Die Aufgabe war klar. Ein Solo soll es sein oder ein Duett, der Choreograf oder die Choreografin müssen selbst tanzen. Im Festspielhaus Hellerau steht eine große, hohe Tanzbühne zur Verfügung, ein Podest, vorangestellt, befindet sich mittig zwischen den ansteigenden Zuschauerreihen, auf der Bühne, nach hinten zu, führt eine schmale Treppe auf eine erhöhte Spielfläche, ein Vorhang kann den Raum teilen. Die Varianten werden oft genutzt, nicht immer schlüssig, mitunter eher dekorativ oder pragmatisch. Überhaupt fällt in den 14 Arbeiten eine Tendenz zur großen Geste auf, dazu mag auch die Musikauswahl anregen, deren Stimmungen mehrfach von auffallend elegischer Art sind. Themen wie Freundschaft, Selbstbefragung, Balancen zu zweit oder allein auf der Suche nach dem eigenen Ich im Spiegel des anderen, Ankommen und Weggehen, das Leben mit der Zeit oder der Tanz dagegen, die Verortung in kosmischen Dimensionen und der Weg dahin durch spirituelle Praktiken oder die künstlerische Reaktion auf Erfahrungen im Alltag des öffentlichen Raumes, dürften authentisch und altersgemäß begründet sein bei den 14 Choreografinnen und Choreografen. Die tänzerische Rückbesinnung auf die Ansprüche neoklassischer Traditionen, wobei Balanchine, Celis oder Kylián derzeit eher grüßen als Forsythe und dessen verknotete Körperrätsel, mag begründet sein als überfällige Abkehr von den Tendenzen überstrapazierter Konzeptkunst oder als Tanz deklarierter Bewegungsverweigerungen.
Tänzerisch bezieht der Abend seine nachhaltige Wirkung von der auffällig starken Körperpräsenz der Absolventinnen und Absolventen. Man zeigt Gesicht, die Herren vorwiegend freie Oberkörper, die Damen präsentieren sich selbstbewusst und einige wagen Ausflüge in die weite Kunst des Spitzentanzes, ohne ihre Ansprüche auf zeitgemäße Wirkung damit zu verraten. Was die tänzerischen Techniken angeht, scheint es also keine Scheu in der Auseinandersetzung mit Traditionen und Formen zu geben.
Der erste und der letzte Beitrag des Abends scheinen so etwas wie die dramaturgischen und thematischen Bezugspunkte zu sein, zwischen denen sich dann ein so weiter wie facettenreicher Bogen verschiedenster Themen- und Tanzbereiche spannt. „Asteroid B 612“ nennt David L. Hemm seine Arbeit, der er den Untertitel „Rhythmus einer Freundschaft“ gibt. Und in der Tat, in der Begegnung mit jenem fremden Freund, der aus anderen Welten in die seine einspringt, was thematisch ein ganz klein wenig an Nijinskys berühmten Sprung in Fokines „Le Spectre de la Rose“ von 1911 erinnert, entwickelt sich der tänzerische Rhythmus zweier Menschen und führt in sympathischer, schwärmerisch, romantischer Überhöhung in ein Märchenbild der Ewigkeiten kosmischer Sternenträume. In „Gleis 2.0“ steht die Choreografin und Tänzerin Jana Blume zunächst im Film am Dresdner S-Bahngleis, Haltepunkt Strehlen, und kämpft in schwarz-weiss mit den Unabwägbarkeiten eines Fahrkartenautomaten. Ein paar Meter weiter kämpft ein junger Mann mit den Wirkungen geleerter Bierflaschen. Wenn die Tänzerin dann als leicht verschobene Aufnahme einer Überwachungskamera erscheint und geradewegs aus der Alltagsüberwachung in die nicht alltägliche Kunstform des Tanzes gerät, um sich fortan in sehr witzigen Sequenzen aus dem Alltag heraus zu tanzen, der Zug endgültig abfährt, sie wieder vom Alltag eingeholt wird, wenn der Mann mit den Bierflaschen ebenfalls die Bühne betritt, dann wird alles ausgeblendet. Fast ein Märchen. Denn, wenn sie nicht gestorben sind, wird sie weiter tanzen und Züge abfahren lassen; und er wird weiter trinken und gar nicht mehr darauf warten, dass überhaupt noch ein Zug für ihn halten könnte. „Endstation Neubeginn“ so der Titel des Abends. Für alle Absolventinnen und Absolventen gibt es diesen Neubeginn, alle treten ein Engagement an. Offenbar ist es gelungen, an der Dresdner Hochschule ein Ausbildungsprofil zu etablieren, das sich den Notwendigkeiten der Theateransprüche mittlerer und kleinerer Kompanien nicht verweigert. Nicht Stars, sondern Bühnentänzer sind gefragt. Dass bei der strengen Vermittlung unverzichtbarer Grundlagen für den Tänzerberuf die Lust auf Eigenständigkeit und Probeläufe in das Reich der Fantasie keine Schäden genommen haben, beweist dieser Abend.