Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Privatleute einspringen, wenn sich öffentliche Veranstalter zurückziehen. Vor noch nicht allzu langer Zeit gehörte es in den meisten Konzert- und Opernhäusern schlicht zum guten Ton, mit Liederabenden aufzuwarten und dem Publikum diese besondere Gattung Kunstlied zu präsentieren. Doch mehr und mehr wurde dieses feine Engagement in den 1990er Jahren zur Rarität.
Grund genug für einen Musikliebhaber wie Dirk Mürbe, dem heutigen Leiter der Abteilung Phoniatrie und Audiologie der Universitätsklinik Dresden, gemeinsam mit Gleichgesinnten für Ersatz zu sorgen: „Wir waren damals Studenten und hatten gut Zeit. Als in Dresden, sonst immer eine Hochburg des Liedes, diesbezüglich ein Sinkflug einsetzte, haben wir uns mit der Idee zusammengetan, um eine neue Form zu etablieren, damit es wieder mehr Lied zu hören gibt. Wir trafen uns ja regelmäßig im vierten Rang der Oper.“ Dort also wurden die ersten Pläne mehr Lied in Dresden geschmiedet.
Mehr Lied in Dresden!
Damit war die Idee „Das Lied in Dresden“ geboren, der junge Verein wurde rasch von namhaften Interpreten unterstützt, die ihre künstlerischen Kontakte ins Spiel brachten, weil sie von dieser Idee sofort überzeugt waren. Mit großen Namen im Hintergrund – Mürbe nennt Peter Schreier und Olaf Bär, aber auch Dietrich Fischer-Dieskau, Edith Matthes, Brigitte Fassbaender, Robert Holl, Kurt Moll – habe man die neue Reihe sehr rasch in Dresden etablieren können.
Der Universitätsprofessor befasst sich beruflich und privat mit der menschlichen Stimme verschrieben, er ist sich bewusst, dass man 1998 mit dieser Initiative ein hohes Risiko eingegangen sei. Ein Risiko, das sich nun freilich schon 99 Mal gelohnt hat. Und auch das 100. Mal dürfte ein Erfolg werden, wiewohl Dirk Mürbe einräumt: „Ein Liederabend ist immer etwas für einen kleinen Kreis, ist intim, diese Begrenzung muss man akzeptieren. Wer da Feuer gefangen hat, ist treu. Und unser Publikum war von Anfang an treu.“
Den besonderen Wert dieser Gattung hat Fischer-Dieskau in einem Grußwort an „Das Lied in Dresden e.V.“ einmal sehr schön auf den Punkt gebracht: „Aber das Kunstlied als zarte Pflanze braucht stets immer neue Hingabe und unbeirrbaren Einsatz, um allen Widerständen standzuhalten.“
Wie sehr „Das Lied in Dresden“ allen Widrigkeiten standgehalten hat, zeigt die Kontinuität der Reihe bis zum nun schon 100. Liederabend. Der wird im Konzertsaal der Musikhochschule von der finnischen Kammersängerin Camilla Nylund gestaltet, die als einstiges Ensemblemitglied der Semperoper einem breiten Publikum bekannt ist, heute jedoch an der Mailänder Scala ebenso begehrt ist wie an der Staatsoper Wien oder bei den Bayreuther Festspielen.
Die in Vaasa geborene Sopranistin freut sich auf dieses Konzert: „Ich finde das ganz ganz toll, dass man zum 100. Mal ein Liedkonzert von einer privaten Initiative veranstalten kann. Fantastisch, dass das so weit gekommen ist!“ Ihr Programm zum Jubiläumskonzert hat Camilla Nylund ganz gezielt für Dresden zusammengestellt. Es beinhaltet Reverenzen an ihre einstige und an ihre heutige Heimat. „Da ich halt Finnin bin und in Dresden lebe, finde ich das sehr schön, dass ich auch Lieder aus meiner Heimat vorstellen kann. Zum Beispiel diese Lieder von Armas Järnefelt, die, wie ich glaube, noch nie in Dresden aufgeführt wurden.“
Järnefelt war der Schwager von Jean Sibelius, einem Komponisten, der für Camilla Nylund stets eine große Rolle gespielt hat: „Er hat mich durch mein ganzes Berufsleben immer verfolgt. Von meinen Anfängen bis heute, jedes Jahr singe ich Musik von Sibelius.“ Und zum Wagner-Jahr stehen – natürlich – die „Wesendonck-Lieder“ mit auf dem Programm, dazu aber auch Lieder von Richard Strauss, der Camilla Nylund „besonders am Herzen liegt. Ich liebe seine Musik, seine Lieder, das ist für mich eine Wohltat.“
Große Namen und Nachwuchs
Die Reihe „Das Lied in Dresden“ hat sich jedoch nicht nur den ganz großen Namen verschrieben, sie widmet sich regelmäßig auch künstlerischem Nachwuchs. Dirk Mürbe hat bereits Konzert Nummer 101 im Blick, das am 12. Mai von der Liedklasse der Dresdner Musikhochschule unter Leitung von Olaf Bär gestaltet werden wird: „Die Kooperation mit der Musikhochschule ist eine große Bereicherung unserer Reihe. Von Anfang an gehört ein Abend im Konzertjahr den Studenten der Musikhochschule, denn wir wollen sowohl große Künstler nach Dresden holen als auch jungen Künstlern ein Podium geben.“
So hält er es auch mit den Inhalten von „Das Lied in Dresden“ – da sollen nicht nur die bekannten Repertoirestücke erklingen, sondern auch Raritäten, um ein facettenreiches Programm mit einem sehr breiten Lied-OEuvre zu bieten.
Das Konzert am 12. Mai wird von MDR Figaro aufgezeichnet und am 18. Mai im Opernmagazin gesendet.
„Das Lied in Dresden“ zum 100. Mal: Sonntag, 21. April, 19.30 Uhr, Konzertsaal der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, Wettiner Platz 13
Kammersängerin Camilla Nylund, Sopran; Jobst Schneiderat, Klavier