Wieder einmal prangte das Etikett auf den Ankündigungen: „Ausverkauft“ sind derzeit sämtliche Philharmoniekonzerte bis einschließlich Silvester. Glücklich konnte sich also schätzen, wer Karten für die Abende im Schauspielhaus oder im Albertinum ergattern konnte. Dementsprechend herzlich rauschte der Applaus, nachdem am Samstag die letzten Töne eines exzellent ausbalancierten „Konzerts für Orchester“ von Béla Bartók verklungen waren.
Fraglos war es ein wohlschmeckendes Menü, das die Philharmonie servierte (einen im Programm nicht angekündigten Nachtisch, einen kurzweiligen Vortrag über ein kleines Gemälde Robert Sterls, ließen sich kaum fünfzig Getreue servieren). Auch der Name des Solisten klang noch irgendwie im Ohr: Tzimon Barto, der gutaussehende Bodybuilder, der Altgriechisch, Hebräisch und Latein flüssig beherrscht (und seinen Vornamen auf der zweiten Silbe betont), tausende Gedichte schrieb und nach einer erfolgreichen pianistischen Wunderkindkarriere und jahrelangen Pausen wieder aktiv im weltweiten Konzertreigen mittanzt. Unter seinen Händen schrumpfte der Steinway zum Spielzeugklavier; physikalisch-technische Hürden schien es für Barto nicht zu geben. Der Pianist federte auf und nieder, artikulierte spritzig-spitz. Bald stand einem die Filmszene vor Augen, da Rocky Balboa die Stufen des Philadelphia Museum of Art hochtanzte, während Blechbläser die Szenerie filmmusikalisch heroisierten.
Die Dresdner Philharmonie war diesem Steinway-Rocky leider über alle drei Satzrunden ein matter, oft kraftlos wirkender Sparringpartner. Behäbig kamen die Streicher aus den Ecken, kleinteilig kämpften sie unterm gehetzten Dirigat von Alexander Liebreich. Mit bockbeinigen Tempoübergängen trieb Barto das Orchester vor sich her, nahm sich im Mittelsatz zeitweise bis zur völligen Unhörbarkeit zurück und hämmerte zum Schluss das Instrument so arg zusammen, dass es nur noch gequält schnarrte. Um nur Sekunden später so vertieft mit geschlossenen Augen am überreichten Blumenstrauß zu schnuppern… War da schon wieder ein Gedicht am Werden?
Das Schnarren den Flügels war auch am Sonntag nicht verschwunden – ob das Instrument nach Bartos zweimaligem Gewaltritt erst einmal grundüberholt werden muss? So viele Fragezeichen der Pianist im Tschaikowskikonzert hinterließ: Bartos Zugaben, Chopin-Nocturnes an beiden Abenden, perlten unaufgeregt, friedlich, fantasievoll, melancholisch – und setzten hinter seinen Dresden-Besuch ein Ausrufezeichen und drei Punkte. Was werden wir von diesem Ausnahmetalent Tzimon Barto in den nächsten Jahren noch hören?
Eine Textfassung des Artikels ist am 26. November in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.