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Seehund ade, Scheiden tut weh

Sieben Jahre ist die Seehundfrau mit dem knurrigen Fischer glücklich gewesen. Aber die Trennung schwebt schon über den beiden… (Fotos: Hagen König)

Ob es nun die Katze Findus, der alte Ebenezer Scrooge, die Weihnachtsgans Auguste, Heidi, Momo, »Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt« oder Burattino ist, ob die »Fliegende Windmühle« oder die drei Fragezeichen, ob Thimm Thaler oder »Tintenherz« – irgendwann, irgendwo packt ein Stück Theater einen jungen Zuschauer, macht ihn schaudern und vor Glück zittern, lässt ihn mitfiebern und mitleiden. Im besten Falle ist er damit dem Puppenspiel oder dem Schauspiel verfallen, wird nachlesen, auf langen Autofahrten Ausschnitte rezitieren, die Geschichten weiterträumen.

Das Märchen vom »Kind der Seehundfrau« ist gleichzeitig alt und jung. Es ist ein wieder und wieder erzähltes Eskimo-Märchen, und wurde von der Amsterdamer Schriftstellerin Sophie Kassies 2006 in eine "Oper" gegossen. Naja, dieser Genretitel ist etwas hochgestochen; auf der Bühne agieren eine Sängerin, ein Schauspieler und drei Musiker, die die Handlung gleichzeitig als Zuschauer kommentieren und als Requisiteure und Statisten aushelfen. Eine Kinder-Kammeroper ist das, ein Öperchen.

Sophie Kassies' Sprache ist gleichzeitig kindgerecht und birgt doch genügend Mehrdeutigkeiten, dass Erwachsenen dabei nicht langweilig wird. Erzählt wird, wie sich die Eltern des Eskimo-Kindes Oruk einst fanden und banden: der Vater, ein alter, wettergegerbter Fischer, stiehlt einer sexy Seehundfrau ihr Fell, das sie zum Tanzen abgelegt hat. Sie verspricht ihm, sieben Jahre bei ihm zu bleiben. Als er nach Ablauf der Zeit das Fell nicht herausrücken will, wird Oruks Mutter krank, der Vater schilt sie und fürchtet sich vor der Trennung.

Etwas hölzern und allzu politisch korrekt biegt die literarische Vorlage irgendwann vom alten Märchen in die zeitgenössische Story vom Scheidungskind ein; aus einer Zeit, in der die Geschlechterrollen wie selbstverständlich verteilt waren zwischen dem jagenden Vater und der Seehundfrau, die ihren Liebsten im Iglu erwartet, springen wir ins Heute, in dem der Vater die Mutter liebt und doch beschimpft, in dem Beziehungen auf Zeit gestrickt sind und Kinder sich zwischen Elternteilen entscheiden müssen. Hier beginnt das Stück in seinem sichtlichen Bemühen um politische und gesellschaftliche Korrektheiten aller Art, plakativ zu werden, wo es vorher anspielungsreich und satt, unbeschwert und fantasievoll war. Für Kinder eine zusätzliche Hürde sind die gesungenen Texte: Stephanie Krone ist mit gutem Willen von Erwachsenen zu verstehen, aber ein natürlicherer, weniger kunstvoller Gesangsstil hätte die Rolle der Seehundfrau für jüngere Polarhasen nahbarer gemacht.

Wie gut und selbstverständlich dagegen die Einlassungen der Musiker! Jan Heinke, Demian Kappenstein und Thomas Tuchscheerer scheinen zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und zoomen die Handlung damit sofort ganz weit ans Publikum heran. Jan Heinkes Stahlharfe verbreitet daneben winterlich-nördlich-geheimnisvolles Klingen, man sieht förmlich die Polarlichter wogen. Spätestens sein Obertongesang erweicht noch den knöchernsten Zuhörer und verzaubert postwendend Knirpse wie alte Tanten.

Ob das »Kind der Seehundfrau« zu einem theatralen Erweckungserlebnis im eingangs geschilderten Sinn taugt? Unbedingt, und dreimal ja! Weil es an den Landesbühnen lustvoll gespielt wird, direkt und ehrlich. Weil man nach einer Stunde beim Applaus denkt, dass doch wohl kaum zwanzig Minuten vergangen sein mögen, seit sich die Türen zur Studiobühne geschlossen haben. Die kleine Kammeroper schwelgt und erspart sich und uns nichts, sie irrlichtert und irisiert und geht doch direkt auf ihr Ziel los. Dass die Landesbühnen die Altersschwelle nach der ersten Aufführung noch etwas angehoben haben, sollte übrigens niemanden abschrecken, wohl eher Grundschullehrern eine bessere Einordnung für Klassenbesuche ermöglichen. Glücklich, wer da zu den nächsten Terminen (s.u.) noch ein freies Plätzchen findet!

 

»Das Kind der Seehundfrau«

Regie: Klaus-Peter Fischer
Ausstattung: Irina Steiner
Choreografie: Michal Sandor
Dramaturgie: Roland Bedrich

Sängerin: Stephanie Krone
Schauspieler: Grian Duesberg
Schlagzeug: Demian Kappenstein
Stahlharfe: Jan Heinke
Celesta: Thomas Tuchscheerer

Nächste Aufführungen: 17., 18., 22., 23. Dezember 2013; 2. Februar 2014.

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