Mit der "Film & Musik"-Reihe hat die Dresdner Philharmonie einen richtigen Kassenschlager im Repertoire. Ein breites Publikum wird angesprochen, und auch Konzertneulinge trauen sich in die meist rasch ausverkauften Vorstellungen. So verwunderten sich etwa meine Platznachbarn lautstark über die "Erwärmungsphase" der Musiker, wurden jedoch von treuen Philharmonie-Kennern sofort freundlich aufgeklärt und über das Programm informiert: drei kurze Instrumentalstücke mit Zirkusgeruch, komponiert von Hermann Fliege, Igor Strawinski und Charles Chaplin; danach würde der Stummfilm "The Circus" gezeigt und vom Orchester begleitet werden. Und, ja, alles hört auf das Kommando des Mannes mit dem weißen Stab und der gepunkteten Fliege…
85 Jahre ist die New Yorker Premiere des Films nun schon her, und doch: wie schwer fällt es einem bis heute, nicht sofort gefangen zu sein in dieser romantischen Liebesgeschichte, in der sich ein freiheitsliebender Tramp den Geruch der Manege antut, um der Kunstreiterin nah sein zu können – und nebenbei und aus Versehen zum heimlichen Star der abendlichen Vorstellungen wird. Es waren die kleinen Pointen der üppig erzählten Geschichte, die auch das Publikum im Albertinum gefangen nahmen, und sofort vergessen ließen, dass die Zwischentitel in englischer Sprache waren.
Wer den Film kannte, wusste auch um die vielen Geschichten, die sich um die von etlichen Desastern begleiteten Dreharbeiten und um Chaplins wechselvolles Privatleben in dieser Zeit ranken. Gibt es den Bildern nicht einige Brisanz mit, wenn man weiß, dass Chaplin und Merna Kennedy eine heimliche Affäre begannen – hinter dem Rücken von Chaplins sechzehnjähriger Ehefrau, die Merna wie aus dem Gesicht geschnitten ist? Märchenhaft ist die Musik, die das Multitalent Chaplin Ende der sechziger Jahre auf den Film komponierte. Der damals knapp Achtzigjährige sang auch das Titellied ein, "Swing, little girl" – mit melancholischen Unterton entrückt es die Bilder in ein fernes Reich aus lange vergangener Zeit.
Den Philharmonikern war teilweise anzuhören, dass sie den "Soundtrack" für nicht besonders anspruchsvoll hielten. So herrlich bittersüß die Soli von Wolfgang Hentrich klangen: zwischendurch schien die dynamische und intonatorische Abstimmung im Orchester doch etwas nachlässig. Dem Publikum war's egal: stürmischer Beifall.
Eine Textfassung des Artikels ist am 14. Januar 2013 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.