Die Zutaten versprachen Hörgenuss für Fortgeschrittene: Werke von Joseph Leopold Edler von Eybler und Paul Wranitzky umrahmten ein "à la carte" serviertes Violinkonzert von Ludwig van Beethoven. Dass diese Werkmischung den Gaumen herausforderte und am Ende doch köstlich mundete, war bei einem gewitzten Feinbäcker wie dem Ex-Geiger und Dirigenten Reinhard Goebel zu erwarten. Aber dass dann doch die kleinen Grüße aus der Küche um Längen besser schmeckten als das bestellte Hauptgericht…?
Wenig verwunderlich, dass das touristisch dominierte Publikum im Großen Saal des Internationalen Congress Centers zu Beginn des Konzerts irritiert im Programmheft blätterte. Schien die Musik einerseits wohlbekannt zu sein, andererseits… von einem Komponisten, der heute völlig in der Versenkung verschwunden ist? Das Rätsel löste sich spätestens am Ende des Konzertes, als die Ohrwurm-Formel erneut erklang, diesmal in einer Bearbeitung von Antonio Salieri: "Follia di Spagna" heißt sie, war zu Barockzeiten ein echter Schlager und ist heute am ehesten mit dem Namen Arcangelo Corellis verbunden, der das Thema in einem virtuosen Variationszyklus verarbeitete. Wer die Augen schloss, hätte den "Dresdner Klang" der Philharmonie dabei nicht wiedererkannt: knabenhaft schlank, sportlich, feingliedrig musizierte das verkleinerte Ensemble, Vibrato wurde nur "im Notfall" oder aus Versehen eingesetzt.
Die Harfenistin Nora Koch wie die Konzertmeisterin Heike Janicke hätten für ihre explosiven, mit Spiellust dargebotenen Soli eine lobende Programmheft-Erwähnung jedenfalls verdient gehabt. Erst recht neben dem Zugpferd des Programms, Victoria Mullova. Die spielte sehr konzentriert aus den Noten, und machte doch eine Dreiviertelstunde lang den Eindruck, als absolviere sie in diesem nüchternen Kongress-Saal nur einen unvermeidlichen Geschäftstermin. Während das kleine Orchester sich in dem – man höre und staune – akustisch grundanständigen Konzertzimmer des Hauses (warum wurde es für Konzerttermine bisher nie aufgebaut?) alsbald wohlzufühlen schien, wirkte das Spiel der Geigerin kühl, an der Grenze zur Schalheit. Während etwa die Holzbläser ihre Soli anmutig gestalteten, buchstabierte Victoria Mullova die Kadenz des Eingangssatzes wie eine Pflichtübung, konterkarierte beinah die Idee dieses Exkurses, der das Publikum ja mit immer überraschenderen virtuosen Feuerwerken über die Grenzen des Gewöhnlichen hinaustragen soll.
Bevor die Geigerin im Mai wieder in der Stadt ist, spielt sie Bach, Bartók und Schostakowitsch in Barcelona, Mantua, Cremona, Hamburg, London, Paris, Bogota, Tokyo, Kyoto, Luxemburg, Kaiserslautern und Luzern. "Der Kopf, nicht das Instrument, macht die Musik" – das ist ein Ausspruch Goebels. Vielleicht hat die Geigerin den ihren schlicht auf Tournee vorausgeschickt?
Eine Textfassung des Artikels ist am 18. März in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.