Als Richard Wagner im Februar 1843 zum „Königlich Sächsischen Hofkapellmeister“ und damit Leiter der Dresdner Hofkapelle (der heutigen Staatskapelle) berufen wurde, muss er sich am Ziel seiner Träume gewähnt haben: Nach Jahren des Misserfolges und des Hungerns in Paris, wo er sich mit Musikkritiken über Wasser hielt, kam er in die Stadt zurück, in der er seine Jugend verbracht hatte – und in der er in den folgenden sechs Jahren die entscheidenden Weichen für seine weitere Entwicklung stellte.
1813 in Leipzig geboren, wuchs Wagner nach dem frühen Tod seines Vaters und der Wiederverheiratung seiner Mutter schon ab 1814 in Dresden auf, wo sein Stiefvater Ludwig Geyer als Schauspieler am Königlichen Hoftheater engagiert war. Ab 1822 wurde er Schüler der alten Dresdner Kreuzschule (neben der Kreuzkirche), wo er im April 1827 – noch unter dem Namen Richard Geyer – konfirmiert wurde. Zuvor hatte er im alten Kleinen Hoftheater, dem sogenannten Moretti-Theater, den damaligen Hofkapellmeister Carl Maria von Weber (den Komponisten des „Freischütz“ und der „Euryanthe“) erlebt, was den Neunjährigen zu dem spontanen Ausruf bewegte: „Nicht Kaiser und nicht König will ich sein, aber so dastehen und dirigieren.“
Dieser Wunsch wurde allerdings erst Jahrzehnte später Realität: Nach ersten Engagements in Würzburg, Magdeburg, Königsberg und Riga musste Wagner 1839 – hoch verschuldet – über London nach Paris fliehen, wo er wahre Hungerjahre verlebte. Der einzige Lichtblick in dieser Zeit war die Nachricht, dass das Dresdner Hoftheater seine große tragische Oper „Rienzi“ zur Uraufführung angenommen hat! Die Premiere des Werkes, die daraufhin am 20. Oktober 1842 unter Leitung des Hofkapellmeisters Carl Gottlieb Reißiger im prächtigen neuen Hoftheater stattfand (dabei handelt es sich um das 1841 eröffnete, erste Dresdner Opernhaus des Architekten Gottfried Semper, das 1869 einem Brand zum Opfer fiel) war ein riesiger Erfolg, der sich in dieser Form erst 1867 wieder mit der Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ in München wiederholen sollte.
Der Kassenerfolg des Werkes hatte zur Folge, dass man auch Wagners nächste Oper, „Der fliegende Holländer“, in Dresden zur Uraufführung annahm. Obwohl die Produktion sehr prominent besetzt war – Wilhelmine Schröder-Drevient etwa, die berühmteste dramatische Sopranistin der damaligen Zeit, sang die Partie der Senta – wurde das verblüffend neuartige Werk aber zunächst nur lau aufgenommen. Erst später hat man die visionäre Bedeutung der Partitur erkannt. Dennoch brachte das Jahr 1843 Wagner auch viel Glück: Im Februar wurde er nach einem Probedirigat der Weber-Oper „Euryanthe“, wie erwähnt, zum Dresdner Hofkapellmeister ernannt und setzte in dieser Position schon bald künstlerische Akzente. Im Juli des Jahres zum Beispiel leitete er die Uraufführung seines chorsinfonischen Werkes „Das Liebesmahl der Apostel“ in der Dresdner Frauenkirche, das er extra für den Kirchenraum komponiert hatte und im Rahmen eines Musikfestes der sächsischen Männergesangvereine mit rund 1200 Sängern und 100 Musikern aufführte!
In Dresden setzte sich Wagner auch für die Überführung der Gebeine seines Vorgängers Carl Maria von Weber ein, der 1826 in London gestorben war. Für das „zweite“ Begräbnis Webers, das im Dezember 1844 auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden stattfand, komponierte Wagner eine Trauermusik und hielt eine berühmte Grabrede. Ein anderes großes Vorbild war für ihn zeitlebens Ludwig van Beethoven, dessen neunte Sinfonie er zu Palmsonntag 1846 dirigierte und der er damit zu einem wichtigen Erfolg verhalf: die Sinfonie galt damals noch als umstritten. Wagners mitreißende Aufführung kann als der Höhepunkt seiner Dresdner Kapellmeistertätigkeit gelten.
