Die Zutaten klingen verführerisch. Viel Herzblut, Ein Schuss Ennio Morricone, ein paar Noten aus Mozarts "Türkischem Marsch", einige vertrackte Rhythmusrätsel, aber auch nahbare und würzig duftende Melodien: das 2010 in Wismar uraufgeführte Trompetenkonzert von Fazil Say hat das Zeug zum Publikumsliebling. Für den Trompeter Gábor Boldoczki, der es damals uraufführte und anschließend der Dresdner Philharmonie zur Wiederaufführung ans Herz legte, war es auch der Beginn einer Freundschaft: mit Fazil Say hat Boldoczki seitdem mehrfach zusammengearbeitet, auch das "Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester" von Dmitri Schostakowitsch haben die beiden schon mehrfach gemeinsam aufgeführt. Ungewöhnlich ist das deshalb, da die Musizierstile der beiden Künstler unterschiedlicher nicht sein könnten. Der mit Spielbewegungen zurückhaltende Boldoczki auf der einen Seite: ein Trompeter mit einer stupenden Technik, jede messerscharf artikulierte Note sitzt an ihrem Platz; in Sachen Intonation, Dynamik und fährt er hochkonzentriert und kontrolliert die Ideallinie. Say dagegen: als Pianist erlaubt er sich Mätzchen, spielt mit den Füßen in der Luft; er dirigiert mit, wenn am Instrument gerade nicht viel los ist oder dreht sich passagenlang mit den Rücken zum Publikum, um den Streichern beim Spielen zuzusehen. Seinen Komposition tut diese Springinsfeld-Stilistik gut, sie gewinnen durch die kaum zu bändigende Emotionalität. Und auch die Interpretationen des Pianisten Say haben eine ehrliche Direktheit – die Musik lebt.
Warum der Klavierpart des Schostakowitsch-Konzerts am Samstag Abend großflächig verwischt und allenfalls mäßig inspiriert klang? Darüber braucht nicht lange spekuliert zu werden. Dem Künstler drohen in seinem Heimatland mehr als sechs Jahre Haft für einen in einem Online-Netzwerk geäußerten, der Anklage nach religionsverletzenden Witz; das Urteil soll in acht Tagen gesprochen werden. Ausgerechnet der so weltoffene Ausnahmekünstler Fazil Say ist nun – mindestens für die Dauer des Prozesses – zum Mundhalten verurteilt, plant dem Vernehmen nach, nach Japan auszuwandern. Wer wollte, konnte der phänomenalen, von Orchester und Solisten tempomäßig ins Äußerste getriebenen Schlussraserei des Schostakowitsch-Konzerts (ja, ausgerechnet!) diese bittere Note anhören.
Die Mozart-Sinfonie nach der Pause konnte die Intensität des ersten Konzertteils weitertragen. Unter Michael Sanderling feilte das Orchester ausgiebig an einzelnen Effekten, arbeitete kleinteilig und nahm am Ende verdient langen Applaus entgegen. Indes hätte die Sinfonie im ersten Konzertteil vielleicht die stimmigere Dramaturgie ergeben. Die Gänsehaut, die die Programmheftautorin für den Mozart vorausgesagt hatte, blieb – nach dieser intensiven ersten Konzerthälfte – am Ende doch aus.
Eine Textfassung des Artikels ist am 11. Februar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.