Einführend gibt Olaf Katzer zu Protokoll, die Neue Dresdner Vokalschule (NDVS) sei in erster Linie eine Interpretenschule. »Wir sind keine Komponistenschule wie die Zweite Wiener Schule, die New York School oder ähnliche, vergleichbare zeitgenössische Gruppierungen.« Ein sehr spielerischer Begriff, der Zuhörendem wie Ausübendem auf der Suche nach einer Fasslichkeit behilflich sein soll, für das, »was wir mit AUDITIVVOKAL DRESDEN in den letzten Jahren versucht haben. Zunächst einmal eine Idee, ein Werkbegriff für die Darstellung unserer vordergründigsten Arbeit: der Suche nach neuen Klängen.« Ein durchaus forschender Aspekt also, dem sich die „alles.außer.gewöhnliche“ Gesangsformation verschrieben hat. In Konsequenz hat das jahrelange Sammeln neuer stimmlicher Ausdrucksmöglichkeiten eine Konzertreihe zur Folge, die im Juli 2013 im Leonhardi-Museum Dresden angestoßen wurde. Titel dieser Reihe: Neue Dresdner Vokalschule. Ein Konzert des Ensembles gemeinsam mit der Vokalsolistin Sarah Maria Sun, die zuvor einen dreitägigen Meisterkurs für Sänger und Komponisten an der hiesigen Musikhochschule hielt. Auf jeden Fall sähe so auch ein Prinzip des NDVS-Konzeptes aus. »Wir suchen die Experten, die es in der Welt der Vokalmusik gibt. Mit denen wollen wir zusammenkommen und ein weltweites Netz spinnen. Und wir sind so selbstbewusst, dass wir das, was wir aus allen diesen Ecken in Dresden zusammenführen – spezifisch für das Ensemble schreiben mittlerweile einige der renommiertesten Komponisten weltweit – als eine Dresdner Schule bezeichnen.«
Die Ungewöhnlichkeit und Andersartigkeit, die AUDITIVVOKAL DRESDEN in seinen Performances – vom simplen Konzert kann und darf hier nicht mehr die Rede sein! – immer wieder unter Beweis stellt, veranlasst durchaus zum Denken: hier wird etwas Neues präsentiert, das es so in Dresden wohl kaum und nicht in dieser Klasse zu sehen, geschweige denn zu hören gibt. »Uns ist grundsätzlich die Vermittlung eines Gesamtkonzeptes wichtig. Sobald einem die Konzertkarte eingerissen wurde und man über die Schwelle in den Konzertraum tritt: da beginnt es eigentlich, das Konzert. Und das kann jedes Mal wieder ganz anders aussehen. Licht, Tanz, Moderation – es gibt schon alles auf der Welt. Da braucht man nicht davon zu reden, dass wir etwas Singuläres schaffen, aber wir können schon behaupten, dass auditive Kunst bei uns ein Gesamtkonzept mit vielen Berührungen zu verwandten Künsten und Wissenschaften ist. Und das gibt es in dieser Form in der Landschaft noch nicht allzu häufig. Es geht doch darum, die Menschen für Kunst zu begeistern, damit sie am und vom lebendigen ,Mensch-Sein‘ noch mehr begeistert sind. Kunst kann es schaffen, die ,Ehrfurcht vor dem Leben‘ zu schärfen.«
»…sich nicht in Beliebigkeit zu verlieren…«
Fraglos schafft das Ensemble diese Begeisterungsfähigkeit zu wecken und Lust auf mehr zu machen. Der nicht ausschließliche Fokus auf zeitgenössisches Vokalschaffen und abwechslungsreiche Darbietungen in Kombinationen mit anderen Künsten lassen Katzer & Co. auch als einen gern gesehenen Festival-Gast dastehen. Ausschließlichkeit ist der Feind der freien Kunstströmung und wird daher nicht praktiziert. »Uns ist die Vielfalt wichtig. Auch eben der Einfluss aus allen Bereichen der Kunst. Dass das, was wir tun, den höchsten Ansprüchen an heutige zeitgenössische Kunstdarbietung genügen kann und eine Kunst zu schaffen, die in die heutige Zeit passt – wobei auch Alte Kunst in die heutige Zeit passt! – ist für uns von Belang.« Gleichwohl sich das Vokalensemble vielstmöglichen Einflüssen gegenüber als offen darstellen möchte, warnt sein Künstlerischer Leiter auch vor den Tücken einer allzugroßen Offenheit und stellt fest, dass es zuvorderst um eine klare Profilschaffung geht. »Es gilt, behutsam vorzugehen, um sich nicht in einer Beliebigkeit zu verlieren. Ich will mich aber überhaupt nicht einengen – den Horizont weit lassen. Alles.außer.gewöhnlich – so auch unser Slogan!« Und im gleichen Atemzug gesteht Katzer ein, dass sie sich dabei noch ganz am Anfang befinden. Noch immer mit vielen Elementen und Gedanken jonglieren, um weitere Formate und Modelle zu schaffen. So ist für Olaf Katzer – und das lobt er in seinem Ensemble besonders hoch – beispielsweise das Menschliche in der Kunst und im Kunstmachen von großer Bedeutung. »Menschlich und künstlerisch gehören für mich zusammen. Es gibt manche Künstler, die sagen, es gehört nicht zusammen und die ignorieren das Leben. Aber für mich ist es das höchste Gut, wenn dies zusammenkommt. Sonst hätte Kunst doch nichts mit dem Leben zu tun.«
Interview: Peter Motzkus