Bereits im Oktober 1845 hatte seine romantische Oper „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg“ an der Hofoper ihre Uraufführung erlebt. Robert Schumann, der zu dieser Zeit ebenfalls in Dresden lebte, hörte das Werk in einer der ersten Aufführungen und schrieb (nach anfänglicher Ablehnung): „… gewiß ein geistreicher Kerl voll toller Einfälle und keck über die Maßen.“ Schumann und Wagner kannten einander, hatten künstlerisch jedoch sehr unterschiedliche Ansichten. Dies wurde zum Beispiel deutlich, als Wagner im November 1845 im „Engelclub“, einem regelmäßigen Dresdner Künstlertreff, den Text zu seiner nächsten Oper, „Lohengrin“, vorlas – den der anwesende Schumann für nicht komponierbar hielt! Wagner vertonte ihn trotzdem, in seiner neuen Wohnung im Marcolini-Palais (dem heutigen Krankenhaus Friedrichstadt) und in einem Landhaus in Graupa bei Dresden. Die Uraufführung des Werkes, die eigentlich in Dresden geplant war, hat er jedoch nicht miterlebt: Sie wurde vereitelt durch die Revolution des Jahres 1849, an der Wagner, überzeugt von bürgerlich-demokratischen Anschauungen, aktiv teilnahm. Diese Haltung war allerdings mit seiner Anstellung am Hof nicht vereinbar: Wagner musste Dresden verlassen und wurde im Königreich Sachsen steckbrieflich gesucht …
So fand die Uraufführung des „Lohengrin“, organisiert durch seinen Freund Franz Liszt und in Abwesenheit Wagners, 1850 in Weimar statt. In Erinnerung an seine Dresdner Jahre und den Klang der Hofkapelle hat Wagner später geäußert: „Keine Lohengrin-Partitur ohne den Schimmer der Dresdner Geigen, kein spätes Werk ohne die Erinnerung an rührende Holzbläser-Kantilenen und sonore Pracht des Blechs.“
Wagner wusste, wovon er sprach: Anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Hofkapelle hatte er 1848 in einem Festkonzert das Finale des 1. „Lohengrin“-Aktes in Dresden uraufgeführt. Bei diesem Anlass sprach er von der Hofkapelle (übrigens dem einzigen Orchester, dem er zeitlebens als Hofkapellmeister vorstand) in einem Trinkspruch auch als dem „kostbarsten Institut des Vaterlandes“. Um dieses Institut zu sichern und seine Schätze zu bewahren, hatte er in seiner Dresdner Zeit auch verschiedenste kunsttheoretische Schriften verfasst, darunter „Die Königliche Kapelle betreffend“, in denen er neben einer Orchesterschule zur Ausbildung des Nachwuchses auch ein eigenes Konzerthaus forderte (das es bis heute in Dresden nicht gibt). In anderen theoretischen Schriften aus dieser Zeit formulierte seine Ideen zu einer grundlegenden Reform des Theaters – die er erst viele Jahre später im Bayreuther Festspielhaus umsetzen konnte.
Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg: Nach der Flucht aus Dresden folgten für Wagner wieder Jahre des Suchens und des Exils, in denen er die Idee seines „Musikdramas“ weiter entwickelte und schließlich ausformulierte. Mit der Einrichtung der Bayreuther Festspiele kam er 1876 letztlich am Ziel seiner Träume an. Interessant ist im Rückblick allerdings, dass Wagner sich bereits in seiner Zeit als Dresdner Hofkapellmeister mit den Stoffen zu all seinen späteren Werken auseinandersetzte – vom gigantischen „Ring des Nibelungen“ über „Tristan“ und „Meistersinger“ bis hin zum späten „Parsifal“. Dies geht aus seiner vollständig erhaltenen Dresdner Bibliothek hervor, die sich heute in der Villa Wahnfried in Bayreuth befindet.
Erst im Spätherbst 1862 kehrte Wagner – nach mehr als dreizehn Jahren – nach Dresden zurück, nachdem ihm durch eine Amnestie des Königs die freie Einreise nach Sachsen gestattet worden war. Dreimal war er danach noch in der Stadt an der Elbe zu Gast, 1871, 1873 und 1881, und erlebte dort Aufführungen seiner Werke (beim letzten Besuch schon in der „zweiten“ Semperoper) mit seiner ehemaligen Hofkapelle im Orchestergraben. Bereits 1858 hatte er seiner Frau Minna in einem Brief gestanden: „Dresden ist doch am Ende der einzige Ort, wo ich sozusagen zu Hause bin, überall sonst in der Fremde.“