Dass die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch jetzt schon zum fünften Mal stattfinden, spricht für den Mut der Macher, die einst aus dem Gedenken an Schostakowitschs Aufenthalt in der Sächsischen Schweiz ein zünftiges Festival zimmern wollten. Damals mögen diese Unentwegten noch sanft belächelt worden sein, mit allenfalls vorsichtigem Respekt für ihr Engagement. Aber hätte jemand diese Erfolgsgeschichte vorauszusagen gewagt? Wohl eher nicht.
Was genau fünfzig Jahre nach dem ersten Besuch des Komponisten Dmitri Schostakowitsch in Gohrisch begann, ist nun auf dem Musikmarkt der Festspiele angekommen und kooperiert sogar mit den Osterfestspielen Salzburg. Die werden im nächsten Frühjahr nämlich die Eröffnungspremiere des aktuellen Jahrgangs übernehmen – wer hätte solch einen Coup für möglich gehalten, einen Deal zwischen Gohrisch und der weltbekannten Mozart-Stadt?
Mit Sicherheit erfolgt dese Kooperation aber nicht nur aus Gründen der Reputation, wenngleich das rasch auch überregionale wahrgenommene Festival dadurch eine noch ganz andere Aufmerksamkeit erfährt. Die Weichen scheinen gestellt, Sachsens originellstes Musikfest nimmt Kurs auf den internationalen Festspielreigen.
Diesen Weg haben sich die Schostakowitsch-Tage freilich von Anfang an verdient. Denn was da nunmehr Jahr für Jahr in Gohrisch gestemmt wird, beweist erstaunliche Courage, gründet auf klugem Konzept und offeriert künstlerisch höchsten Anspruch. Nur so ist dem historischen Anlass gerecht zu werden, Schostakowitschs Arbeitsaufenthalt im damaligen Gästehaus des DDR-Ministerrats, wo er im Sommer 1960 die Filmmusik zu „Fünf Tage, fünf Nächte“ schreiben sollte. Der 1906 in Sankt Petersburg geborene Künstler war aber noch immer von Kriegswirren und Nachkriegszeit gezeichnet, konnte und wollte angesichts der Ruinenlandschaft von Dresden nichts für einem Propagandafilm komponieren. Statt dessen brachte er im geradezu idyllischen Schatten einer Buche am Teich seine wohl persönlicheste Kammermusik zu Papier, das 8. Streichquartett op. 110 in c-Moll.
Dieses ergreifende Stück Musik ist vermutlich die einzige Komposition Schostakowitschs, die er außerhalb seiner Heimat verfasste. Zumindest die einzige, wo der außerrussische Entstehungsort nachweisbar ist. Sie wurde seit der Gründung des Festivals 2010 mehrfach in Gohrisch aufgeführt, neben der Originalfassung auch die von Rudolf Barschai orchestrierte Kammersinfonie. Auch in diesem Jahr erklingt das Quartett, zum Eröffnungsabend am 19. September sogar als Bestandteil einer musikalisch-literarischen Collage unter dem Titel „Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch“.
Eine Brücke von Gohrisch nach Salzburg
Dieses Projekt ist eine Idee der Schauspielerin Isabel Karajan, die nie vergessen hat, wie sehr ihr Vater Herbert von Karajan von Schostakowitschs Musik begeistert war. Sein Ausspruch „Wenn ich komponieren könnte, dann würde ich so komponieren wollen wie Schostakowitsch“ hat sich der von Film und Fernsehen sowie auf internationalen Bühnen bekannten Künstlerin eingeprägt. Gemeinsam mit Regisseur Klaus Ortner hat sie diese szenische Collage zum Thema Angst erarbeitet und verwendet dazu Texte von literarischen Zeitgenossen Schostakowitschs, die – im Gegensatz zu ihm – die Stalin-Zeit nicht überlebt haben. Ostern nächsten Jahres wird „Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch“ dann in Salzburg aufgeführt werden.
Die drei diesjährigen Gohrischer Schostakowitsch-Tage werden übrigens auch zum Abschlussabend von beißender Satire geprägt sein, wenn die Kremerata Baltica unter Leitung ihres Gründers Gidon Kremer das „Antiformalistische Paradies“ von Schostakowitsch in einem Arrangement von Alexei Pushkarev vorstellt. Zwischen diesen beiden bitter-heiteren Polen des Festivals sind Konzerte des Dresdner Streichquartetts, des Jacobus-Stainer-Quartetts, von Bläsern der Staatskapelle sowie von namhaften Solisten wie Anna Vinnitskaya – sie wird beide Schostakowitsch-Klavierkonzerte interpretieren – und Jascha Nemtsov angekündigt. Die Geigerin Nurit Stark mit ihrem Ensemble, der Trompeter Tobias Willner sowie der Bassist Alexei Mochalov konnten ebenso wie die Dirigenten Gidon Kremer (der Violinist auch als Solist) und Omer Meir Wellber (an Stelle des verhinderten Michail Jurowski) gewonnen werden.
