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„Sie können sicher sein, dass ich Sie wachhalte“

Machte im »Musik in Dresden«-Gespräch eigentlich gar nicht so einen verrückten Eindruck: der Dirigent Tomáš Netopil (Foto: PR)

Tomáš Netopil, fassen wir mal zusammen, was uns heute Nachmittag in der Semperoper erwartet: ein lange vergessener, zweitklassiger Komponist. Eine Oper, die fünf Stunden dauert. Eine fünf Jahre alte Inszenierung aus Stuttgart. Sind Sie nicht verrückt, so einen Job anzunehmen?

Es ist verrückt, ja. Ich habe mit dem Regieteam auch etwas gekürzt. Wir machen jetzt zum Beispiel am Anfang einen wirklich großen Sprung: von der Ouvertüre spielen wir nur den Beginn und gehen dann direkt in die erste große Nummer des Ersten Akts. Es ist wirklich wichtig, den Hörer bei der Stange zu halten. Und, ehrlich, diese Ouvertüre ist nicht das Spannendste an dieser Musik. Halévy hat sie bei der deutschen Aufführung genau so gestrichen. Darauf kann man am ehesten verzichten.

Was ich noch gar nicht erwähnte: "La juive" ist eine "Grand Opéra", streng formalisiert, ein großes Ballett, viele statische Massenszenen… Das entspricht mitnichten dem, was heutige Opernbesucher erwarten. Werden die enttäuscht sein?

Interessant ist, wenn Sie sich mal die Konzertprogramme im 19. Jahrhundert ansehen: die gingen oft über drei, vier Stunden. Klar, die hatten ja Zeit! Keine DVDs, kein Internet… Abends wegzugehen, war die einzige Vergnügung, die man kannte. Das führte dann zu solchen Ideen, wo der Komponist einfach mal fünf Stunden braucht, um einer Sache auf den Grund zu gehen. Natürlich könnte man sagen, "La juive" habe nicht die Spannung eines "Parsifal". Die Qualität schwankt sehr; da haben Sie die wunderschönen Nummern im ersten Akt, oder in den Finales des dritten und fünften Aktes, wo Halévy wirklich brillantes Drama schreibt. An anderen Stellen aber entspricht es vielleicht nicht unseren Hörgewohnheiten. Es ist meine Aufgabe, damit umzugehen. Ich muss den Mut haben, da das Tempo ein bisschen anzuziehen.

Fromental Halévy hat über vierzig Opern geschrieben, tolle Werke gibt es da: "Der König und der Schiffer", "L'éclair" – eine komische Oper über einen Amerikaner, der vom Blitz erschlagen wird -, oder "Jaguarita, die Indianerin". Aber: sie sind alle vergessen.

Was sagt uns das? Also, wir müssen "La juive" unbedingt frisch servieren, Längen vermeiden. Ich versuche, den Sängern große Aufmerksamkeit zu schenken, sage ihnen aber auch: singt nicht so viele Koloraturen. Wir müssen das für einige wichtige Momente aufsparen. Die größte Verantwortung kommt bei so einem Stück der Regie zu.

Sergio Morabito und Jossi Wieler, die das Stück gemeinsam für die Oper Stuttgart inszeniert haben, retteten sich vor den Problemen, ein solches Libretto heute auf die Bühne zu bringen, in eine Art "Spiel im Spiel": da führen Dorfbewohner auf der Bühne ein Laientheaterstück auf. Die Noten aber stehen nun mal da, wie sie der Komponist geschrieben hat. Was macht man heute mit ihnen?

Wir haben es hier ja mit einem fertigen Regiewerk zu tun, das ich nicht mitentwickelt habe – aber das ist genau die große Herausforderung für den Dirigenten: zu versuchen, dass die Musik heutig und "live" klingt, und sie, genau wie die Regie es tut, sie interessant zu machen.

Richard Wagner lieferte damals eine enthusiastische Besprechung der Premiere an eine Zeitung, zu seiner Dresdner Kapellmeisterzeit wurde das Stück hier auch neu inszeniert und gern gegeben. Was mag er an "La juive" gemocht haben?

In dieser Oper könnte er den Weg gefunden haben, wie man eine solche Geschichte erzählt. Natürlich brachte er das dann in seine eigene musikalische Sprache, die einfach viel interessanter ist. Wollen Sie meine private Meinung hören? Ich denke, er war von der großen Struktur beeindruckt, aber auch amüsiert. Ein langes Ballett, die große Ouvertüre, diese komplexe Story… Es liegen eben nur wenige Jahre zwischen der Premiere von „La juive“ und Wagners „Rienzi“ …

Wie übersetzt Halévy die verschiedenen Charaktere und jüdischen oder christlichen Überzeugungen seiner Helden in Musik?

In der berühmten Arie des Eléazar finden Sie solche jüdischen Anklänge: traurige, weinende Melodien, und durch zwei Englischhörner eine sehr interessante Klangfärbung. Natürlich ist da auch diese Chorszene, wo Eléazar den Sabbat feiert. Und auch die christlichen Elemente sind plastisch umgesetzt: es gibt eine Orgel auf der Bühne, es wird lateinisch gesungen… Was jedoch zum Beispiel die Ballettmusik angeht, da finde ich überhaupt keine Verbindung zu jüdischen oder christlichen Elementen. Es ist nur eine Ballettmusik in ihren gattungsbedingten, konventionellen Grenzen.

Und warum spielt man so ein Werk heute überhaupt noch?

Für das Publikum bietet "La juive" einen guten Einblick in den französischen Opernstil des 19. Jahrhunderts. Wir gehen sozusagen an die Wurzeln des Wagner-Zeitalters zurück, das ist hochinteressant! Für mich geht die Zeit in dieser Oper sehr schnell vorbei, auch wenn es da Momente geben kann, wo die Leute ein bisschen schläfrig werden und wegdämmern wollen. Aber ich bin darauf vorbereitet, und sie können sicher sein, dass ich sie wachhalten werde. Auch wenn es mal schwierig wird! Ich tue mein Möglichstes, versprochen.

»La juive« – Oper in fünf Akten von Fromental Halévy
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Gesamtdauer 5 Stunden
Kostenlose Werkeinführung 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn

Premiere: 12. Mai 2013
Nächste Aufführungen: 20. Mai, 2., 29. Juni, 2. Juli, 15., 29. September

Musikalische Leitung: Tomáš Netopil
Inszenierung/Dramaturgie: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Bühnenbild: Bert Neumann
Kostüme: Nina von Mechow
Chor: Pablo Assante

http://www.semperoper.de/oper/premieren/detailansicht/details/57965/besetzung/8469.html

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