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Ein Haus wird zum Klangkörper

Zwei Jahre mussten wir warten, bis es endlich wieder ein Tonlagen-Festival im Europäischen Zentrum der Künste Dresden im Festspielhaus Hellerau gibt. Zwei lange Jahre Geduld; da werden wir die Zeit bis zum Eröffnungskonzert wohl auch noch verkraften…

Filmstill »Krazy Kat«
Filmstill »Krazy Kat«

Als Intendant Dieter Jaenicke unlängst gemeinsam mit seiner Programmleiterin Barbara Damm die diesjährigen »TONLAGEN« vorstellte, begründete er den späteren Anfang – das Festival findet vom 15. bis zum 25. Oktober statt – mit den Semesterferien der Hochschulen. Namentlich die Dresdner Musikhochschule und deren Studiosi seien als mitwirkende Partner und avisiertes Publikum unverzichtbar.

Ansonsten kommen die meisten der Mitwirkenden diesmal aus aller Welt. Künstlerinnen und Künstler aus rund zwanzig Ländern seien involviert, wurde betont. Ein fester Kooperationspartner jedoch, der künftig zwei- bis dreimal pro Jahr in Helleraus zu Gast sein soll, hat sein Domizil quasi um die Ecke: das MDR Sinfonieorchester und sein Chefdirigent Kristjan Järvi haben sich im Festspielhaus bereits ein kleines Stammpublikum erspielt und werden nun zum Eröffnungskonzert »China Sounds« präsentieren. Damit ist schon eines der beiden diesjährigen Hauptthemen prominent vertreten: Neue Klänge aus Fernost sollen zu hören sein, lautet der internationale Anspruch hinter »New Sounds from the Far East«. Da Järvi und sein Rundfunkorchester Werke sowohl von jungen chinesischen Komponisten als auch von durch China-Aufenthalte inspirierten Autoren aus westlichen Hemisphären aufführen werden, verknüpft der Abend geschickt Binnensicht und Außenperspektive auf China.

Lupophon
Lupophon

Eingeleitet wird dieses Konzert mit der Uraufführung einer Art »Dresden-Sinfonie« des norwegischen Komponisten Ole Hamre, der mit dem von ihm entwickelten Folofon vor Ort Stimmen und Geräusche der Stadt und ihrer Bewohner einfing, die nun mit pianistischen Improvisationen und Obertongesang verbindet. Folofon? Das ist ein Video-Keyboard und gleichzeitig der Schlüssel zum zweiten Hauptthema von Tonlagen: »when things are hopping – neuen Instrumente, neue Klänge«.

Jaenicke erläuterte, dass es ein Trugschluss wäre, die Entwicklung der Musikinstrumente als abgeschlossen zu betrachten. Ständig würde Neues erprobt, vor allem Komponisten selbst, die auf der Suche nach neuen tonalen Systemen und deren Darstellung seien, entpuppten sich als überraschend kreative Bastler.

Mit Musik für Lupophon und Kontraforte sollen etwa im Konzert »Neuer Tiefklang« ungewöhnliche und spannende Hörerlebnisse ermöglicht werden, die das Duo Elise Jacoberger und Martin Bliggenstorfer vortragen wird. Lupophon? Kontraforte? Das sind Instrumente, als als Bassoboe und Fortentwicklung des Kontrafagotts nur annähernd beschrieben sind. Ihr Klang, erstmals bei den Tonlagen solistisch bzw. im Duo, wird in einer ganzen Reihe musikalischer Uraufführungen zu hören sein.

Eine gewiss überraschende Klangreise durch ein 43-stufiges Tonsystem verbindet Unerhörtes – Musik des US-amerikanischen Komponisten und Instrumentenbauers Harry Partch – mit womöglich schon oft Gesehenem. Das Kölner Ensemble Musikfabrik setzt mit dieser europäischen Erstaufführung einen Tribut auf das große Vorbild der Comic-Art, die Legende George Herriman (vor allem bekannt durch seine Serie »Krazy Kat« und deren Nachahmer à la »Tom and Jerry«).

»Mega Cities, Mega Sounds«: Ruins Face (Foto: GogoJ)
»Mega Cities, Mega Sounds«: Ruins Face (Foto: GogoJ)

In weiten Fernen schwelgt »Istanbul Tribe« des in Montreal lebenden Türken Mercan Dede, der als „Derwisch für die moderne Welt“ gilt und elektronische Neuartigkeiten mit tausendjährigen Klängen des Orients mixt. Als Film- und Musikperformance angepriesen ist François Sarhans »Lâchez tout!«, die vom Glasgower Red Note Ensemble vorgetragen wird. Gar nach Indonesien führt das Duo Senyawa, das gemeinsam mit dem Klangkünstler Fujui Wang aus Taiwan, der chinesischen Audio- und Videokünstlerin Shen Jie aka GogoJ sowie dem aus Hongkong stammenden Komponisten Leung Kei-chuek aka GayBird das Projekt »Meha Cities, Mega Sounds« präsentieren wird. Hierin verschmelzen die Bezüge zwischen Fernost und neuartigen Musikinstrumenten.

Das Tonlagen-Festival greift 2014 allerdings nicht nur ins Ungewohnte, sondern auch eine dem Publikum liebgewordene Veranstaltung wieder auf. Das genussreiche Symposion von 2009 findet – wer seinerzeit dabeigewesen ist, wird sagen: endlich! – eine Neuauflage. Acht Stunden lang soll der allmählich gesteigerte Rausch währen, den einmal mehr das Klangforum Wien am letzten Tag des Festivals zelebriert. Im Zentrum dieses Kunstereignisses für (nahezu) alle Sinne steht das Schaffen Giancinto Scelsis, der seine Kreativität einst an der Ondiola entfaltete, die ein wenig mehr als nur eine Vorgängerin späterer Synthesizer war. Erstmals dürfen in diesem Rahmen auch musikalische Umsetzungen von Scelsis Skizzen aufgeführt werden.

Hochprozentige Veranstaltung: das »Symposion« am Samstagabend (Foto: Klangforum Wien)
Hochprozentige Veranstaltung: das »Symposion« am Samstagabend (Foto: Klangforum Wien)

Eine Menge Entdeckerfreude darf also durchaus mit den diesjährigen TONLAGEN verbunden werden. Zusätzlich zu den Performances, die reiche Traditionen mit Hyper-Moderne verknüpfen sollen, versprechen Jaenicke und Damm das Festspielhaus als Gesamtkunstwerk. Soll heißen, hinter jeder Tür, in jedem Raum und selbstverständlich auch auf dem Vorplatz wird es klingen, tönen, wirken. Das totale Klangereignis? Neben den akustischen Reizen darf – täglich ab zwei Stunden vor Konzertbeginn –  auch reichlich Schauwert erwartet werden, eine klingende Nähmaschinen-Installation etwa. Eine Journalistenwerkstatt, in deren Rahmen u.a. der Chefredakteur von »Musik in Dresden« über Reflexivität von Musikkritik sprechen wird, ist Teil des umfangreichen Rahmenprogramms.

Endlich, so der Intendant und seine Planerin unisono, dürfe in einem Tonlagen-Jahrgang mal all das gezeigt werden, was die ideenreichen Macher des Festivals wirklich zeitgenössischer Musik vorhaben. Dieser Anspruch solle die Leistungen der Vergangenheit nicht schmälern. Aber vielleicht setzt er ja ganz neue Maßstäbe? Fakt ist, das ganze Haus soll zum Klangkörper werden.