und sein Leben als tourender Sänger. Besonders in den kunstvollen Solis flochte er mit einer energiegeladenen Überzeugung Statements ein, die den Saal in lautes Lachen verfallen ließen. Er spielte dabei mit Worten und schüttelt Texte wie „Would you like to take a little time out with me, just take fünf, just take fünf.”aus seinem Ärmel…
Spontan und überzeugend blitzten musikalische Melodien und kleine Themen aus weltweit bekannten Songs auf. Selbst schauspielerisch stahl sich Al Jarreau in die Herzen der Zuhörer. In seinen Improvisationen und Bewegungen schien er mal eine plappernde, sich beschwerende Frau nachzumachen, um im nächsten Atemzug in einem voll ausgesungenen Shout zu enden. Und wieder überkam ihn das „Just take funff“ – wobei er sich mit einem „Nah, don´t have time for that now!“ entschuldigte und das Stück auf witzige Art abrupt enden ließ.
Mein persönliches Highlight war der Porgy Song. Mit viel Platz in Arrangement und Gesang entspannte er nach rasanten Solis, grell-packenden Tonfarben und in den Gesang eingebetteten Bigbandshouts nicht nur die Ohren, sondern auch die Lachmuskeln. Gekonnt spannte der Song einen Rahmen, in dem die Schönheit des Arrangements vollwertig zum Tragen kam, und mit der sich im Kontrast zu den eher dynamischer angelegten Teilen des Abends noch einmal eine balladeske Erinnerung ins Ohr schlich. Die Ruhe und Entspanntheit wurde von Al Jarreau aus dem tiefsten Inneren gesungen, auch wenn er gegen Ende des Abends scheinbar gewollt knarzende Sounds in seine Stimme legte. Die er auch gleich wieder mit einem Witz untermauern mußte. Mit dem Finger auf die erste Publikumsreihe zeigend: „Oh! Da ist ja noch jemand älteres als ich!“
Auch für Zugaben war noch Platz, die an der im Konzert gehörten souveränen gesanglichen und energetischen Leistung keinen Abbruch fand. Für Al schien es erst richtig loszugehen. Und der Saal wollte einfach nur mehr. Der Saal spürte, was der NDR Bigband Posaunist Gerald Franz Juritzsch wunderbar in einen Satz faßte: „Al liebt das Leben als Musiker und gibt für sein Publikum auf der Bühne wirklich alles.“ Glücklich also sind die, die heute Abend dabei sein dürfen. Ansonsten: hinterherfahren!