Seit der Wiedereröffnung der Frauenkirche 2005 ist das »War Requiem« von Benjamin Britten an diesem Ort schon einige Male zu hören gewesen, zuletzt 2008 und 2011 in Konzerten der Dresdner Philharmonie. Die Uraufführung des Requiems fand zur Neueinweihung der Kathedrale von Coventry 1962 statt. Die Partnerschaft zwischen Dresden und Coventry, die Geschichte beider Kirchen und der Menschen in den Städten geben dem Werk eine Symbolkraft, die bei der jetzigen Aufführung der Dresdner Musikfestspiele auch dadurch unterstrichen wurde, dass erstmals das Orchester in der Frauenkirche musizierte, das eben dieses Werk in Coventry uraufgeführt hat, das City of Birmingham Symphony Orchestra. Ob noch Orchestermusiker dabei waren, die damals mitgespielt haben?
An der aus der Musik heraus leuchtenden und manchmal Gefühle und Gedanken sprengenden Kraft kommt niemand vorbei. Letztlich ist das »War Requiem« auch unbestrittenes Zeugnis, dass man im 20. und 21. Jahrhundert nicht zwingend auf alte Musik zurückgreifen muss, um heutiges Nachdenken und Erinnern in einer adäquaten Sprache zu fassen – Britten fand durch Einbeziehung der Gedichte von Wilfred Owen und Aufteilung der kompositorischen Ebenen auf verschiedene Solisten und Orchesterbesetzungen eine eigene, unverwechselbare Aussage, die dem Ordinarium gleichzeitig folgt und es zeitgenössisch interpretiert.
In der vollbesetzten Frauenkirche war von Beginn an eine hohe Spannung spürbar. Das City of Birmingham Symphony Orchestra legte gemeinsam mit dem CBSO Chorus, einstudiert von Simon Halsey, im vorsichtig tastenden Requiem aeternam den Grundstein für eine eindrucksvolle Aufführung. Der lettische Dirigent Andris Nelsons, seit 2008 Chefdirigent des Orchesters leitete das großbesetzte Orchester und die Chöre mit deutlich anzumerkender Ruhe in der Gestaltung, gab damit den Solisten und dem kleinen Kammerorchester jenseits des Altars Raum zur Entfaltung. Viele klangschöne Inseln entstanden auf diese Weise, bei denen die Textausgestaltung vor allem durch den Tenor Mark Padmore ergreifend war. Die Sopranistin Erin Wall war für die erkrankte Kristine Opolais eingesprungen und überzeugte mit klug angelegter Entfaltung ihrer Stimme, vor allem im Sanctus. Hier – einer der von Britten breit angelegten Höhepunkte – musizierte das Orchester dann doch zu opulent, so dass die Spitzentönen der Frauenstimmen im Chor nicht mehr tragen konnten. Nicht ganz überzeugen konnte Hanno Müller-Brachmann in seiner ebenfalls umfangreichen Baritonpartie – empfundene Abschnitte gelangen gut, doch im forte und in der Höhe waren Grenzen hörbar.
Wuchtig und dennoch mit einer festhaltenden Kontrolle aller orchestralen Kräfte musizierte Nelsons die skandierten Steigerungen im Dies Irae aus, nahm sich Zeit für die tonalen a-cappella-Passagen, die im Libera Me dann am Ende Tröstung verhießen. Auch die Koordination mit dem aus der Höhe musizierenden Mädchenchor Hannover – einstudiert von Gudrun Schröfel – klappte gut, der gesamte Kirchenraum wurde in dieses Werk einbezogen. Ein Herauskommen aus dieser Musik kann nur langsam erfolgen, und so war es eigentlich das schönste Ereignis der ganzen Aufführung, dass Nelsons nach den letzten Tönen noch für eine mehrminütige Stille sorgte – dem Ernst der Aussage angemessen, der Musik zu Widerhall verhelfend.