In der sonst so pinken Staatsoperette ist es derzeit sehr grün. Grund dafür ist die Regentschaft des „Zauberer von Oz“. Das Musical für jung und alt, aus der Feder von Harold Arlen (Musik) und Edgar Y. Harburg (Text) wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach in Sachsen gespielt, zuletzt in Chemnitz und feierte am Freitagabend nun auch endlich seine Dresdner Erstaufführung.
Liebevolle, lebendige Bilder
Nach der erfolgreichen Hollywoodverfilmung aus dem Jahr 1939 mit Judy Garland in der Rolle der „Dorothy“, etablierte sich der „Wizard of Oz“ auch als Bühnenmusical. Die Vorlage für dieses lieferte der US-amerikanischen Schriftstellers Lyman Frank Baum. Zur Story: Dorothy lebt gemeinsam mit ihrer Tante Em, ihrem Onkel Henry und drei Landarbeitern auf einer kleinen Farm in Kansas. Als ein Wirbelsturm die Gegend heimsucht, gelingt es Dorothy nicht mehr rechtzeitig, das Haus zu verlassen. Zusammen mit dem Haus fliegt sie ins Land der Munchkins, wo dieses genau auf dem Kopf der bösen Hexe des Ostens, der Herrscherin über die Munchkins landet. Dorothy wird von Einwohnern und der guten Hexe des Nordens begrüßt und erbt die roten Zauberschuhe der bösen Hexe. Deren Schwester, die böse Hexe des Westens, wollte die Zauberschuhe eigentlich für sich haben. Wütend und gekränkt muss sie jedoch von dannen ziehen. Dorothy hingehen will so schnell wie möglich wieder nach Kansas, doch sowohl die Munchkins als auch die gute Hexe sind ratlos, wie sie dahin kommen soll. Einzig allein der Zauberer von Oz könne ihr dabei helfen. Dorothy entschließt sich also den Zauberer aufzusuchen.
Die schleppende Anfangsszene schreit nach dem Rotstift
Unterwegs begegnet sie der Vogelscheuche, die den Oz um ein Gehirn bitten möchte, dem Blechmann, der ein Herz erbittet und dem Löwe, dem es an Courage fehlt. Der Zauberer will die Wünsche der Freunde jedoch nur erfüllen, wenn sie die böse Hexe des Westens auch noch töten. Mit Tücke und List gelingt es Dorothy, die Westhexe auszuschalten, doch wieder beim Zauberer angekommen, werden die Erwartungen der Freunde schnell enttäuscht. Es stellt sich heraus, dass der angebliche große Oz nur ein kleiner Jahrmarktbudenzauberer ist, der mit seinem Schwindel alle hinters Licht geführt hat. Zwar hilft er dabei, dass die Vogelscheuche sein Gehirn, der Blechmann sein Herz und der Löwe seinen Mut wiederfinden, doch Dorothy kann er nicht helfen. Erst durch die gute Zauberin des Nordens gelingt es ihr, wieder nach Kansas zurückzukehren.
Die Dresdner wagen sich mit „ihrem Oz“ an eine eher selten gespielte Fassung des Stückes. Die schleppende und zähe Anfangsszene in der Dorothy auf die Farmarbeiter – die später im Traumland Oz als Vogelscheuche, Blechmann Löwe auftauchen – sowie auf die zornige Nachbarin Miss Almira Gulch – später die böse Hexe des Westens – trifft, ist in dieser Fassung leider beinahe ungekürzt enthalten. Lediglich der überflüssige Auftritt des Professor Chester Marvel, dem späteren Zauberer von Oz, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Grund zur Freude: Auch Dorothys Hündchen Toto ist in dieser Stückfassung enthalten. Oftmals macht es sich das Oz-Kreativteam besonders leicht und verzichtet auf diese Rolle. Zugegeben, von „Hündchen“ kann man in der Inszenierung der Staatsoperette auch nicht sprechen. Henryk Wolf verkörpert Dorothys übergroßen aber dennoch äußerst niedlichen Schoßhund und treuen Begleiter – Toto.
Die Regiearbeit von Arne Böge, der als Spielleiter an der Staatsoperette engagiert ist, wird vor allem bei der Personencharakterisierung der Hauptdarsteller spürbar. Durch das Zusammenspiel seiner Regie, der Kostüme und des Bühnenbildes (Ausstattung: Hendrik Scheel) entstehen so liebevolle, lebendige Bilder. Der Wirbelsturm gleich zu Beginn des Stückes stellt wohl für jeden Oz-Regisseur eine besondere Herausforderung dar. Böge meistert diese Hürde mithilfe eines herumwirbelnden Hauses, optischen Täuschungen und nicht zuletzt durch das Ballett, das als tänzelnder Wind (Choreografie: Christopher Tölle) alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mit sich reißt.
Markus Schneider avanciert zum Publikumsliebling
Olivia Delauré, die mit ihrer Lockenperücke stark an Michael Endes “Momo” erinnert, ist eine herrlich naive Dorothy. Sie meistert sowohl die schauspielerischen, als auch die stimmlichen Anforderungen des Stückes, vor allem aber die des Songs „Somewhere over the Rainbow“ mit Bravour. Auch ihr tänzerisches, beinahe schon akrobatisches Talent stellt sie bei verschiedenen Hebefiguren mit ihrem Hund Toto unter Beweis. Dorothys neugewonnene Freunde fallen vor allem durch ihre märchenhaften, liebevoll angefertigten Kostüme (Hendrik Scheel) auf. Markus Schneider, der für den erkrankten Marcus Günzel eingesprungen ist, profitiert deutlich von seinen Vogelscheuchen-Erfahrungen, die er bereits in der Chemnitzer Oz-Inszenierung gesammelt hat. Mit seinem schauspielerischen Talent und seinen gekonnt wackligen und unsicheren Vogelscheuchen-Bewegungen, die er konsequent von Beginn bis zum Ende des Stückes durchzieht, entwickelt er sich schnell zum Publikumsliebling. Ebenso überzeugend spielen Brian Rothfuff als stotternd-vibrierender Blechmann und Christian Grygas als jammernder Löwe.
