Scroll Top

Schostakowitsch im Herbst

Am vergangenen Wochenende haben die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch zum fünften Mal stattgefunden, nun ist damit Schluss. Kein weiteres Schostakowitsch-Festival im Herbst, nie wieder das bei Tag wie bei Nacht geradezu diamanten funkelnde Konzertzelt am Rande von Gohrisch.

Aber halt, das ist kein Abgesang auf ein glücklich initiiertes Musikereignis inmitten der Sächsischen Schweiz, sondern ein Ausblick auf dessen schon baldige Fortsetzung. Die Veranstalter haben sich jedoch entschlossen, die drei Tage im Herbst künftig in den Sommeranfang zu legen. Das ist bekanntlich noch vor der Erntezeit, daher ist die große Scheune, in der 2010 alles begann, für die Kultur also noch frei. Sie wird künftig wieder zur Konzertscheune gewandelt, das spart eine Menge Geld und hilft gewiss auch der Akustik. Als hätte der diesjährige Herbst nur mit Bedauern Abschied von den liebgewonnenen Tagen im Zeichen der Musik nehmen können, hat er den fünften Jahrgang denn auch reichlich mit Regen begossen.

Isabel Karajan in „Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch“

Das trübte ein wenig den Genuss am Eröffnungsabend, als Isabel Karajan ihr Projekt „Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch“ präsentiert hat. Der Dauerregen trommelte aufs Zeltdach, als wollte er ein weiteres Verbleiben einfordern. Doch ungeachtet des einen oder anderen dadurch weggeprasselten Wortes – Texte von Schostakowitschs Zeitgenossen, die das Thema Angst zum Inhalt hatten und genial ins 8. Streichquartett und andere Musik des russischen Meisters verwoben wurden – hat das Wetter just zur eher gedrückten Stimmung beigetragen. Die musikalisch-literarischen Collage in der Regie von Klaus Ortner geriet jedenfalls zu einem unvergesslichen Auftakt, was neben den starken inhaltlich-szenischen Eindrücken sowohl am bezwingenden Spiel von Isabel Karajan als auch am fulminanten Musizieren des Dresdner Streichquartetts lag. Gemeinsam mit dem Pianisten Jascha Nemtsov haben die vier Musiker der Staatskapelle einen sowohl spannenden als auch würdigen Abend gestaltet (der seine Fortsetzung zu den Osterfestspielen Salzburg erfährt, wo „Fräulein Tod“ 2015 gezeigt wird) – und damit die Latte schon mal sehr hoch gehängt.


Stelldichein der Experten und Liebhaber

 

Das künstlerische Niveau der Schostakowitsch-Tage war aber insgesamt auch im fünften Jahrgang wieder sehr hoch. Schließlich hatte man schon vom Start weg auf Internationalität gesetzt und den eigenen Anspruch von Anfang an eingelöst. Ein Ausnahmefestival! Und der starke Zulauf von Publikum aus der Region sowie aus wirklich aller Welt gibt allen daran Beteiligten Recht.

Wo sonst (von den großen Kulturmetropolen mal abgesehen) gibt es die Chance, die Musikerinnen und Musiker der Kremerata Baltica hautnah zu erleben, sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Staatskapelle zu hören, wo trifft man Schostakowitsch-Experten von Krzysztof Mayer, Bernd Feuchtner oder Emmanuel Utwiller und kann im selben Hotel wie Sofia Gubaidulina nächtigen? Vom Stelldichein der Solistinnen und Solisten ganz zu schweigen: Hier Gidon Kremer, da Anna Vinnitskaya und Nurit Stark, hier Omer Meir Wellber und Alexei Mochalov, da Rebecca Beyer und eben immer wieder auch Isabel Karajan.

