Seit dem 1. Februar leitet Jörn Hinnerk Andresen den Chor an der Sächsischen Staatsoper. Sein „Antrittskonzert“ ist das heutige Gedenkkonzert, das gleichzeitig das dreißigjährige Jubiläum der neuen Semperoper markiert. Andresen, der an der Dresdner Musikhochschule von Hans-Christoph Rademann und später von Matthias Brauer (seinem jetzigen Amtsvorvorgänger) ausgebildert wurde, erzählt im »Musik in Dresden«-Gespräch, wie er sich die Zukunft des Chores vorstellt, und welche Aufgaben jetzt anstehen.
Jörn Hinnerk Andresen, Ihr Wechsel nach Dresden verlief ruhig und „ohne größere Vorkommnisse“, was man von der Berufung des Intendanten nicht gerade sagen kann. Wer gibt am Haus eigentlich gerade die künstlerische Richtung vor?
Das versuche ich gerade rauszufinden. Man weiß ja nun nicht genau, wie sich die Sache weiter verhält, ob Christian Thielemann vielleicht gar zu den Berlinern geht? Es wird sicherlich schwierig sein, einen starken Intendanten zu finden, der sich das Haus antun möchte. Die Dorny-Affäre hat aus meiner Sicht ziemlich viel verbrannte Erde hinterlassen. Ich bin sehr gespannt, und glaube, dass es da kreative Lösungen braucht.
Haben Sie momentan organisatorische Hürden oder Probleme zu klären?
Der Chorprobenraum muss dringend saniert werden. Die Bestuhlung wird demnächst geändert. Sicher, wir tragen das Geld hier nicht in Taschen umher, aber das muss unbedingt sein.
Sie übernehmen an der Semperoper einen Chor, der trotz aller Widrigkeiten in den letzten Jahren von Publikum wie vom Feuilleton auf Händen getragen wurde. Warum, meinen Sie, war es dennoch Zeit für einen Leitungswechsel?
Da spielen sicher viele Sachen eine Rolle. Die Chemie muss stimmen, wie man als Chordirigent mit den Leuten warm wird, wie die Kommunikation läuft. Wissen Sie, der Chor ist ja nicht so riesengroß. Man sitzt sich ziemlich eng auf der Pelle. Es gibt so viele Möglichkeit, sich an einem Opernhaus zu verkrachen…
Und wie viele gibt es, künstlerisch noch etwas besser zu machen?
Auf der einen Seite möchte ich den Chorklang homogenisieren. Aber die Kollegen bieten ja auch von sich aus bestimmte Farben an. Diese Eigenarten muss man zusammenfassen und zu einem Ganzen formen. Es gibt ja schon fast objektive Standards für einen guten Chorklang: schlank muss er sein, mit guten Konsonanten, eine gute Intonation braucht es, die die Lautstärke beeinflusst, weil sich die Obertöne mischen. Dafür darf auch das Vibrato nicht zu groß werden. Von Haus aus hat der Staatsopernchor schon einen schlanken Klang. Ich gucke jetzt: was machen die Kollegen, gefällt mir das, und kann ich das entwickeln? Etwas draufzustülpen, das ist nicht meins.
Gibt es dennoch einen Andresen-„Knackpunkt“, etwas, woran man sie künftig hinter dem Chorklang hervorspüren kann?
Dass man einen Chor immer noch schlanker oder schlagkräftiger kriegen kann, ist klar. Wir arbeiten momentan vor allem an der Intonation: wo gehören eigentlich die Terzen hin? Die Sänger lernen wieder, was gute Intonation heißt.
Haben sich denn, banal gefragt, die Auffassungen, wo eine Terz hingehört, in den letzten Jahren geändert?
Ich sag es mal so: weil ein Opernchor immer mit Klavier probt und einem modernen Orchester arbeitet, sind wir auf eine „okaye“, aber eigentlich gleichmäßig schlechte Intonation gekommen. Da müssen wir wieder viel differenzierter arbeiten. Zum Festakt der dreißigjährigen Wiedereröffnung der Semperoper singe ich beispielsweise mit dem Chor ein Werk von Heinrich Schütz. Da muss man die Terzen rein intonieren. Je später wir in die Musikgeschichte kommen, desto schwieriger wird es dann. Im Barock sind wir schon bei Tonarten als rhetorische Mittel: F-Dur als Hirtentonart, D-Dur eher majestätisch… Das hat mit den Instrumenten zu tun, die die Stücke spielen, aber der Chor muss sich auch auf so etwas einstellen können. Aber ich warne Sie gleich mal vor: so eine Chorleiterhandschrift hört man nicht in der ersten Einstudierung. Klangliche Veränderungen dauern ihre Zeit.
Nun war Barockes sicherlich noch nie ein Schwerpunkt dieses Chores.
Ich kann mich noch an eine „Schöpfung“ erinnern mit Peter Schreier und einen „Belsazar“ in einer Inszenierung von Harry Kupfer, durch die der Chor wahnsinnig virtuos durchgestürzt ist. Klar, der Schwerpunkt liegt natürlich woanders. Aber mein Lieblingskomponist ist nun mal Heinrich Schütz, und gerade in diesem Chor gibt es ein gerüttelt Maß an Kruzianern, die auch eine Tradition mitbringen. Man kann da nichts aufoktroyieren, man muss die Leute mitnehmen. Wenn sie sich damit unwohl führen, müssen wir andere Wege finden.
