Dirigentisch anspruchsvoll war das Staatskapell-Debüt Johathan Notts, und nicht weniger fordernd das Programm für das Publikum des vormittäglichen Symphoniekonzerts in der Semperoper. Bedeutete doch die Aufführung der einstündigen Ballettmusik "Daphnis et Chloé" von Maurice Ravel durch die Sächsische Staatskapelle und den MDR Rundfunkchor Leipzig, dass die Hörer am Sonntag eine komplexe Geschichte vor ihrem inneren Auge ablaufen lassen sollten. Die "Ballets russes" hatten diesen Stoff zur Uraufführung vor hundert Jahren vor einem überbordendem Bühnenbild feurig vertanzt, der berühmte Vaslav Nijinski den Daphnis gegeben. Dass das Ballett lange nicht den Erfolg des ein Jahr später von derselben Balletttruppe zur Uraufführung gebrachten "Frühlingsopfers" Strawinskis verbuchen konnte, mag ausgerechnet dem Werk geschuldet sein, mit dem Nott das Symphoniekonzert einleitete: Claude Debussys kurzes "Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns" hatte Nijinski nur wenige Tage vor der "Daphnis"-Premiere so atemberaubend sinnlich auf der Bühne vorgelebt, dass das Pariser Publikum von nichts anderem sprechen mochte.
Auch in diesem "Prélude" war man nun am Sonntag ganz auf das Orchester geworfen, das einem die Fantasiereise indes nicht ganz leicht machte. Sind wir gewöhnlich durch die Melodie zu Beginn sofort in eine öde Nachmittagshitze gebeamt, in der ein vor sich hinträumender Faun verführerisch die Flöte bläst, so verhinderte das in der Semperoper ein akustischer Temperatursturz. Winterlich glitzerten die Streicher; und jegliches stimmungsvolle Raunen und tonliche Schwelgen war einer gedämpften Melancholie gewichen. "Man trägt immer eine Note zur Nächsten," ist der Dirigent, der in Manchester auch Gesang und Flöte studiert hat, im Programmheft zitiert. Was aber normalerweise sangliche Übergänge und reiche Klangflächen garantiert, wollte an diesem Sonntagvormittag nicht so recht ins Ohr fließen.
Kühl blieb – bei aller virtuosen Raserei – auch die Interpretation von Maurice Ravels "Konzert für Klavier und Orchester G-Dur" durch die Pianistin Hélène Grimaud. Der elegische zweite Satz, in dem ein guter Pianist gezwungen ist, sich selbst zu befragen, geriet Grimaud zum heiter-unbeschwerten Spaziergang. Ganz freundlich auch der Applaus; und keine Zugabe.
Eine Textfassung des Artikels ist am 4. Dezember in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.