Zehn Minuten nach Beginn des Konzerts, während Franz Liszts Orpheus-Ouvertüre, wird es plötzlich laut. Über die Bühne fliegt ein Helikopter, landet einen Straßenzug weiter, eine Polizeieskorte fährt mit eingeschalteten Sirenen zum Eingang des hundert Jahre alten, jüngst restaurierten Al-Jahili-Forts. Der Dirigent erlaubt sich ein Grinsen, auf den riesigen Fernsehbildschirmen neben der Freilichtbühne blitzt es kurz auf. Dann haben er und das Orchester wieder auf Professionalität geschaltet. Das Konzert der Sächsischen Staatskapelle in der Wüstenstadt Al-Ain, der Geburtsstadt des Staatsgründers und ersten Präsidenten Scheich Zayid, wird ein toller Erfolg. Für die streng blickenden Honoratioren und ihre Begleiterinnen im Hidschāb. Für den sächsischen Ministerpräsidenten samt Entourage, der die Geschehnisse von der ersten Reihe aus verfolgt. Und genauso für die kichernden Mädchen weiter hinten, die zum „Heldenleben“ von Richard Strauss ihre eisgekühlten Erfrischungsgetränke durch den Strohhalm röcheln lassen.
Für die Staatskapelle sind Spielorte wie Abu Dhabi oder Al-Ain noch Neuland. Auf der Reise zu traditionelleren Tourneestandorten wie etwa Japan werden die Musiker in Zukunft öfter hier haltmachen und muselmanische Ohren für das Kernrepertoire des Abendlands zu begeistern suchen. Orchesterdirektor Jan Nast nennt das ein „musikalisches Kreuzrittertum“, ein friedliches natürlich. Als Partner vor Ort hat er den Germanistikprofessor Ronald Perlwitz, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten seit einigen Jahren für den Ausbau der kulturellen Beziehungen zuständig ist, einen sonnenscheingesegneten Ableger der Universität der Sorbonne gründen half und seit neuestem für ein saisonal bunt gemischtes Klassikprogramm zuständig ist. Für diejenigen, die vielleicht das letzte Mal klassische Musik gehört haben, als die Radiostationen nach dem Tod Scheich Zayids dreißig Tage lang westliche Trauermusik sendeten. Und das trotzdem allerhöchsten Ansprüchen genügen möchte, wie ja auch die „Außenstellen“ von Louvre und Guggenheim-Museum, die gerade unweit der Innenstadt Abu Dhabis auf der Insel Saadiyat entstehen.
Ronald Perlwitz macht nach diesem wirklich außergewöhnlichen Abend wahrscheinlich innerlich drei Kreuze. Die Erlaubnis, dass das Orchester überhaupt im Fort spielen darf, hat er erst seit wenigen Tagen. Es gab Probleme mit der Anreise, der Flug aus Dresden ist gestrichen worden, manche Musiker sind erst Stunden vorm Konzert eingetroffen. Noch in der Anspielprobe ging ganz schön viel schief. Der Chefdirigent hat gerade den Zimmerschlüssel des Ministerpräsidenten überreicht bekommen. Nun sieht Perlwitz müde aus, aber glücklich. „Das alles hier haben wir mit nur fünf Leuten organisiert!“
Christian Thielemann, der für seine penible Konzertvorbereitung bekannt ist, in der jede Organisationslücke unerfreulich und Improvisationskunst daher bisher kaum gefragt war, ist in diesen Tagen der entspannteste Kreuzritter, den man sich vorstellen kann. Liebevoll macht er seinen Musikern Komplimente: in den Extremsituationen so einer Reise, ob nun bei einem Freiluft-Event in der Wüste mit Popcorn und Jahrgangschampagner oder – wie für dieses Wochenende geplant – vor dem kritischsten Publikum der Welt in der berühmten Suntory Hall in Tokio, immer und überall überzeugen sie durch ihre künstlerische Qualität, ihre Strauss- und Wagnerkünste. Um die Strapazen der Anreise vergessen zu machen, hat er jedem Musiker eine Schoko-Dattel auf den Notenständer legen lassen. Und plauscht auf dem Kontinentalflug über das alte Potsdamer Stadtschloss und das neue Konzertzimmer in der Semperoper, bis überm Horizont zartrosa die Sonne aufgeht. Sicher, es wird noch einige Zeit dauern, bis die Musik des Abendlandes wie selbstverständlich zum Emirat Abu Dhabi gehört. Aber die musikalischen Samenkörner sind gelegt.
Eine Textfassung des Artikels ist in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wie danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.