Alles wurde in Dresden erfunden. Kaffeefilter, Büstenhalter, Spiegelreflex und – Dresden. Natürlich, auch Dresden wurde in Dresden erfunden. Wahrscheinlich ist deswegen der Mittelpunkt des galaktischen Bauchnebels (oder war es der Nabel, um den alles kreist?) ebenfalls hier mitten im Elbtal verortet worden.
Zwangsläufig müssen die Anbeter von August, dem legendär stärksten Sachsenfürsten aller Zeiten, und deren Wiedergänger im Gefolge von „König Kurt“, dem schärfsten Gatten von „Landesmutter Ingrid“, auch in der Weihnachtszeit in jedem Punkt Vorreiter sein. Apropos Frevel: Schon Anfang November wurden stattliche Bäume abgeholzt und auf dem Altmarkt zum Vertrocknen auf- oder auch hingerichtet. Oblaten und „Kann-Spuren-von-Nussresten-enthaltene“ Dickmacher werden von sämtlichen Großkrämern ja schon seit dem Ende des Sommers feilgeboten – und von den Discount-Deppen reichlich gehökert. Bevor noch die erste Mette gesungen ist, gibt es nun endlich auch (Mett?-)Wurst im Stollen. Hosianna!
Schließlich wurde der allein selig und fett machende Jesus-Christus-geheiligt-werde-sein-Name-Stollen ja ebenfalls in Dresden erfunden. Oder auch nicht, was macht das schon für einen Unterschied? Unterm Tannenbaum wird alles vergeben.
Kannibalistische Hostienverzehrung („Dein Fleisch und dein Blut …“) hat bislang zwar meist ausgereicht, gerne verziert mit musikalischen Exequien, aber eben nicht „in alle Ewigkeit“. Da muss es ab Amen, nein, also ab heute in fleischgewordener Umdeutung lauten: „Vergebe uns unsere Rosinen und gib uns unsere Fleischeslust“. Das mit der Schuld und mit den Schulden ist ja schon längst eine Angelegenheit der lustlosesten Banken und Banker. Gehört also nicht auf den Tisch.
Aber darauf kommen (nicht auf den Tisch, auf die Idee!) musste ausgerechnet eine Fleischerin! Und nicht mal mitten in Dresden! Sondern in Aue, einem sächsischen Nest, das demnächst wohl flugs zur Vorortgemeinde der sogenannten Landeshauptstadt umgemünzt werden wird, weil dort doch tatsächlich der Wurststollen erfunden worden ist, der selbstredend eine Dresdner Erfindung zu sein haben sollte. Knacker anstatt von Korinthen. Zervelatwurst statt Zitronat. Anstelle von Rosinen ein Rossschlächter wogar? Igittipfui, diese Resteverwertung taugt weder für Adventisten noch für Veganer. Bleibt eine Hoffnung: In wenigen Wochen liegen Schokohasen in den Auslagen der Krämer. Und das Naschvolk wird, den Tannenbaum und die klingenden Glöckchen noch in den Ohren, schon wieder zulangen wollen. Wie wäre es eigentlich, die Hasen dann mit Kaninchenfleisch … Moment, diese Kolumne muss kurz unterbrochen werden, ich mache mich sofort auf den Weg zum Patent-Amt.
Bis danach ganz schmerzlich –
Michael Ernst