Für zwei Vorstellungen stand mit »Capriccio« die letzte Oper des Komponisten auf dem Spielplan der Richard-Strauss-Tage in der Semperoper. Das nach wie vor selten gespielte Alterswerk hat so gar nichts Altmeisterliches an sich, es überzeugt vielmehr durch Frische, musikalische Vielfalt und poetische Brillanz, die in dieser Kombination als Alleinstellungsmerkmal gelten können. Wem gebührt das Primat – der Sprache oder der Musik? Dieses kaum lösbare Problem wird für zwei Stunden in aller Ausführlichkeit, mal ironisch, mal ernsthaft erörtert und dabei vom Abstrakten raffiniert ins Menschliche und wieder zurück geklappt. Strauss und seine Librettisten von Stefan Zweig bis Clemens Krauss machen dabei kein ästhetisches, sondern ein menschliches Labor auf – übervoll von sprachlichen Mehrdeutigkeiten und Verweisen in die Musikgeschichte, von Strauss selber über Mozart bis hin zu Gluck. Das macht auch heute noch den großen Reiz dieser Versuchsanordnung aus. Am Ende steht natürlich das Gesamtkunstwerk als Ziel und Lösung, in dem sich alle Teile zu einer größeren gemeinsamen Wirksamkeit verbünden. Und genau das entstand auch jetzt in der Semperoper, ein wunderbares musikalisches Gesamtkunstwerk! Unter Christian Thielemann erwies sich die Staatskapelle Dresden einmal mehr als kongenialer, höchsten Ansprüchen genügender Mitspieler im Orchestergraben. Vom filigranen Auftakt mit dem Streichersextett bis zum elegischen Hornsolo in des-Dur im letzten Takt erklang ein hochmusikalischer, detailreicher und dabei immer auch leichter, lebendiger und nie auftrumpfender Richard Strauss. Thielemann stimmte Orchester und Sängerensemble sensibel wie präzise aufeinander ab. Alles blieb im Fluss, wurde nie ein Sog, der bei diesem Konversationsstück ganz falsch wäre.
Auf der Bühne sang und spielte ein inspiriert zusammenwirkendes Ensemble, das keine Wünsche offen ließ. Jenseits aller Karikatur gestaltete Georg Zeppenfeld ein berührendes Rollenporträt des Theaterdirektors La Roche. Jede Geste stimmte bei ihm, jede Phrase. Spielfreudig und stimmstark agierten Steve Davislim und Adrian Eröd als die beiden Kontrahenten Flamand und Olivier. Daniela Sindram überzeugte als Schauspielerin Clairon mit klarer Diktion und prägnanten Auftritten, und als italienisches Sängerpaar machten Christina Poulitsi und Manuel Nuñez Camelino aus ihrem Auftritt eine richtige kleine Nummer. Da brach in der sonst eher verhaltenen Inszenierung von Marco Arturo Marelli, der man ihre Repertoirezugehörigkeit von mehr als zwei Jahrzehnten in manchen Momenten wirklich anmerkte, endlich mal etwas aus. Christoph Pohl als Graf war auch in dieser Partie eine sichere Bank als wandlungsfähiger Sängerdarsteller (in der zweiten Vorstellung sprang Dietrich Henschel ein und sang von der Seite, der Spielleiter Bernd Gierke agierte szenisch). Zu nennen sind ebenfalls Johannes Preißinger und Bernd Zettisch mit ihren unaufwendigen Charakterstudien als Souffleur Taupe und Haushofmeister sowie die acht Herren des Chores der Semperoper, die aus ihrem gemeinsamen Diener-Auftritt ein kleines Kabinettstück machten.
Ingolf Müller
Der Autor stammt aus Dresden, studierte Kommunikation in Berlin, Grenoble und München und arbeitet als Dramaturg und Kulturmanager.