Pianistin Anna Vinnitskaya

Die Programmgestaltung war gewohntermaßen klug disponiert. Natürlich gehörte in den 5. Jahrgang wieder das in Gohrisch entstandene 8. Streichquartett, es erklangen darüber hinaus Schostakowitschs Klavierkonzerte Nr. 1 und 2 sowie weitere Kammermusik und Bearbeitungen des Meisters. Auch die letzten Takte gehörten ihm und boten den meisten Besuchern mit der geradezu selbstmörderischen Satire „Antiformalistischer Rajok“ gewiss eine Überraschung. Das erst lange nach Schostakowitschs Tod uraufgeführte Stück nimmt die Dummheit der Ideologie aufs Korn und verfremdet die Bevormundung durch den doktrinären Stalinismus in eine Orgie des Jubels. Das entlarvt sich natürlich selbst – und hätte für den Verfasser das sichere Aus bedeutet. Alexei Mochalov hat seine Rollen mit ungeheuerer Wandelbarkeit interpretiert, das Publikum wurde bis zum Mitklatschen hingerissen; bleibt zu hoffen, dass die Bitternis dieser nicht nur komödiantischen Farce auch verstanden worden ist.
Aller Anfang und Ende
Doch nicht nur Schostakowitsch stand auf dem Programm, so schier unerschöpflich sein OEuvre auch ist. Überzeugende Brücken wurden zu Vorbildern, Freunden, Schülern sowie zu Schülern von Schülern geschlagen. Mehrfache Anklänge gab es an Johann Sebastian Bach, dem Anfang und Ende aller Musik des hiesigen Kulturraums, die in aller Welt ohne viel Worte verstanden werden kann. Seine Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“ dienten Schostakowitsch zu einem eigenen Reigen. Sofia Gubaidulina nahm in ihren jüngst auch in Dresden zu hörenden „Reflexionen über B-A-C-H“ direkten Bezug auf das große Vorbild, das im Original auch beim Kirchenkonzert in Königstein erklang, wo Organist Friedemann Herz sowie Peter Kopp und das Vocal Concert Dresden gemeinsam mit Mitgliedern der Kremerata Bach, Schostakowitsch und Gubaidulina zusammenbrachten.

Omer Meir Wellber dirigierte die Kremerata Baltica, hier mit Solist Wolfram Grosse.

Eine Uraufführung der diesjährigen Capell-Compositrice beschloss die Kammermatinee am Sonntag und stellte die soeben in selber Besetzung auch schon für CD (SACD: BIS-2146) eingespielte Komposition „So sei es“ vor. Ein Werk für Violine, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug, das Viktor Suslin gewidmet ist und von Nurit Stark, Alexander Suslin, Cédric Pescia und Taiko Saito mit ergreifender Innigkeit vorgetragen worden ist. Eingeleitet wurde diese Matinee vom „Capriccio über die Abreise“, das Viktor Suslin, ein enger Weggefährte von Sofia Gubaidulina, für zwei Violinen komponierte. Nurit Stark und Rebecca Beyer haben diesen um Leben und Tod kreisende Stück mit einer atemlos machenden Hingabe aufgeführt.
Dasselbe Attribut darf auch für mindestens zwei weitere Werke beispielhaft gelten: Mieczyslaw Weinbergs 4. Kammersinfonie als ebenso mitreißende wie andächtige Sicht in jenseitige Welten sowie die deutsche Erstaufführung von Gija Kantschelis „Chiaroscuro“, ein bildhafter Ausflug in die Tiefen von Hell und Dunkel als abgründige Lebenserfahrungen.

Dass Gidon Kremer, der zum wiederholten Mal nach Gohrisch kam, diesmal den Internationalen Schostakowitsch Preis dieses Festivals erhielt, ist mehr als verdient. Er tritt damit die ehrende Nachfolge von Rudolf Barschai, Kurt Sanderling, Michail Jurowski und Natalia Gutman an; vor allem aber ist mit ihm ein künstlerisch über alle Zweifel erhabener Grenzgänger gewürdigt worden, der sein Leben ganz in den Dienst der Musik gestellt hat. Bis heute ist es Kremers heiliger Anspruch, damit das Leben ein klein wenig lebenswerter zu machen und die Welt zu bereichern.
Ähnlich humanistisch ist auch das Herangehen der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch. Die verbindenden Elemente werden Jahr um Jahr in großartigen Konzerten, aber auch in Debatten und Gesprächen unter Beweis gestellt. Drei ganz wichtige Tage im Festivalkalender, viel zu rasch sind sie stets wieder vorbei. Aber das Warten auf den 6. Jahrgang fällt diesmal nicht ganz so schwer, denn von nun an soll es beim Frühsommer bleiben: Wir sehen und hören uns wieder vom 19. bis zum 21. Juni 2015. In Gohrisch!

MDR Figaro sendet als Medienpartner der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch am 17. Oktober um 20.05 Uhr einen Querschnitt des diesjährigen Festivals.

www.schostakowitsch-tage.de

Fotos (5): Matthias Creutziger