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Jetzt komponiert er auch noch!

"Irgendwann müssen Sie sich mal für etwas entscheiden!" (Foto: Daniela Laske)

Im November 2013 ging für den Geiger Florian Mayer ein Lebensabschnitt zu Ende. "Das Blaue Einhorn", die beliebte Dresdner Klezmer-Tanz-Fado-Chansontruppe um den Akkordeonisten Paul Hoorn, gab ein letztes, grandioses Konzert im Schlachthof und ging dann in die ewigen Jagdgründe ein; die Mitglieder zerstreuten sich. "Wie ein Stück Sterben" sei der Abend gewesen, schrieb damals einer der treuesten Einhorn-Fans, der Dresdner Musikkritiker Peter Zacher. Ein reichliches halbes Jahr ist das nur her, man mag es kaum glauben.
Wer jetzt denkt, der Primgeiger der Band stecke seitdem in einer Sinnkrise, der unterschätzt die Anzahl der vielen Stand- und Spielbeine von Florian Mayer. Hatte der doch schon zur Abschlussprüfung an der Dresdner Musikhochschule die Professoren mit einem stilistischen Feuerwerk verblüfft. Die Herren fühlten sich und die gesamte Zunft der hehren Hochkultur wohl nicht ganz erstgenommen, als Mayer neben Telemann, Ysaye und Schnittke auch Romalieder, UFA-Schlager und Stevie Wonder aus dem Hut zog, gewürzt mit einer Prise Jazz, einem Körnchen Rap und einer Tüte Beatboxing. "Irgendwann müssen Sie sich mal für etwas entscheiden", war schließlich der Ratschlag der pikierten Prüfungskommission. Bis heute hat ihn Florian Mayer nicht befolgt.

Stattdessen taucht er wie der sprichwörtliche Igel aus der Furche auf, wenn Kulturhasen des Abends grasen gehen. Mit der "MS Europa 2" tourte er auf der Route Dubai-Piräus und verzückte die reisenden Greisinnen. Wenn das Dresdner Salonorchester "Sag mir quando, sag mir wann" spielt, bedient die Geige: Florian Mayer. Am Sonntag (16 Uhr, Weinbergkirche) tritt er gemeinsam mit Olaf Böhme in der Pillnitzer Weinbergkirche auf, unter dem Titel "Heiliger Bimbam!" feiern die beiden "Ein kleines Lach- und Weinfest" mit Violinmusik und Gedichten, "tiefernst" könne es werden "und verhalten und still, und dann wieder schrill und schräg und albern bis zum Geht-nicht-mehr"… Auf dem Elbhangfest ist Mayer dieses Jahr aber auch mit einem Paganini-Programm zu Gast (Samstag 18 Uhr, Carl-Maria-von-Weber-Museum). Und die 32 Nationalhymnen der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 wird er darbieten (15.30, Wasserbühne Pillnitz). Diese Vorbereitung auf das Sportereignis, tönt die Ankündigung, sei gleichzeitig "effizient, pisatreu, multitonal", kurz: "eine Weltreise des inbrünstig zelebrierten Nationalstolzes".
 
"Inbrünstig", das ist auch so ein Stichwort. Inbrunst scheint mitzuschwingen, wo immer man Mayer trifft. Etwa auf dieser Ausstellungseröffnung in Hellerau, wo er die Werke des Malers Max Uhlig und seiner Meisterklasse so in Klang einhüllte, dass sich die Besucher der Vernissage noch lange an diese kongeniale Auge-Ohr-Kombination erinnern dürften. Und, ja, »Mayer trifft« auch höchstpersönlich, und zwar auf prominente Künstler in seiner gleichnamigen Gesprächsreihe, die seit 2009 im KulturHaus Loschwitz stattfindet, und bei der in schöner, etwa monatlicher Regelmäßigkeit Kollegen wie Günter Baby Sommer, Eckart Haupt, Kai Vogler, Wolfgang Hentrich, Astrid von Brück oder Katja Erfurth vorbeischauen und sich vom Geiger künstlerisch auf Herz und Nieren prüfen lassen. Mit der Ersten Konzertmeisterin der Sächsischen Staatskapelle, Yuki Manuela Janke, intonierte er im Mai scheinbar völlig sorglos Geigen-Duos von Prokoffiew, Mozart und Milhaud; das ausverkaufte kleine KulturHaus dampfte, für die beiden Virtuosen regnete es begeisterten Applaus.

Später am Abend das Geständnis: ja, jetzt hat er auch noch komponiert. Und reicht die gerade erst erschienene, gut halbstündige Debüt-CD über den Gartentisch der Buchhändlerin: "Florian Mayer – Elf Präludien für Violine solo" heißt die Scheibe. Versprochen: Wer sie das erste Mal hört, ist sprachlos. Mayer hat die Stücke in der Petrikirche Freiberg aufgenommen; er nutzte den langen Nachhall der "Winterkirche", eines fünfzehn Meter hohen, durch eine Glaswand abgetrennten Kirchenteils, für irre, surrealistische Effekte; die Geige kann so mit sich selbst interagieren, ihre Stärken ausspielen, daneben klopft und schnalzt es. Es ist eine Weltreise, die im Reich der Schneekönigin beginnt und unterm kalten Sternenhimmel ausklingt, während die Sternschnuppenpizzicati fliegen. Und, klar, Mayer wäre nicht Mayer, wenn in den elf Präludien nicht auch ein türkisches Lied ("San ton Metanasti") anklingen würde, daneben traumhaft entrückte Sequenzen, die an Gesänge von Walen erinnern, an das tanzende Flirren der Nordlichter im Zeitraffer, an die Filme von Godfrey Reggio und Kim Ki-duk. Wäre es nicht ein feiner Witz der Musikgeschichte, wenn die Präludien demnächst zum Standardrepertoire an Musikhochschulen würden…? Peter Zacher, auf dessen Trauerfeier Florian Mayer und Paul Hoorn im Februar ein Mikis-Theodorakis-Lied intonierten, wäre ohne jeden Zweifel hin und weg gewesen.

Konzerttip: Unter dem Titel »Philharmonic Flair« ist Florian Mayer mit dem Salonorchester am 22. August im Garten von Schloss Wackerbarth zu erleben, mit Feuerwerk und Häppchenschmaus.

Eine Textfassung des Artikels ist am 5. Juni in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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