Die Semperoper macht es vor: Obwohl Richard Wagner nachweislich ein frühbürgerlicher Macho gewesen ist, kann dessen Musiktheater in sanfter Umdeutung auch heute noch auf die Bühne gesetzt werden. Selbst im konservativen Dresden, wo ihm einst die königstreue Kanaille nach dem Leben trachtete. »Der fliegende Holländer« wird zwar nicht umbenannt (»Senta« müsste er in der aktuellen Sicht heißen), wandelt sich aber vom Erlöserdrama zum Emanzipationsopus. Regisseurin Florentine Klepper distanziert sich damit vom bislang vorherrschenden Weibs-Bild am Spinnrad und lässt die Matrosenbräute stattdessen kollektiv Seemanns-Nachwuchs gebären.
Bloß Senta ist schon einen Schritt weiter, die blickt nur mehr im Traum auf diese engstirnige Welt ihrer Herkunft zurück. Treu bis in den Tod? Da wird dem Holländer, dem fliegenden, rasch was gehustet – soll er doch segeln über die Weltmeere, gern weitere sieben mal sieben Jahre lang! Senta hat noch einen Koffer am Festland. Und das ist auch gut so.
Die Landesbühnen Sachsen machen es nach: Weder den Brüdern Grimm noch Ludwig Bechstein kann unterstellt werden, sie hätten im grenzenlosen Metaphernreich nicht vorsorglich gewarnt. Töchter sind zweitrangig. Söhne geben den Ton an. Aber auch die haben sich nach ihren Eltern, nein: Vätern zu richten. Und werden schon eine Frau finden, die sich dem fügt. Oder nicht?
Die oder das Aschenbrödel jedoch in Rathen – unter freiem Himmel auf der Felsenbühne, wie urzeitlich! – wäre ein Fall für die klügste derzeit amtierende Familienministerin („Das Gott“) dieses Landes. Umschreiben müsste die das Stück, wenn nicht gleich ganz und gar absetzen lassen. Schröders Christine hat da Erfahrung, nie würde sie ihrer leichtgläubigen Nachkommenschaft so schlimme Worte wie „Negerkönig“ oder gar „Zigeunerbaron“ zumuten wollen. Pippi Langstrumpf und sogar die Sendung mit der Maus müssen da noch einiges lernen. Miss Piggy und Angela „Mutti“ Merkel sowieso. Vielleicht war es okzidentaler Weitblick, dass Vaclav Vorličeks und František Pavličeks Märchenfilm »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« (Koproduktion ČSSR / DDR, 1973) keinen öffentlich-rechtlichen Kultstatus erreichte. Denn hier fügt sich zu Karel Svobodas unvergesslich sentimentaler Musik die geknechtete Titelheldin – für Mutter Ministerin: Mädchen mit Waisheitshintergrund – schier willenlos der bösen Stiefmutter und deren nicht minder fieser Tochter. Schlimmer noch, das hoffentlich gerade mal volljährige Wesen rührt mit purer Äußerlichkeit einen innerlich nicht eben gefestigten Königssohn, als soll hier an die Grundfesten teutonischen Monarchentums gerüttelt werden!
Landesbühnen-Intendant Manuel Schöbel macht sich mit seinem Team erst gar nicht die Mühe, aus der Filmvorlage eine politisch korrekte Handhabe zu stricken, als hätte er schon geahnt, dass nur „wirre Geister“ zu einer persönlichen Aneignung dramatischer Vorlagen taugen. Inzwischen haben wir zwar einer Widerrede entnommen, „Werktreue ist eine Illusion!“ – doch bedient Rathens »Aschenbrödel« das einst auch im nahen Moritzburg entstandene cineastische Opus so nibelungengetreu, dass es schon fast ein Fall für die Schatulle des Filmförderministers Bernd Neumann sein müsste. Die hinreißende Sandra Maria Huismann gibt sich in Sack und Asche ebenso wie in Brokat und Seide so unwiderstehlich weiblich, dass Michael Berndt als Prinzengeck gar nicht anders kann, ihr zu erliegen. Das gesamte Publikum tut es ja auch, ruft gar noch Ah! und Oh!, wenn Prinzabella in der vollkommenen Verschmelzung von Mädchen- und Männertraum auf Nikolaus, dem schönen Schimmel, ins Rund geritten kommt.
Auch das ist Regietheater, Theater mit einer aus dem Geist von Emotion und auf Wirkung bedacht. Sollte man das verbieten, absetzen, gegen den Strich bürsten? Oder darf man sich dem hingeben, es genießen, um es nicht zu vergessen? Machen Sie sich einen Reim darauf!
Bis zum nächsten Freitag ganz herzlich –
Michael Ernst