„Da sehen, Sie, das ist die Gitarre, die ich als Kind geschenkt bekam und auf der mir meine erste Gesangspädagogin, Käthe Heine-Mitzschke, die Griffe beibrachte“, so begann ein herzliches Gespräch mit der Dresdner Sängerin Ilse Ludwig, fast auf den Tag genau, vor fünf Jahren. Damals wollte ich etwas über sie schreiben und damit zum 80. Geburtstag gratulieren. Ich erinnere mich noch gut an das von Gebrauchsspuren gezeichnete Instrument ohne Saiten. Das waren die Enkel, die hätten dann versucht, „ihre“ Musik darauf zu spielen.
Heute feiert Ilse Ludwig ihren 85. Geburtstag und mit ihrer Gitarre, einer mit Saiten, ist sie noch immer unterwegs. Die Dresdner Kammersängerin hat sich auch nach ihrem Abschied von der Opernbühne nicht zur Ruhe gesetzt. Ohne Singen gehe es einfach nicht, sagt sie, und jetzt ist sie wieder da, wo es begonnen hat: sie singt zur Gitarre, jetzt in Altenheimen, das macht Spaß, das macht Sinn, die eigene Freude am Singen mit anderen zu teilen, gemeinsam und im Vortrag von Kunstliedern zur Gitarre. Viermal in der Woche ist sie unterwegs, man könnte sagen nach dem Motto „Singen hilft“. Denn sie ist fit, und es gilt heute einer so rüstigen wie wachen und höchst interessierten, aktiven Künstlerin zu gratulieren.
Zum achtzigsten Geburtstag erinnerte sich Ilse Ludwig daran, wie es begonnen hatte und ich staune nicht schlecht als ich erfahre, dass die spätere Altistin der Sächsischen Staatsoper erst mal eine Tischlerlehre absolvierte und mit der Gesellenprüfung abgeschlossen hat. Außerdem ließ sie sich zur technischen Zeichnerin ausbilden. Aber dann zog die junge Frau doch zum Gesang, zunächst für vier Jahre nach Radebeul in den Mozartchor, einem Berufsensemble, ab 1950 „Chor des Landes Sachsen“. Weitere Ausbildung an der privaten Opernschule von Professor Rau-Hoeglauer, mit unvergesslichem dramatischem Unterricht bei Erhard Fischer und dankbarsten Erinnerungen an die verehrte Lehrerin Professor Annemarie Rauch. Durch Vermittlung des Zentralen Bühnennachweises der DDR kommt die junge Sängerin 1954 in das Studio der Staatsoper Dresden, deren Ensemble Ilse Ludwig 40 Jahre angehören wird, in dem sie über 80 Partien singt.
Und, gibt es die Lieblingspartien? Nicht so leicht zu antworten. Zu werten, welche der vielen Partien an erster Stelle stehen könnte. Ja, doch sagte sie dann, der Orpheus von Gluck, den sie in drei unterschiedlichen Inszenierungen sang, der liegt ihr am Herzen, weil Musik und Text hier ja vom Wesentlichen handeln im Bezug auf das besondere Instrument der menschlichen Stimme und der Kunst des Singens. Als sie die Partie 1957 zum ersten Mal vorsang sagte der Dirigent. „Singen sie, ich begleite sie“, das hat sie nicht vergessen, denn es war ja kein Geringerer als Lovro von Matacic. Und dann sind es doch einige Partien von denen wir sprechen, die stärkere Erinnerungen wecken. Natürlich, über 50 Mal „Penelope“ in „Die Heimkehr das Odysseus“, im Kleinen Haus mit der Passage am Schluss „Für alle deine Wunden will ich dir Heilung geben“. Man spürte ja, wie so etwas beim Publikum ankam, man wurde von einem treuen Publikum getragen und, das gilt es zu betonen, man wurde gefördert von Regisseuren wie Erhard Fischer, Erich Geiger, Carl Riha und später von Harry Kupfer, von dem sie mit Bewunderung spricht. Ja, das war doch neu, was der Kupfer machte. Er hat nicht gesagt wie man es machen solle, er brachte neue Methoden, eine Rolle wurde entwickelt, in einem Prozess, das war nicht immer leicht wenn man gewohnt war gesagt zu bekommen, was man machen solle. In der Rückschau nach so vielen Jahren ist die Künstlerin dankbar dass sie sich nicht verschlossen hat sondern sich eingelassen hat und sich ihr so immer wieder neue Chancen und Möglichkeiten der Darstellung und der Interpretation erschlossen haben. Und natürlich sind da auch höchst lebendige Erinnerungen an Dirigenten. Beispiel, Beethovens Neunte, mit dem ihr eigenen Humor sagt sie mir, „ der Arvid Jansons machte es am schönsten, Igor Markevitch am schnellsten, bei Rudolf Neuhaus fühlte man sich absolut sicher. Ach, ja und die Abende mit Herbert Blomstedt oder Martin Turnovsky, das war was Besonderes, vergisst man nie.
Und dann gab es ja auch immer wieder ziemlich ungewöhnliche Aufgaben, Ilse Ludwig war die Anna I in „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, von Brecht und Weill, inszeniert von keinem geringeren als Tom Schilling, dem begnadeten Choreografen, dem „Cranko des Ostens“. Unmöglich die vielen Partien aufzuzählen die sie sang bis zu ihrem Abschied von der Bühne 1994 mit der Partie der Filipjewna in Harry Kupfers Inszenierung „Eugen Onegin“, in der Semperoper. Ja, das waren besondere Momente, hier zu singen, sagt die Dresdnerin, die das „alte“ Opernhaus kannte, oberhalb vom Hauptbahnhof die Bombardierung erlebte und überlebte, es als Geschenk betrachtet mit eingezogen zu sein in das wiedererstandene Theater, mit einer ersten und für sie letzten Premiere sogar, 1988, als Mary in „Der fliegende Holländer“, inszeniert von Wolfgang Wagner . Ach doch, eine Partie gibt es, die liegt der Jubilarin sehr am Herzen, das Fischweib in Paul Dessaus Oper „Die Verurteilung des Lukullus“ , von 1965 bis 1970 stand das Werk auf dem Dresdner Spielplan, wir sprechen darüber und schon summt sie „Die Klage des Fischweibs“. Und ohne groß zu überlegen, auf die Frage, was sie sich denn wünsche zum Achtzigsten, sagt Ilse Ludwig: „Macht den Lukullus noch mal, ich singe euch das Fischweib.“ Diesen flotten Humor hat sie behalten.
Manchmal, in der Oper, bei Premieren, in der Pause, da kann sie knapp und prägnant zu verstehen geben, wie zufrieden sie ist. Da bringt sie dann die Dinge auf den Punkt. Heute wird Ilse Ludwig zuhören, das wird sie gerne tun, denn an ihrem 85. Geburtstag, erklingt eine Auswahl an Liedern, die sie sich gewünscht hat. Singen wird ihre Tochter, Annette Jahns, das Ganze im Graupaer Wagner-Museum, also auch Lieder von Richard I., natürlich aus dem Zyklus nach Gedichten der Mathilde von Wesendonck. Und ob sie dann selbst doch noch zur Gitarre greift? Musik in Dresden gratuliert sehr herzlich.