Mandy Gabrecht verkörpert bereits als Miss Almira Gulch eine glaubwürdige unsympathische, arrogante Schnepfe. Ihren schauspielerischen Höhepunkt erreicht sie jedoch erst als attraktiv-böse Hexe des Westens in ihrem feuerroten, hautengen Kleid. Obwohl Gabrecht keine Gesangsstellen hat, wünscht man sich bei den Wutausbrüchen und hämischen Lachern der bösen Hexe manchmal ein wenig mehr Stimmgewalt. Schauspielerisch ist sie jedoch einwandfrei! Wenig bis gar nicht einschüchternd und eher blass hingehen bleibt der große, angeblich gefürchtete Zauberer von Oz, dargestellt durch zwei überdimensional große Hände, einem großen Kopf, der eigenartigerweise viel Ähnlichkeit mit einem Haribo Goldbären hat und der Stimme von Dietrich Seydlitz. Was dem „großen“ Zauberer stimmlich fehlt, macht Seydlitz spätestens mit seinem Spiel als entlarvter Schwindler und eigentlicher Jahrmarktbudenzauberer wieder wett. Die wahrscheinlich undankbarste Rolle in jedem Theaterstück – „und ihr spielt jetzt die Bäume” – wird von den drei Chordamen Tanja Höfe, Inka Lange und Katharina Spaniel mit nur wenig körperlichen Aktionen sehr unterhaltsam und effektvoll dargestellt. Vor allem an solchen Stellen lässt sich die Regieführung Böges und sein Auge für märchenhafte Bilder und deren Umsetzung erkennen.
Besonderes Highlight der Dresdner Inszenierung ist ohne Frage der mit 35 Jungen und Mädchen besetzte Kinderchor. Als quietschend bunte und fröhliche Munchkins begrüßen sie Dorothy in ihrem Land und sorgen mit „Ding Dong die Hex‘ ist tot“ und “Wir geh’n jetzt los zum Zaubrer” zweifelsfrei für weitere Ohrwürmer nach „Somewhere over the Rainbow“ an diesem Abend. Lediglich mehr choreografische Arbeit von Christopher Tölle wäre in dieser Szene wünschenswert gewesen. Die Kinder, die aller Wahrscheinlichkeit nach als Regieanweisung „bewegt euch frei und tanzt ein bisschen“ bekommen haben, wirken teilweise ein bisschen hilflos auf der Bühne. Dennoch spielen sie sehr überzeugend und sind musikalisch fit! Gleiches gilt für das Orchester unter Peter Christian Feigel. Spätestens seit der “Rocky Horror Show” dürfte klar sein, dass Feigel der Mann für die “spritzigen Sachen” am Haus ist. Er dirigiert die Musiker flott und sicher durch das Stück, was bei derart vielen Titelwiederholungen wie in diesem Musical sicherlich nicht selbstverständlich ist.
Aus dramaturgischer Sicht (Dramaturgie: Heiko Cullmann) muss man jedoch einen großen Abstrich machen. Es erschließt sich nicht, warum Dorothy, als sie wieder in Kansas angekommen ist, zwar auf Onkel Henry und Tante Em trifft, aber gleichzeitig auch auf die Vogelscheuche, den Blechmann und den Löwen, anstatt auf die Farmarbeiter Hunk, Hickory und Zeke!
Für Kinder – oder für alte Osthexen?
Natürlich ist klar, dass es unmöglich für die Darsteller ist, sich innerhalb weniger Sekunden umzuziehen, abzuschminken und neu geschminkt zu werden. Jedoch wird somit der rote Faden des Stückes an dieser Stelle leider nicht zu Ende gesponnen, sondern läuft einfach „irgendwie“ aus. Genau dieses Ende hätte eigentlich der Grund sein müssen, die viel zu lange Anfangsszene auf der Farm dem Rotstift zu opfern. Dazu kommt, dass bereits mehrere Theater bewiesen haben, dass man das Musical „Zauberer von Oz“ auch in gestrafften und kinderfreundlichen 90 Minuten erzählen kann, ohne dem Stück damit zu schaden. Die Staatsoperette entscheidet sich anscheinend bewusst gegen weitere Textstriche und zieht das Stück somit unnötig in die Länge. Für Kinder, egal in welchem Alter, werden einige Passagen vor allem im zweiten Teil des Stückes zu langatmig sein. Dazu kommt, dass nur vier der 12 Vorstellungen zu kindgerechter Zeit gespielt werden! Mit gut zweieinhalb Stunden Stückdauer plus Pause ist der Zauberer von Oz definitiv zu lang!
Alles in allem ist die Inszenierung von Arne Böge äußerst sehenswert. Ihm ist es bei seinem Regiedebüt an der Staatsoperette zweifelsfrei gelungen, ein zauberhaftes, musikalisches Märchen auf die Bühne zu bringen. Gratulation!
Nächste Vorstellungen: 26., 27. Januar; 2., 3. Februar; 12., 13. März.