Allgemein studiert ein Sänger heutzutage vor allem auf eine spätere Karriere als Solist hin. Welche Tugenden müssen Sie jungen Chorsängern zusätzlich mitgeben?
Aus meiner Erfahrung bleibt das für die meisten Studenten die ganz große Illusion. Viele Sänger wissen dann nicht so richtig, was es heißt, im Chor zu singen. Das Niveau der Opernchöre insgesamt ist sehr hoch. So viele Leute habe ich in Dresden ja noch nicht engagieren können. Beim Vorsingen singen die meisten Arien und Chorstellen. Für mich persönlich sind die Chorstellen sehr aufschlussreich, weil man daran merkt, wer sich wirklich vorbereitet hat. Es gibt Stellen, an denen scheitert jeder. Aber man sieht, wie er scheitert! Wie er mit Herausforderungen umgeht…
Werden Sie neben Ihrem Dresdner Engagement weiterhin anderswo dirigieren?
Fix habe ich keine andern Ensembles, aber ich arbeite regelmäßig mit verschiedenen Rundfunkchören, und das möchte ich auch gern beibehalten.
Etwas ruhig geworden war es in den letzten Jahren um den Sinfoniechor. Was ist da passiert?
Der Sinfoniechor feiert dieses Jahr sein hundertjähriges Jubiläum. In diesem Chor singen Laien; er war gegründet worden, um Aufführungen von Beethovens „Neunter“ zu verstärken. In den großen Sinfoniekonzerten hat er jahrzehntelang immer mitgesungen. Aber es stimmt über die letzten Jahre waren die Aufgaben des Sinfoniechors seltener geworden. Wir wollen den Sinfoniechor nun wieder stärker einsetzen, weil diese Farbe zum Haus gehört. Auch Gesangsstudenten haben da ein gutes Podium, um die Praxis kennenzulernen. Es ist ja auch interessant, Produktionen von der Bühne aus zu erleben. Das hat mein Vorgänger leider fast überhaupt nicht gepflegt. Ich bin gespannt, ob wir das wieder hinkriegen. Wir nehmen übrigens jederzeit Kandidaten auf!
Und wie ist der Stand in Sachen Opernchorstudio?
Das gab es lange Jahre, das Studio ist quasi eine duale Ausbildung von Hochschule und Oper. Mit ihm haben die Häuser eine gute Berufsfähigkeit geschaffen. Dann war das leider hin, und keiner wusste, wie weiter. Jetzt aber hat die Hochschule gehandelt und einen neuen Studiengang kreiert. Wir haben damit zehn Plätze, eine ziemlich einzigartige Institution. Die Mitglieder des Studios sind vergütet beschäftigt und dürfen bei Produktionen mitsingen, sie haben am Ende ihres Studiums ein Gutteil Opernchorrepertoire studiert. Und für uns ist es gut, weil wir das Altersspektrum des Chors etwas weiter aufspreizen können. Wir haben ja generell ein Überalterungsproblem.
Nicht nur Dachdecker, auch Opernchorsänger werden wahrscheinlich mit Mitte, Ende sechzig beruflich sehr strapaziert sein und sich zunehmend schwertun, mit den Jüngeren mitzuhalten. Wie gehen Sie als Chorleiter mit diesen Herausforderungen um?
Ich muss verantwortlich mit den Stimmen umgehen. Eine gesunde Stimme kann problemlos bis 65 singen. Und ein Chor ist nur dann interessant, wenn Sie als Leiter aus vielen verschiedenen Blumensorten einen schönen Strauß formen. Natürlich brauche ich die frischen, jungen, aber auch die gestandenen Alten, die mit ihrem Wissen zur Stabilität des Chores beitragen. Ich halte nichts davon, wenn Chöre einen Altersschnitt von 25 haben. Da fehlt dem Klang etwas. Wer einmal eine gute Technik hat, vergisst das auch nicht.
Gibt es eigentlich in Ihrem momentanen Leben noch etwas außer Chormusik?
Ich höre eigentlich relativ wenig Musik, bin gerne draußen. Wenn es irgend geht, verbringe ich meine Zeit mit meinen Jungs, die sind sieben und acht. Wir suchen gerade nach einer Schule in Dresden.
Die Kreuzschule wäre eine Option… da gibt es einen guten Chor.
Ich habe sie ja schon ständig in die Oper geschleppt. Meine Frau ist Kirchenmusikerin, die Jungs waren schon in der Wickeltasche auf der Orgelbank… Um ihre musikalische Entwicklung ist mir nicht bange.
7. Symphoniekonzert
13., 14. Februar, jeweils 20 Uhr
Gioachino Rossini: »Stabat mater«
Barbara Frittoli, Rinat Shaham, Yosep Kang, René Pape
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen)
Dirigent: Myung-Whun Chung