Am 22. Mai nächsten Jahres ist es 200 Jahre her, dass Richard Wagner in Leipzig geboren wurde, am 13. Februar vor 180 Jahren starb er in Venedig. Aber schon bevor das Jubiläumsjahr für unseren Richard beginnt, wagnert es gewaltig. Es werden Ringe geschmiedet dass die Hammerschläge nur so hallen; und manchmal sind die Bühnen so nahe beieinander – wie etwa Dessau, Halle und Leipzig -, dass man es voneinander hören müsste. Und was gilt die Wette: im Überschwang der Regieambitionen wird ganz sicher auch mal der Holzhammer geschwungen. Ring-Pilger kommen auf ihre Kosten. Liebestode werden auch gestorben, szenisch und konzertant.
In Freiberg, eines der kleinsten Theater Deutschlands und als Stadttheater wohl eines der ältesten überhaupt, ehrt man den Meister auch, speziell, versteht sich, es gibt „Tannhäuser“ in einer eigenen Fassung, von knapp vier Stunden Spieldauer gekürzt aufs Mitteldeutsche Maß von gut 100 Minuten.
An den Landesbühnen wagt man den unbekannteren Wagner vorzustellen, ein Jugendwerk nach Shakespeares Komödie „Maß für Maß“, musikalisch von europäischen Dimensionen, italienischer belcanto, französischer Witz der Operá comique und schwelgende deutsche Romantik, und das Ganze mit dem regietheaterverdächtigen Titel „Das Liebesverbot“.
Also bei so viel Wagner, zur Einstimmung schon vor dem Jubiläumsjahr, hat man beinahe vergessen, dass am 27. April vor nunmehr 200 Jahren auf Gut Teutendorf in Mecklenburg Friedrich von Flotow geboren wurde. Wie Wagner starb auch er 1883, kein Tod in Venedig, sondern in Darmstadt.
Flotow, ach ja, die „Martha“, und dann noch mal ach ja, eine der wenigen Opern, in denen Reklame gemacht wird für eine Biersorte, Pächter Plumkett aus Richmond preist das Porterbier und nimmt auch kräftige Züge samt Jagdgesellschaft, was diesen feucht-fröhlichen Stimmungsmacher so richtig aufschäumt. Vor allem so gesungen wie von dem amerikanischen Bass Giorgio Tozzi in einem Mitschnitt der „Martha“ vom 21. Februar 1961 aus der New Yorker Met.
Eine Aufnahme in englischer Sprache? Das klingt, als müsse es so sein. Die deutsche Romantik erlebt man selten so komisch, so witzig auch im flotten Klangbild unter der Leitung von Nino Verchi, der rund um die Welt vornehmlich im italienischen Fach in den sechziger und siebziger Jahren mit allen Stars der Opernszene gearbeitet hat; etliche Mitschnitte gibt es als CD oder DVD. Einer der Stars damals war der amerikanische Tenor Richard Tucker, und er gibt seinem Schlager in der oftmals als pures Abonnentenfutter verkannten Oper geradezu heldischen Glanz: „Martha, Martha, du entschwandest, und mein ganzes Glück mit dir, gib mir wieder, was du fandest, oder teile es mit mir.“ Tuckers Ton duldet keinen Widerspruch.
Lyonels Arie ist nicht nur ein Ohrwurm bester Güte, er ist auch zum Gassenhauer geworden, „Martha, Martha, du entschwandest, und mit Dir mein Portemonnaie…“ Und dann natürlich das Volkslied von der letzten Rose, die so einsam erblüht… Wer sang das besser als Anneliese Rothenberger? Oft geschmäht, zu Unrecht: man höre ihre „Lulu“, man höre ihre Mozartaufnahmen und ihre Strauss-Duette mit Lisa Della Casa. Die Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden unter Rudolf Neuhaus sollte Pflichthörstoff sein für angehende Rosenkavaliere, Sophien und Marschallinnen.
In der Met, am 21. Februar, vor 51 Jahren, sang Victoria de los Angeles die Partie der Martha und brachte das Publikum zum Rasen, nicht nur mit der letzten Rose sondern auch und vor allem mit ihren blitzenden Koloraturen der zweiten Arie im vierten Akt und herrlichen Lyrismen im folgenden Duett mit Tucker in der Rolle des Lyonel. Im Rahmen einer Edition ihrer Tondokumente hat die Fundació Victoria de los Angeles bei Columna Musika in Spanien diesen Mitschnitt heraus gebracht. Edel besetzt, bis in kleinste Partien, so singt z.B. Teresa Stratas eine der Mägde, später wird sie eine gefeierte Salome sein, auch im Film festgehalten, als Lulu bringt sie die dreiaktige Fassung der Oper von Alban Berg 1997 in Frankfurt zur Uraufführung.
Aber jetzt noch einmal zu Flotow. Seine „Martha“ ist so gut wie verschwunden aus dem Repertoire – schade, besonders wenn man eine solche Aufnahme hört. Noch ist „Flotow-Jahr“: Verachtet mir die Martha nicht! Überhaupt ist die deutsche Spieloper besser als ihr Ruf. Und wie eine „Martha“ nicht nur klingen, sondern auch aussehen kann, das weiß man, seit kein geringerer als Vicco von Bülow alias Loriot 1986 das Werk in einer so intelligenten wie witzigen Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper herausbrachte, die später vom Theater in Meiningen übernommen wurde.
Eine der berühmten Marthainterpretinnen, Erna Berger, wurde 1900 in Cossebaude bei Dresden geboren. 1944 hat sie die Oper in Berlin aufgenommen mit dem Orchester der Staatsoper unter Johannes Schüler. Ihre Partner sind u.a. Peter Anders und Josef Greindl – ein weiterer historischer Ohrenschmaus.