Seit ein paar Tagen steht eine Tüte voller Bücher neben meinem Schreibtisch. Das Logo der „Ersten Europäischen Spiele Baku“ ist außen mit Goldlettern aufgedruckt. Darin befinden sich Kuriositäten wie „Aserbaidschanische Märchen“, „Aserbaidschanische Küche“ und ein Ausstellungskatalog „Deutsche Spuren in Aserbaidschan“. Alles sehr bunt, fester Einband und schon für einen Laien erkennbar: sehr teuer. Alles kostenlos, alles eine Gabe der Heydär Äliyev Stiftung, alles als Beilage zu einem sehr kuriosen Konzertbesuch.
Zur Eröffnung einer Ausstellung im Albertinum wurden rund 700 Gäste, die sich letzten Montag in den Lichthof des Museums einfanden. Dort, wo sich sonst Touristengruppen auf der Suche nach Scheibitz und Van Gogh tummeln und die Philharmonie bis auf Weiteres ihr Bleiberecht hat, standen Staatsfahnen und ein paar Schwarzweiß-Fotografien. Die Stiftung zu Ehren des Staatsneugründers leitet heute die First Lady Aserbaidschans, die Schwiegertochter des Namensgebers. Sie widmet sich umfangreichen Aufgaben: der Förderung von Kunst, Kultur, Bildung und Erinnerung an die Wohltaten des Namensgebers. An diesem Abend war es eine Mischung aus allem, hauptsächlich aber ein prunkvolles Werbeprojekt für das Land Aserbaidschan. Ach ja, neben der Vernissage gab es noch ein Gala-Konzert der Aserbaidschanischen Kammerorchesters unter der Leitung von Fuad Ibrahimov. Als Beilage Wein, Häppchen und Reden.
So eine Verdichtung an Ereignissen, begleitet von einer absoluten Leere an Informationen, das gab es in Dresden noch nicht. Keine Pressemitteilung, keine Webmeldung, nichts. Nicht einmal die Anfangszeit war bekannt, und wurde erst auf Nachfrage mitgeteilt. Umso aufwendiger der Empfang im Albertinum: Jeder Gast, der von einer Gruppe attraktiver Hostessen persönlich begrüßt und per Ipad in die Veranstaltung eingecheckt wurde, bekam bei dem Betreten des Lichthofes einen Schlag mit dem Pathoshammer: Fahnen, Fayence, Flying Buffet – alles sehr staatstragend. Bei so viel Beiwerk geriet die eher unscheinbare, auf einem dutzend Staffeleien präsentierte Fotoausstellung zwischen Smoking und Smalltalk in den Hintergrund.
Spätestens bei der Eröffnungsrede des Aserbaidschanischen Botschafters Parviz Shahbazov wusste man, worum es an dem Abend wirklich geht: Von einem Wirtschaftswunderland war da die Rede, von einer starken Verbindung mit Deutschen (deren Alltag als Immigranten die Fotoausstellung, begleiten von einem sehr großen aber erstaunlich inhaltsarmen Katalog dokumentieren sollte), von den ersten Europaspielen in Baku 2015 und von armenischen Aggressionen gegenüber Aserbaidschan. All das, während nur ein paar Meter weiter Chaoten und Rechtsradikale ein patriotisches Europa ausriefen. Vom sächsischen Protokoll fehlte jede Spur: Politik und Wirtschaft waren weder auf der Bühne noch im Saal vertreten. Nur ein einsamer Dresdner Hochschulrektor saß etwas versteckt, aber sichtlich vergnügt über den kuriosen Abend, in der letzten Stuhlreihe.
Das Aserbaidschanische Kammerorchester klang nicht zuletzt aufgrund der wunderbaren Albertinum-Akustik sauber, aber seltsam unbedeutend. Während Fuad Ibrahimov mit einer Mischung aus Lässigkeit, Pathos und Genauigkeit dem kleinen Klangkörper wenigstens ein kleines Feuerwerk herauszukitzeln versuchte, schleppten sich die Musiker klanglich sauber, aber ohne jeglicher Begeisterung durch das Programm. Es war Ihnen auch nicht zu verübeln: 20 kurze Musikschnipsel von Gara Garayev, Tofig Guliyev, oder Azär Rzayev ließen nicht unbedingt Raum für Spannungsbögen. Die Solisten, allesamt in Volkstracht, spielten in Begleitung des Orchesters Instrumente wie Balaban und Chanändä. Ungewöhnlich, und so fröhlich, dass man sich beim Grinsen und Mitwippen erwischte. So richtig ging alles aber nicht zusammen: als die Bizet-Habanera und ein paar Italienische Schlager erklangen, versanken einige Gäste tief in ihren Sesseln, während der eben noch sehr vergnügte Rektor schnell und unauffällig den Saal verließ. Zu viel ist zu viel!
Fuad Ibrahimov aber kann noch viel mehr. Der 1982 in Schuscha geborene Musiker spielte bereits mit 15 Jahren als Bratschist im staatlichen Symphonieorchester. Dass er nach seinem Instrumentalstudium anschließend noch in Köln Dirigieren studierte und 2011 mit Bestnote abschloss, ist ein Gewinn für die Musikwelt. Sein Dirigat ist ambitioniert, seine Gestik klar, die Freude am Musizieren steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er nimmt das Konzert mit Humor, fordert das Orchester heraus und gewinnt die Herzen mit eleganter Einfachheit und Charme. Das Publikum dankte es ihm mit tobendem Beifall und standing ovations. Dass Ibrahimov, der zwischen Deutschland und Aserbaidschan pendelt, auch gerne mal ein anderes Orchester in Dresden dirigieren würde, daraus macht er bei einem kurzen Gespräch nach dem Konzert kein Geheimnis. Am liebsten natürlich die Staatskapelle. Wenn man ihn, den frischen, energischen jungen Mann erlebt, dann erscheint das gar nicht so unwahrscheinlich.
Am Ausgang gibt es zum Mitnehmen Märchen, Kochbücher und selbstverständlich der Ausstellungskatalog. Die Hostessen sind im Verteilfieber: „Noch ein Kochbuch für Ihre Frau?“ Auch wenn die Ausstellung im Albertinum schon am nächsten Morgen wieder abgereist ist, und auch wenn der ganze Abend zwischen Politik, Kultur und Edelmäzenen einen seltsamen Beigeschmack hinterlässt, so muss ich doch immer daran zurück denken: Wenn morgens mein Blick von der Tageszeitung, die von Finanzierungslücken am Theater Plauen-Zwickau berichtet, auf die goldbedruckte Tüte neben meinem Schreibtisch fällt.