Der russische Dirigent Michail Jurowski ist eine Ausnahmegestalt. Das gilt allgemein für seine gründliche Arbeitsweise, die akribisch ganz aus dem Geist der Musik heraus Welten schafft, das gilt etwas spezieller auch für seine regelmäßigen Dirigate in Dresden. Denn nicht viele Maestri gastieren an beiden großen Orchestern dieser Stadt; der Sächsischen Staatskapelle ist der 1945 in Moskau geborene und seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland lebende Künstler seit 1989 verbunden, die Dresdner Philharmonie schätzt er nicht minder und absolviert dieses Jahr deren Weihnachtskonzerte mit einem streng russischen Programm.
Erstmals war darin nun endlich auch Musik von Wladimir Jurowski zu hören, Vater des Dirigenten und Begründer einer international nachhaltigen Musikerdynastie. Er lebte von 1915 bis 1972, war eng mit Komponisten wie Chatschaturjan, Mjaskowski, Prokofjew und Schostakowitsch verbunden und dürfte heute zu Recht sehr stolz sein auf seinen Sohn Michail sowie die Enkel Wladimir (Jg. 1972, Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra und Musikchef in Glyndebourne) und Dmitri (Jg. 1979, Chefdirigent der Vlaamse Opera Gent / Antwerpen).
Michail Jurowski wurde schon oft darauf angesprochen, ob er denn nicht das heute nahezu unbekannte Werk seines Vaters einer breiteren Öffentlichkeit wieder zutragen wolle. Er scheute wohl davor zurück, dass solche familiären Bande missverständlich wirken könnte, ist sich inzwischen aber zunehmend seiner Verpflichtung diesem OEuvre gegenüber bewusst. In Dresden gab es dennoch erst mal nur eine Andeutung davon. Im Zentrum des Philharmonie-Konzerts stand eine Auswahl von Liedern aus der Feder Sergej Rachmaninows. Die schrieb er vor gut hundert Jahren unter anderem auf Texte von Tschechow. Wladimir Jurowski fertigte 1963 aus diesen Kleinodien für Tenor und Klavier einen Zyklus von Orchesterliedern, die in prachtvoll sich mitteilenden Klangfarben melancholische Poesie und tragische Heimatliebe miteinander verbinden. Den Gesangspart gestaltete äußerst textverständlich und hochemotional der vom Bolschoitheater kommende Tenor Vsevolod Grivnov.Seelenvoller Gesang und ein modulationssicheres Orchesterspiel haben sich derart eng verbunden, dass dem Publikum im Albertinum nur mit einer Zugabe beizukommen war. Здесь хорошо, hier ist es gut – nicht nur die Lokalpatrioten unter den Gästen fühlten sich reich damit beschenkt.
Umrahmt war der Jurowski-Rachmaninow von Ballettszenen aus Sergej Prokofjews „Der Narr“, einem blutvollen Possenspiel mit makabrem Witz und musikalischer Verve, sowie mit der 2. Sinfonie von Alexander Borodin. In diesem h-Moll-Heldenwerk verströmen sich bekannte Themen aus den Polowetzer Tänzen, garniert mit elegischer Wucht und pointierter Wirkungsmacht.
Michail Jurowski bewies sein sicheres Gespür für Dramatik, hatte die Philharmonie wie an unsichtbaren Fäden formend im Griff und wurde mit einem inspirierten Spiel des gesamten Orchesters belohnt. Am 25. Dezember wird der Maestro seinen 68. Geburtstag begehen – ebenfalls am Pult dieses Orchesters. Wahrscheinlich ist es das schönste Geschenk, das er sich selbst bereiten kann: Menschen mit der Musik seiner russischen Heimat zu beglücken.
Konzerte am 22., 25. und 26.12.2013, jeweils 19.30 Uhr, Albertinum