Liegt das Kunstlied im „Dornröschenschlaf“, wie es Sachsens Kunstministerin sinnig formuliert? Dann braucht es tatsächlich den Verein Das Lied in Dresden e.V., um dieses kleine, feine Genre zu neuer Blüte zu treiben.
Der aktuelle Jahrgang begann vorigen Monat mit einem „Lied-Gut“ als Präsentation der Liedklasse an Dresdens Hochschule für Musik, die von Kammersänger Olaf Bär geleitet wird. Sollte das Interesse der Studiosi am Lied damit für diese Saison etwa schon abgehakt sein? Beim jüngsten Konzert von und mit Markus Marquardt war sängerischer Nachwuchs im Publikum jedenfalls kaum auszumachen. Dabei hätte es hier nur des einfachen Zuhörens bedurft, um beispielhafte Vortragskunst erleben zu dürfen. Und man hätte dafür nicht mal die Elbseiten wechseln müssen, denn als fruchtbare Folge einer Kooperation von „Das Lied in Dresden e.V.“ und Musikhochschule Carl Maria von Weber finden die Konzerte nun im bestens dafür geeigneten Konzertsaal der Bildungseinrichtung statt. Wenn sich das in der Gesangsklasse herumspricht!
Gut besucht war der Konzertabend von Markus Marquardt am ersten Mai-Sonntag dennoch. Der Name dieses Bassbaritons zieht, denn er bürgt für Qualität. Marquardt, der im Jahr 2000 als Solist an der Semperoper engagiert wurde, sang sich hier längst in die Herzen des Publikums (unter anderem als Cardillac, Figaro, Jochanaan und Rigoletto), überzeugte auch an der Oper Leipzig (Nabucco, Wotan) und sowieso an den großen Bühnen der Welt. Die Deutsche Oper am Rhein in seiner Geburtsstadt Düsseldorf, die Mailänder Scala, die Staatsopern in Hamburg, München, Stuttgart und Wien – alles bekannte Adressen für den markanten Sänger.
Sein Dresdner Liedprogramm wirkte auf den ersten Blick relativ schmal: Robert Schumanns »Liederkreis« op. 24 und weitere neun Lieder von Carl Loewe. Aber welch ein inhaltliches und sangliches Gestaltungsspektrum steckt in dieser Wahl! Ein Auftakt wie im licht hallenden Wald, wo Marquardt die 1840 komponierten Heine-Texte auf gut gereiftes Holz schmetterte. Wie ein leichtfüßig ausschreitender Wanderer wirkte er in jeder Lage unangestrengt, gestaltete souverän und textverständlich die sehnsuchtsvollen Pretiosen, in denen er auch mal schelmische Momente anklingen ließ, die rasch in tiefste Tragik umschlagen konnten. Das abrupte Wechseln zwischen opernhaft dramatisch und lyrisch emotional schien Marquardt ein leichtgängiges Gestaltungsmittel zu sein, das er auch mit Nonchalance zu beherrschen verstand.
Die Loewe-Lieder – jedes eine Geschichte, wenn nicht ein ganzer Roman für sich – meisterte Markus Marquardt beherzt mit wiederum starker Souveränität. Das Rollenspiel in den gesungenen Balladen übertrug sich brillant, wobei der sympathische Sänger auch kleine Mogeleien bravourös zu schultern verstand. Hier mal eine Silbe verschluckt, da einen Ton erst zurechtgeschoben – auch das will gekonnt sein. Vor allem aber muss ihm einmal mehr sein vokales Spektrum attestiert werden. Satte Tiefe, fein abgeschmeckt, eine wandelbare Mittellage, die von beinahe tenoralem Glanz gekrönt wird. Romantisch hintergründig und mit spannungsreicher Wucht hat er vor allem die ritterlichen Tonbilder gezeichnet.
Am Steinway assistierte mit Jobst Schneiderath ein überaus erfahrener Liedbegleiter, der seine Meriten längst auch bei den Festspielen in Bayreuth und Salzburg gesammelt hat. Das Zusammenspiel beider Künstler hatte in einzelnen Passagen durchaus das Zeug zum Duett, da bei aller Feinfühligkeit und Zurückhaltung schuf der Mann am Klavier mehr als bloße Begleitung. Warum sollte »Das Lied in Dresden« also nicht auch von werdenden Pianisten besucht werden? Diese Reihe ist durchaus ein Gewinn für alle Freunde der Kunst. Die Fortsetzung folgt bereits am 1. Juni mit einem Konzert von Angela Denoke, die Lieder von Bach, Berg, Brahms, Strauss und Zemlinsky vorträgt. Ihr Begleiter ist die Pianistin Karola Theill.