Eine Urauführung von Sofia Gubaidulina
Der privat gestiftete Internationale Schostakowitsch Preis Gohrisch, den im Vorjahr die Cellistin Natalia Gutman erhielt, wird diesmal an Gidon Kremer, dem aktuellen Capell-Virtuosen der Sächsischen Staatskapelle, verliehen. Unter seiner Leitung erklingen unter anderem als Deutsche Erstaufführung Gija Kantschelis „Chiaroscuro“ sowie die Urauführung der Kammermusik „So sei es“ von Sofia Gubaidulina, der derzeitigen Capell-Compositrice der Staatskapelle. Auch sie hat ihr Kommen nach Gohrisch fest zugesagt.
Neben Gubaidulinas Schaffen ist auch das ihres Lehrers Mieczysław Weinberg im Programm vertreten, das Spektrum des Festivals reicht darüber hinaus von Johann Sebastian Bach über Dmitri Schostakowitsch bis hin zu dem vor zwei Jahren mit gerademal 60 Jahren verstorbenen Viktor Suslin. Als neue Spielstätte kommt die Kirche von Königstein hinzu, wo Mitglieder der Kremerata Baltica und der Organist Friedemann Herz zu hören sein werden. Die diesjährige Filmmatinee präsentiert mit dem 2008 entstandenen Streifen „Dem kühlen Morgen entgegen“ einen Film über Schostakowitschs Leben, den Regisseur Oliver Becker persönlich vorstellen wird. Aus Anlass der 5. Schostakowitsch-Tage soll diese Aufführung dem Publikum bei freiem Eintritt geschenkt werden.
Zu den bekannt guten Ideen der Festivalmacher um ihren Künstlerischen Leiter Tobias Niederschlag kommen also stes neue dazu. Und nicht nur das Publikum, auch die mitwirkenden Künstler sind von der Idee und dem Geist dieses Ortes fasziniert. Allen voran die Musikerinnen und Musikern der Sächsischen Staatskapelle, die diese Initiative wesentlich mittragen, um gemeinsam mit namhaften Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt den Kurort Gohrisch drei Tage lang zum Klingen zu bringen. Sonst würden sie wohl kaum auf Gagen verzichten und lediglich für knappes Frackgeld aufspielen. Ihr schönster Lohn ist sowieso der Jahr um Jahr wachsende Zulauf des Publikums. Ein Beweis, wie sehr Gohrisch sich schon etabliert hat.
Ein Novum ist diesmal die kurze Wartezeit auf die 6. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch. Sie werden nicht erst im Herbst, sondern schon Ende Juni 2015 stattfinden. Der Dirigent und Schostakowitsch-Kenner Michail Jurowski sowie die Schauspielerin Isabel Karajan werden dann wieder gemeinsam mit dabei sein.
5. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch 19.-21.9.2014
19. September
19.30 Uhr Eröffnung
„Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch“
Eine szenische Collage über die Angst
Mit Musik von Dmitri Schostakowitsch und Texten seiner Zeitgenossen
Isabel Karajan, Schauspielerin
Jascha Nemtsov, Klavier
Dresdner Streichquartett
Klaus Ortner, Szenische Einrichtung
In Kooperation mit den Osterfestspielen Salzburg
20. September
11.00 Uhr Filmmatinee
„Dem kühlen Morgen entgegen“ (D 2008)
15.00 Uhr Kirchenkonzert, Stadtkirche Königstein
Vocal Concert Dresden
Leitung: Peter Kopp
Friedemann Herz, Orgel
Mitglieder der Kremerata Baltica
Werke von Johann Sebastian Bach, Sofia Gubaidulina und Dmitri Schostakowitsch
19.30 Uhr Aufführungsabend I
Kremerata Baltica
Bläser der Sächsischen Staatskapelle
Gidon Kremer, Violine / Leitung (Teil 1)
Omer Meir Wellber, Dirigent (Teil 2)
Anna Vinnitskaya, Klavier
Wolfram Große, Klarinette
Werke von Sofia Gubaidulina, Dmitri Schostakowitsch und Mieczysław Weinberg
21. September
11 Uhr Kammermatinee
Nurit Stark, Violine
Rebecca Beyer, Violine
Cédric Pescia, Klavier
Alexander Suslin, Kontrabass
Taiko Saito, Schlagzeug
Jascha Nemtsov, Klavier
Jacobus-Stainer-Quartett
Werke von Viktor Suslin, Johann Sebastian Bach, Dmitri Schostakowitsch und
Sofia Gubaidulina (UA „So sei es“)
17 Uhr Aufführungsabend II
Kremerata Baltica
Gidon Kremer, Violine und Leitung
Anna Vinnitskaya, Klavier
Tobias Willner, Trompete
Alexei Mochalov, Bass
Werke von Johann Sebastian Bach, Gija Kantscheli und Dmitri Schostakowitsch
Karten: Schinkelwache am Theaterplatz
Busshuttle vom Theaterplatz zu den Konzerten und wieder zurück