Die Postboten sämtlicher konkurrierender Unternehmen luden seit Tagen die Päckchen der Nachbarn beim Autor dieser Zeilen ab. Auf den Weihnachtsmärkten wurden zwischen Glühweinschwaden und Maronenbrutzelrauch die letzten Geschenke erstanden. Am vierten Adventswochenende kulminierte dann die Feier- und Kaufrallye.
Wohl dem, den es da in die Kreuzkirche verschlug. Am Freitag und Samstag bot der Weihnachtsliederabend des Dresdner Kreuzchors Gelegenheit, einmal kurz innezuhalten, durchzuatmen und nur zuzuhören. Eigentlich erstaunlich, dass die Kruzianer nach der Vorweihnachtstournee, dem Oratorienmarathon der letzten Woche und zuletzt dem Weihnachtskonzert mit dem Bundespräsidenten, das das Fernsehen Heiligabend ausstrahlen wird, noch die innere Gefasstheit für diese beiden Termine aufbrachten. Und doch war das hörbar kein Pflichttermin für die Sänger, sondern ein weiterer sängerischer Höhepunkt der Chorsaison. So ausgeglichen in den verschiedenen Registern der Knaben- und Männerstimmen hat sich der Chor seit Jahren nicht mehr präsentiert. Ein weicher, in allen Nuancen ausbalancierter Klang breitete sich vom Altar in die erneut ausverkaufte Kreuzkirche aus. Das Publikum dankte es dem Chor mit ungewöhnlich stiller Konzentration; keine Hand rührte sich, bis endlich der Weihnachtsklassiker „Stille Nacht“ zuletzt begeistert beklatscht wurde, während die Kruzianer durchs Kirchenschiff auszogen.
Sicher wäre es einfacher gewesen, die Hörer mit einem einfach einzustudierenden Potpourri der beliebtesten Weihnachtslieder satt abzufüttern. Stattdessen erfreute der Chor mit einer dramaturgisch klug durchkomponierten Abfolge bekannter, aber auch vieler unbekannter Festweisen aus drei Jahrhunderten, vom Freiberger Domkantor Christoph Demantius (1567-1643) über Sethus Calvisius (1556-1615) und Kreuzkantor Michael Lohr (1591-1654) bis zu dessen Amtsnachfolger Ulrich Schicha, der die Geschicke des Kreuzchors zwanzig Jahre als Chorassistent begleitet hatte und den Chor direkt nach der Wende selbst einige Monate leitete, nachdem Kantor Martin Flämig sein Amt zur Verfügung gestellt hatte – zu einem überraschenden Zeitpunkt, direkt nach einem dieser Weihnachtsliederabende, die damals noch im Kulturpalast stattfanden.
Das Kreuzchorjubiläum im Blick, beginnt sich die Arbeit der letzten Jahre für Kreuzkantor Roderich Kreile auszuzahlen. Der Chor wirkt stimmlich selbstbewusst. Mehrere schöne Knabensoli bewiesen an dem Abend, was für sängerisches Potential derzeit in den Kruzianern steckt. Wenn der Kantor nun noch die stilistische Vielfalt fördern, verschiedene interpretatorische Ansätze für das unendlich reiche Repertoire ausbauen und die Sänger motivieren würde, Heinrich Schütz anders anzugehen als Felix Mendelssohn Bartholdy – was mehr wäre zu Weihnachten zu wünschen?
Eine Textfassung des Artikels ist in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihr hier erneut abdrucken zu dürfen.