Ein sonniger Samstagnachmittag in der Elbmetropole. Bei frühsommerlichen Temperaturen drängen sich tausende Menschen in der Altstadt, dutzende Sprachen glitzern durch das rauschende Sprachgewirr hindurch. Touristen aus der ganzen Welt genießen das mondäne Flair, schlendern in gefühlter Zeitlupe an den schmuckvollen Fassaden wieder errichteten Gebäude entlang. Ein solches Bild sieht man in den Behörden der Stadtverwaltung vermutlich am liebsten. Glanzvolles Dresden im Zentrum internationaler Besucher, wohlhabend, gepflegt, gemütlich. Um dieses Bild noch fester in die Fundamente der Stadt zu zementieren, muss weichen, was mit dem neu erschaffenen Selbstverständnis konträr geht. Arsen Arutunov ist einer von denen, die man nicht mehr sehen und vor allem nicht mehr hören will. Er ist Straßenmusiker.
An der Frauenkirche drängen sich die Menschen. Eine feiernde Hochzeitsgesellschaft entsteigt dem weißgoldenen Steingebäude, während sich am Eingang eine Traube jener gebildet hat, welche nur darauf warten, endlich hineinzugehen. Arsen spielt ruhig vor sich hin. Bach, Händel, Mozart – alles, was man musikalisch mit den umgebenden Reliefs und Statuen assoziieren würde. Sein Repertoire ist groß; vieles spielt er aus dem Kopf, falls nicht, liegt eine dicke Notenmappe parat, um für Abwechslung zu sorgen. Seine Trompete klingt sauber, aber gedämpft. Er weiß, dass für ihn dunkle Wolken aufziehen und ist vorsichtig geworden, um niemanden zu verärgern. Also nimmt er sich zurück. Sollte der Entwurf demnächst verabschiedet werden, wird er gar nicht mehr spielen dürfen. Denn dieser sieht vor, vorgeblich laute Instrumente wie die Trompete, aber auch Posaune, Schlagzeug und alle elektrisch verstärkten Klänge zu verbieten.
Dass der erneute Vorstoß, nachdem der erste Versuch im letzten Jahr nach lautstarkem Protest furios abgeschmettert wurde, wieder so restriktive Verbote vorsieht, betrübt ihn. Einerseits kann er die Klagen der Anwohner und Touristen verstehen. An manchen Tagen drängt es sich zwischen Altmarkt und Augustusbrücke geradezu, und so manches davon kann empfindliche Ohren auf Dauer durchaus strapazieren. Andererseits spielt er, seit er acht Jahre alt ist, hat an einer Akademie für Musik studiert und erlebt viel Zuspruch, auch von anderen Musikern. Wieso würde es ihn treffen, während andere Spieler, etwa mit Akkordeon, bleiben dürften? Ein großes Problem sieht er in der Kommunikation. Die Wenigsten würden sich trauen, auf ihn zuzugehen, wenn sie sich gestört fühlten. Eher noch riefe man das Ordnungsamt, als selbst das Gespräch zu suchen. Mit der Weile bittet er die Leute, die ihm Geld geben oder auf ihn zukommen, an das Ordnungsamt zu schreiben. So hofft er, darauf aufmerksam machen zu können, dass viele die Straßenmusik schätzen – denn diese, so denkt er, sind deutlich in der Mehrheit, machen nur nicht auf sich aufmerksam.
"In Dresden bedeutet Kultur Sandstein!"
Am Georgentor sitzt ein Akkordeonspieler und spielt auf einem beschwingten 2/4-Takt ein Cluster von Melodiefragmenten, die man alle schon mal irgendwo gehört hat. Zu seinen Füßen liegt ein kleiner Hund und langweilt sich, während von der anderen Seite des Tores Trompetenklänge sich dazumischen. Im Torgang ist diese kakophone Mixtur von Ave Maria und Polka kaum zu ertragen. Trotz kühlen Schattens eilen die Spaziergänger durch den Tunnel oder flüchten in den Schlosshof.
