Die Semperoper brachte als letzte Premiere der Spielzeit Spontinis Tragédie lyrique »La Vestale« auf die Bühne. Der tragischen Musik wurde jedoch durch eine konzertante Aufführung der dramatische Handlungsspielraum genommen. Es wirkte nur wie ein halbes Kunstwerk.
Das Bühnenbild zeigte die übliche Symphoniekonzertaufstellung: das Orchester auf der Bühne, der Chor dahinter, der Dirigent davor. Irgendwo dazwischen wurden noch ein paar Sänger platziert – ach ja, es sollte schließlich eine Oper und kein Orchesterwerk mit Chor gespielt werden. Das Gefühl, ein aufreibendes, oder rührendes Stück Musiktheater geboten zu bekommen, blieb jedoch in dieser Form fern.
Und das obwohl die SängerInnen so viel zu bieten hatten. Allen voran die Hauptfiguren Julia, die Vestalin, gesungen von Maria Agresta und dem ihrem Geliebten Licinius, den Christopher Magiera darstellte. Maria Agresta fesselte durch ihren zarten und ergreifend simplen Gesang. In den zahlreichen Solostellen der Julia entfachte sie Hochspannung und ließ in unprätentiöser Dramatik und klangvoller Einfalt Gänsehautgefühl aufkommen. Doch bereits zu Beginn der Oper markierte das Duett des Licinius und seinem Kameraden Cinna, Francisco Araiza mimte den Befehlshaber, einen ersten Höhepunkt des Abends. Araiza mit seinem hellen Tenor und der etwas dumpfere, aber sehr leidenschaftliche Magiera harmonierten hörbar als Freunde in diesem Stück.
Wie fast allen SängerInnen, sah man den beiden jedoch deutlich an, dass es sie, gerade in den leidenschaftlichen Passagen, kaum noch hinter dem Notenpult hielt. Diese Musik gehört einfach nicht in ein Konzert, sondern in Szene gesetzt. Dies wurde an einigen Stellen besonders deutlich. Wenn beispielsweise einige Minuten Ballettmusik erklang, aber niemand tanzte, fragte man sich als Hörer doch, was hier gerade passiert! Im Publikum kamen nur nette kleine Instrumentalstücke an, die konzertant keinerlei Sinn machten. Des weiteren wirkte es mehr als lächerlich, wenn eine Figur die gesamte Zeit auf der Bühne sitzt, um im entscheidenden Moment überraschend in die Handlung einzugreifen, was aber für den Sänger nur hieß, sich vom Stuhl zu erheben. Und zu guter Letzt gibt es Momente, die verborgen im Orchestergraben besser aufgehoben sind, als für jedermann sichtbar auf der Bühne. Die vielen Musiker und Choristen, die lange Strecken nichts zu tun hatten und die Pausen mit anderen Beschäftigungen überbrückten (und sei es nur das Putzen des Instruments), die dramaturgisch unmotivierten Aufgänge der Harfenistinnen am Schluss und die schlicht albern wirkenden Anstrengungen der Perkussionisten mit dem Donnerblech waren nur wenige Beispiele für Störungen des Gesamtbildes einer tragischen Oper und unfreiwilliger Komik.
Selbst die so in Szene gesetzte Staatskapelle überzeugte nicht vollständig. Der Dirigent des Abends, Gabriele Ferro, schien die auswendig dirigierte Ouvertüre doch nicht ganz im Kopf zu haben – so kam das Orchester nach einigen kleinen Patzern nur langsam in Schwung. Das besserte sich zweifelsohne im Laufe der Oper, doch zeigten sich immer wieder Probleme in der Synchronisation des Orchesters mit dem Chor und den Sängern. Was durch vermehrt ungenaue Einsätze, besonders in den erzählenden Passagen, noch verschlimmert wurde. Zudem pflegt der italienische Dirigent Ferro einen sehr eigenen Dirigierstil. Während der Ouvertüre schien er streckenweise eher unkontrolliert zu zucken, als präzise anzuführen und auch später konnte man seinen Händen nicht immer einen exakten Impuls entnehmen, was sich im Laufe des ersten Akts bereits deutlich besserte.
Nein, es war nicht alles schlecht; dieser Eindruck soll keinesfalls vermittelt werden. Jeder der Sänger stand mit viel Engagement in seiner Rolle. Selbst die Nebenrollen, wie die Oberpriesterriege mit einem voluminösen und eindrucksvoll strengem Andreas Bauer und einer kühnen, in ihrer Stimme die unterschwellige Hartherzigkeit ausdrückende Tichina Vaughn, ließen streckenweise das fehlende Bühnenbild und die fehlenden Kostüme vergessen. Maria Agrestas zu Recht stark bejubelte Dramatik, die sie von tragischen Ausbrüchen bis in leiseste Trauer brachte, entfachte sogar einen Moment lang so etwas wie Atmosphäre im Saal, was die begeisterten Klatscher jedoch sofort und ohne Rücksicht auf eben jene Stimmung zu zerjubeln wussten – das nun wirklich letzte, aber gleichwohl sehr gewichtige Argument gegen die konzertante Aufführung, da diese den unkontrollierten Szenenapplaus noch zu befördern scheint. Auch den Instrumentalisten wäre unrecht getan, würde man nur über die Unstimmigkeiten berichten, entfachten sie doch immer wieder, durch ihren seidig warmen Streicherklang so große Momente und ließen so schöne, sanft hervorgehobene und wunderbar in den Gesamtklang eingepasste Soli erklingen. Auch der Chor tat sein Übriges dazu und überzeugte fast durchgängig mit kräftigem, wohl angepasstem Timbre.
Doch leider verliert man dadurch nicht das Gefühl, hier nur das halbe Kunstwerk, eine Art Übergangs- oder Notlösung, eben nur ein Fundament einer Oper, ohne den wunderschönen Überbau präsentiert bekommen zu haben.
David Buschmann