Kniehoch sei der Schnee in Salzburg gewesen, erinnert sich Christian Thielemann, als Herbert von Karajan 1981 zu den Osterfestspielen anreiste. Der »Parsifal« stand damals zu Karfreitag auf dem Programm – und ist offenbar nicht wenigen Festspielgästen musikalisch bis heute in Erinnerung. Gelegenheit war dieses Jahr für manch spannenden Vergleich: ehemals als blutjunger, wissbegieriger Assistent in der Stadt, hakt Thielemann als Künstlerischer Leiter mit einer Neuinszenierung der Oper im Wagnerjahr nun einen weiteren dicken Punkt auf der ehernen dirigentischen Wunschliste ab. Neben seinen Dresdner Verpflichtungen und der Bayreuther Sommerfrische fügt sich Salzburg als vorerst letztes größeres Puzzleteilchen in seinen Jahresplan.
Auch, wenn die Salzburger Thielemann als rechtmäßigen Karajan-Erben anerkennen und er sich als "Vertreter Richard Wagners auf Erden" (Opernwelt) fühlen darf: ganz risikolos war es sicher nicht, das Gründungsorchester der Festspiele zu beerben. Auch wenn die Sächsische Staatskapelle zu Hause weltberühmt ist, konnte sie doch jahrzehntelang nur über namhafte Gastdirigenten den Kontakt zur internationalen Musikwelt halten. "Können die das überhaupt, oder ist der Schuh zu groß für die?" – diese Frage habe natürlich im Raum gestanden, sagt der Dirigent. Auf "seine" Dresdner kann sich Thielemann indes verlassen, das weiß er; nicht nur künstlerisch, auch menschlich "kann" er mit ihnen gut, und sagt, was das künstlerische Selbstbewusstsein des Orchesters angehe, sei das eine "Identität ohne Arroganz."
Freundlich und bescheiden haben sich die Dresdner Musiker hier vorgestellt, gut präpariert waren sie (auch wenn bei einigen Konzerten nervöse Wackler spürbar waren), die Moderation zweier Konzerte durch Orchestermitglieder kam bestens an. Überhaupt: die Geste, die "neuen" Osterfestspiele mit der "Kapelle für Kids" zu eröffnen, einem vom Solohornisten erdachten Kinderprogramm, sie wurde verstanden. Bis nächstes Jahr wird sich unter den Salzburger Knirpsen auch herumgesprochen haben, wie lustig diese KfK-Konzerte sind – und auch dieses Auftaktkonzert wie viele andere der 2013er Ostersaison ausverkauft sein.
Und wie hat der Intendant Peter Alward den ersten Dresdner Jahrgang empfunden? Zum Abschluss des ersten Konzertzyklus treffen wir ihn nach einer kurzweiligen "Nacht der Dresdner Kammermusik" im "republic"-Club. Alward wirkt erleichtert – und bestätigt, glücklich zu sein, dass Thielemann und die Kapelle in kürzester Zeit hier so angenommen worden sind, "dass sie sich jetzt schon als Teil unserer Familie fühlen können." Bereits in der Parsifal-Premiere sei das Eis gebrochen gewesen. Und spätestens bei den stehenden Ovationen, die das Publikum nach einer "Vierten" von Brahms spendete (Alward: "Ich gestehe, so etwas habe ich hier seit Karajan nicht mehr erlebt!"), war allen Beteiligten klar: das wird was mit Salzburg und den Sachsen.
Als dann noch das "Konzert für Salzburg" galant über die Bühne des Großen Festspielhauses gegangen war – Alward hat es als "Riesen-Wagnis" bezeichnet, zwischen den beiden Konzertzyklen einen Abend sozusagen am Stammpublikum vorbei anzubieten –, war der erste Jahrgang in der Tasche. Fürs Orchester ist das neue Oster-Engagement ein wichtiger internationaler Ritterschlag. Und die Österreicher sind schlicht froh, eines ihrer namhaftesten Festivals nach dem Abwanderungsschock der Berliner so geräuschlos gerettet zu wissen. Der Ténor in der Stadt, nach den ersten Konzerten: klar, die Berliner sind die Berliner. Aber die Dresdner sind viel mehr als eine Ersatzkapelle. Ihre Fähigkeit, Oper und Konzert gleichermaßen virtuos zum Klingen zu bringen, begeistert. Und dieser Klang! Jaja…
Auch außerhalb der Musiksphäre sind Annäherungen zu verzeichnen. Das Salzburger Museum bietet dieser Tage eine Sonderschau, deren Exponate aus der Dresdner Skulpturensammlung stammen. Die beiden Städte, die seit Beginn der Neunziger eine Partnerschaft verbindet, wachsen sacht näher und näher aneinander heran. Auch wenn nicht zu erwarten steht, dass demnächst Massen von Elbestädtern an die Salzach pilgern – können sie die Kapellkonzerte und sogar die Festspielinszenierungen doch zuhause zu ganz anderen Eintrittspreisen erleben –, so äußerten doch manche Salzburger, bald einmal sächsische Luft schnuppern zu wollen. Gute Nachricht für sie zum Schluss: der Dresdner Chefdirigent will sich (natürlich nicht ganz uneigennützig) für einen Direktflug starkmachen.
Der Text entstand für »crescendo«. Die ausführliche Berichterstattung aus Salzburg hier.