An der Prager Straße ist von einer entspannt-touristischen Atmosphäre nichts zu spüren. Die Leute schleppen dicke Tragetaschen, eilen mit schnellen Schritten von einer Glasfront zur nächsten. Kein angenehmes Pflaster für einen Straßenmusiker. Die Stimmung wirkt hektisch und angespannt. Die Wenigsten haben Muße, sich die Musik tatsächlich anzuhören. Hier spielt Gebull auf seiner Gitarre und schmettert einem mit kräftiger Stimme seine Songs vor die Füße. Er befürchtet, dass er, sollte es zu der Reglementierung kommen, mit seiner Musik keine Chance hätte, an eine Spiellizenz zu kommen. Letztendlich bestimme aber doch der freie Markt, was man zu hören bekommt und was nicht. Die meisten würden sehr schnell wieder abhauen, wenn nicht genug Geld reinkommt, und am Ende setzten sich jene durch, die wirklich Bock drauf haben. Eine Verordnung hält er für sinnvoll, damit die Spieler ihren Platz wechseln und niemand mit seiner elektrischen Verstärkung einen ganzen Straßenzug beschallt. Die geplante Form aber werde er auf keinen Fall akzeptieren. Als ich bemerke, dass Straßenmusik eben auch zu einer städtischen Kultur gehöre, muss er lachen. „In Dresden ist Kultur Sandstein!“ Er werde auf jeden Fall weitermachen, das ließe er sich nicht verbieten.
Tagtäglich stundenlang drei, vier Stücke
Am Georgentor sitzt der Akkordeonspieler noch immer da. Es klingt, als sei auch sein Musikstück von vor über einer Stunde noch nicht zu Ende. Der Trompetenspieler ist weitergezogen, stattdessen steht nun ein schwarzer Flügel auf dem Schlossplatz und zieht schon als Fotomotiv zahlreiche Neugierige an.
Seit siebzehn Jahren spielt Arne Schmitt auf seinem mobilen Flügel und ist damit ständig unterwegs. Auch wenn sein Instrument bisher nicht auf der Liste der verbotenen Klangquellen steht, kämpft er gegen die Verordnung, wie sie bislang geplant ist, und hat viele Vorschläge parat. Das Problem seien jene, die tagtäglich stundenlang auf einem Fleck hocken und vielleicht drei, vier Stücke spielen. Diese könne man mit einem Ortswechsel alle halbe Stunde und einer Begrenzung von acht Spieltagen im Monat loswerden. Statt einzelne Instrumente zu verbieten, schlägt Arne eine Lautstärke-Grenze vor. Auch einem Vorspiel und einer Überprüfung auf ein breites Spielrepertoire kann er etwas abgewinnen. Damit wäre gewährleistet, dass es eine vielfältige und gute Musik auf den Straßen gäbe. Wenn sich morgen der Ausschuss trifft, um über den neuen Entwurf zu beraten, hofft er seine Vorschläge einbringen zu können.
Micha – das ist Michael Pritzke, alias „Mr. Campfire“. Seit über 13 Jahren ist er als Straßenmusiker aktiv und hat in seiner Heimatstadt zahlreiche Kämpfe gefochten, um so auftreten zu können wie heute. Er singt und spielt mit Verstärker, dazu mit Schlagzeug. Eine richtige One-Man-Band – mit zahlreichen Fans. Auf dem Weg zur Münzgasse wird er gegrüßt und angesprochen. Doch auch Micha wird, wenn der jetzige Entwurf durchgeht, nicht mehr spielen dürfen. Mit Flyern, zahllosen Briefen an die Stadtverwaltung und Politik, sowie Mundpropaganda geht er dagegen an. Von der Stadt fühlt er sich behandelt, wie ein Krimineller. Man habe ihm sogar unverblümt vorgeschlagen, doch einfach wegzuziehen. Er aber wird weitermachen, um jeden Preis. Andere Städte sei die Musik auf der Straße quasi tot, dass sich Dresden jetzt seiner Besonderheit berauben wolle, sei doch Schwachsinn. Die Stadt brauche eine sinnvolle Verordnung, die auch umgesetzt gehört. Das Ordnungsamt sei oftmals überfordert gewesen, man habe die Dinge untereinander regeln müssen.
Besonders gravierend sei, meint Micha, dass nach den Protesten im letzten Jahr nicht nur die neue, sondern auch die alte Regelung ausgefallen seien. Seitdem herrsche gewissermaßen Anarchie vor, und die Beschwerden würden sich häufen. Das nun spiele jenen in die Hände, die versuchen, die Musiker aus dem Stadtbild zu vertreiben. Micha sagt, die Straßenmusik sei vielschichtig und nun müsse man eben sehen, dass eine Lösung zustande kommt, die der Allgemeinheit nützt und die Künstler nicht ausgrenzt. Die geplante Ordnung, fürchtet er, wird nur dazu führen, dass am Ende jene, die man eigentlich nicht haben will, als erstes auf der Matte stehen, um eine Spiellizenz zu ergattern.
Auf dem Rückweg laufe ich über den Altmarkt. Beim Eingang zur Altmarktgalerie spielt die Band Stilbruch – auch sie könnten bald nicht mehr auftreten. Beim Weitergehen verliert sich ihre Musik. Vom Frühlingsfest beschallt heiteres Gedudel die umliegende Gegend. Daran aber scheint man sich in der Stadtverwaltung nicht zu stören.