Eine Ballettpremiere steht ins Haus, am Freitag ist es soweit, „Romeo und Julia“, die unsterbliche Geschichte einer tödlichen und gerade deshalb so berührenden Liebe, die Shakespeare nach einem historischen Ereignis von 1303 in Verona zu einem seiner großen Stücke machte. Bald schon ein Stoff, aus dem die Tänze gemacht sind. Aber erst die Uraufführung des Balletts zur Musik von Sergej Prokofjew, vor 75 Jahren in Brünn, macht die getanzte Version des Dramas zu einem der erfolgreichsten Stoffe der Ballettgeschichte. Immer wieder Herausforderung für eine Ballettkompanie und für Choreografen, die eigentlich bekannte Geschichte so zu erzählen, dass wir spüren, es bedarf der Sprache nicht. Die Körper der Tänzerinnen und Tänzer erzählen, die Musik führt in diesem Falle auch noch weit über den optischen Eindruck hinaus.
Eine höchst komplexe Kunst, der Tanz, das Ballett. Für mich immer wieder verblüffend, wenn ich Aufführungsfotografien sehe und sofort der Film aus Erinnerungen beginnt. Ein festgehaltener Moment, und natürlich kommt es darauf an wie er festgehalten wurde, kann im besten Falle die Emotionen des ganzen Stückes lebendig werden lassen, von dem er nicht mehr als den berühmten Augenblick wiedergibt. Das ist der Augenblick des Fotografen, das ist, ganz aktuell bei den Fotografien aus „Romeo und Julia“ in Dresden, der Augenblick des Costin Radu.
Dass er einmal zum Tanz- und Ballettfotografen würde, stand nicht von Anfang an fest. Zunächst war es ein Hobby, im letzten Jahr, als er hier in Dresden selber als Tänzer auf der Bühne war. Elf Jahre gehörte er der Ballettkompanie an, dann im zwölften und letzten Jahr begann er zu fotografieren. Aber da schon interessierte es ihn, wie es möglich ist, letztlich mit wenigen Aufnahmen etwas festzuhalten, was Auskunft gibt über den gesamten Charakter einer Choreografie. Und so wie er zuvor als Tänzer den Entstehungsprozess erlebt hatte, so begann er jetzt als Beobachter, als Fotograf, einen solchen kreativen Prozess nicht zu begleiten, sondern wieder mitzuerleben und auf seine spezielle Weise auch mit zu gestalten. Die Erfahrungen des Tänzers brachte er ja mit.
So war es in der Rückschau unverschämtes Glück, dass Aaron S. Watkin, der 2006 als Ballettdirektor in Dresden seine Arbeit begann, ihn bat, eine neue Präsentation der Kompanie mitzukreieren. Costin Radu hat hart gearbeitet. Die technischen Fertigkeiten, so sagt er heute, sind ein Sache, aber die andere, die muss man erfühlen, das ist die Kunst dahin zu kommen, dass am Ende die Ästhetik des Stückes die der Fotografie bestimmt. Die emotionale Seite bleibt immer wichtig für die Aussagekraft einer Fotografie im Tanz. Natürlich könnte man im Studio die perfekten Posen festhalten, aber das ist es nicht, was ihn so stark interessiert an dieser Kunst: in einer Momentaufnahme etwa die Dynamik einer ganzen Variation zu vermitteln. Da ist die originale Situation auf der Bühne die große, aber auch die spannende Herausforderung.
Costin Radu erklärt mir, dass es eine Sache ist, eine ganz bestimmte, technische Raffinesse, einen Sprung, eine Arabesque, mit der Kamera festzuhalten. Das genügt ihm aber nicht, die Authentizität kommt dazu. Man muss die Tänzerinnen, die Tänzer kennen, man muss sie lange beobachten, um eben gerade jene klassischen Haltungen so zu fotografieren, dass die Persönlichkeit des Tänzers oder der Tänzerin hinter puren Demonstration des Könnens nicht verloren geht. Natürlich kann man die Sprunghöhe eines Tänzers ausstellen, man kann durch die Abbildung der Höhe der Beine bei einer Tänzerin den Betrachter staunen lassen, aber das macht künstlerisch erst Sinn, wenn sich das technische Können und die Ausstrahlung der Persönlichkeit in der Fotografie vermitteln. Und da, so Costin Radu im Gespräch, ist diese Kompanie, wie sie Aaron S. Watkin aufgebaut hat, das pure Glück für einen Fotografen. Das sind pure Individualisten, die technischen Fähigkeiten sind toll, so toll, dass selbst in strengen klassischen oder neoklassischen Synchronbildern, der einzelne Tänzer, die einzelne Tänzerin nicht als Künstler verloren gehen. Ob im Handlungsballett, im Klassiker, oder in der abstrakten, zeitgenössischen Choreografie: man muss als Fotograf den Beziehungen der tanzenden Menschen nachspüren. Radu sagt, er möchte mit den Tänzern malen. Dabei entstehen Skizzen, Entwürfe, fertige Bilder, die aber dennoch verworfen werden. Von den bislang 500 Fotografien, die er von „Romeo und Julia“ gemacht hat, konnten nach einer gemeinsamen Sichtung mit dem Choreografen Stijn Celis gerade 50 vor vier kritischen Augen bestehen. Ja, das ist gut so, das ist ähnlich wie im Probenprozess, das Beste kommt auf die Bühne, die besten Fotografien werden freigegeben. Und die besten müssten die sein, die Menschen Lust machen, sich eine Aufführung anzusehen, oder überhaupt ins Ballett zu gehen.
Der im rumänischen Constanza geborene Costin Radu kam schon als Kind mit dem Ballett in Berührung. Die Eltern nahmen ihn mit in die Oper, an „La Traviata“ oder „Rigoletto“ erinnert er sich. Stärker waren die Eindrücke bei „Giselle“ oder „Don Quixote“. Die ältere Schwester nahm Ballettunterricht, der kleine Bruder ging mit und dann gleich an die Nationale Ballettschule in Bukarest. Mit 14 Jahren geht er nach Washington, an die Kirov Ballett Akademie, von dort ins erste Engagement nach Korea, für ein halbes Jahr reist er mit der dortigen Universal Ballet Company und 1997 kommt er nach Dresden und bleibt.
Heute hat sich Costin Radu in Kopenhagen niedergelassen – und wird inzwischen international als Ballettfotograf gebucht. Die zweite Karriere eines Tänzers, und das große Glück für ihn, der zweite Aufbruch in die Welt, jetzt mit der Kamera. Gerade bevor er jetzt nach Dresden kam hatte er in Kopenhagen beim Königlichen Ballett fotografiert, auch „Romeo und Julia“, in der Choreografie von John Neumeier. Zuvor war er in New York gebucht, und wenn demnächst die Kollegen in Kopenhagen ihrem Hausgott mit einem Ballettabend, der August Bournonville gewidmet ist, huldigen, dann wird Costin Radu dieses Ereignis festhalten mit seinen Fotografien. Unsere Zeit ist um, die Proben gehen weiter, ob es noch mal 500 Fotos werden?
Am Freitag ist Premiere, „Romeo und Julia“ in Dresden, man sieht sich, man erinnert sich an das, was man gesehen hat, wenn man die Fotos von Costin Radu sieht.