Schwierige Zeiten für die Semperoper. Das Haus wird belagert und liefert den Strom für ein improvisiertes Flüchtlingscamp auf dem Theaterplatz. Während das Programm der nächsten Spielzeit vorgestellt wird, lässt ein massives Polizeiaufgebot das Lager mit Hilfe von Müllmännern bühnenreif räumen. Hinter den Mauern geht es um Kunst. Und um Menschlichkeit. Sollte das nicht nah an der Tautologie sein? Aus „humanitären Gründen“ habe man den Strom zur Verfügung gestellt und ihn auch dann nicht umgehend abgestellt, als man sich von den Veranstaltern „hintergangen“ fühlte, wie Wolfgang Rothe als kommissarischer Intendant apostrophierte. Solch ein Lager mit Zelten sei schlicht nicht abgesprochen gewesen.
Schwierige Zeiten. Das Haus wird für Bier und für Touristen gebraucht, immer wieder auch für Aufmärsche und Proteste. So erhält die Semperoper eine Medienpräsenz ganz ohne eigenes Zutun. Und wenn dann noch wer fragt, ob eine Nachfolge für den Intendantenposten in Sicht sei, wird flugs an das zuständige Staatsministerium verwiesen. An dem, wie es aussieht, ja ebenfalls schon bald eine sich abzeichnende Vakanz Personalprobleme hervorrufen wird. Wenigstens auf der Bühne des eben zum 30. Jahrestag seiner Wiedereröffnung befeierten Hauses scheint es Personalmangel nicht zu geben. Zusätzlich zum hauseigenen Ensemble darf man sich auf namhafte Gäste und hoffnungsvolle Entdeckungen freuen. Weltweit sei nach faszinierenden Stimmen gefahndet worden. Und auch für die Titelfiguren wurde offenbar nicht nur im Opernlexikon geblättert. Neben „Don Giovanni“ und „Eugen Onegin“, zwei halbwegs wesensverwandten Charakteren, auf die Spielplangestalter auch ohne großes Nachdenken kommen konnten, wird es einen „Wildschütz“ geben und – Überraschung! – die schillernde Figur des „Großen Gatsby“. Francis Scott Fitzgeralds Roman als Vorlage für Film und Musiktheater, herausgekommen ist die Oper von John Harbison 1999 an der Met in New York, Dresden holt sie nun als Europäische Erstaufführung an die Elbe. Der für seinen Schmiss in Sachen des orchestralen Jazz bestens bekannte Wayne Marshall wird die musikalische Leitung übernehmen, Keith Warner inszeniert das Stück vom Aufstieg und Fall des Ganoven Gatsby. Bekommt da die Parole vom „Weltoffenen Dresden“ nicht gleich einen ganz anderen Klang?
Am ehesten erfüllt wird sie mit einer Produktion der Jungen Szene, wie deren Leiter Manfred Weiß verraten hat. In der Spielstätte Semper 2 wird Christine Lutz Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ inszenieren, Johannes Wulff-Woesten sorgt für die musikalische Umsetzung des 1942/43 in Theresienstadt entstandenen, von den Nazis missbrauchten und heute viel zu selten aufgeführten Werkes. Eine Wiedergutmachung anderer Art setzt Weiß selber in Szene und bringt die 1977 an der Berliner Staatsoper uraufgeführte Opernfantasie „R. Hot bzw. Die Hitze“ von Friedrich Goldmann heraus. Nach Wolfgang Rihms „Lenz“-Oper soll damit einmal mehr an den Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz erinnert und zugleich eine Reihe mit Ausgrabungen von zu Unrecht vergessenen DDR-Komponisten gestartet werden.
Angeknüpft wird auch an die große Tradition Dresdner Uraufführungen, zumindest indirekt. Denn nach dem Erfolg des 1926 hier herausgekommenen „Cardillac“ von Paul Hindemith soll nun endlich auch dessen „Mathis der Maler“ in Dresden gezeigt werden, als hiesige Erstaufführung! Man glaubt es kaum. Mit dem Titelpart dieses zwischen Kunst und Kampf zerrissenen Helden wird wiederum Markus Marquardt betraut, Simone Young dirigiert und Jochen Biganzoli inszeniert dieses Stück. Als Übernahme von den Osterfestspielen Salzburg kommt Anfang 2016 die von Philipp Stölzl inszenierte Doppelpremiere „Cavalleria rusticana“ / „Pagliacci“von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo nach Dresden. Ausflüge ins Verismo, die Chefdirigent Christian Thielemann allerdings nur an der Salzach selbst dirigiert. Er macht sich in der kommenden Saison am Opernpult ziemlich rar, wird keine Neuproduktion leiten, widmet sich allerdings prachtvoll besetzten Wiederaufnahmen sowie einer Fortsetzung der Richard-Strauss-Tage. Über die weiteren Vorhaben von Thielemann (der beispielsweise ein Sonderkonzert mit der vor 100 Jahren uraufgeführten „Alpensinfonie“ in petto hat) und der Sächsischen Staatskapelle wird Musik in Dresden binnen Wochenfrist noch einmal separat berichten. Die von Ulrike Hessler vorsichtig auch wieder ins Barocke gelenkte Oper wartet nächstes Jahr mit österlichen Barock-Tagen auf, in denen zwei Händel-Opern aus dem Repertoire („Alcina“ und „Orlando“) sowie ein Barock-Rezital und ein von Reinhard Goebel geleitetes Kapellkonzert enthalten sind.
Im Reigen der zehn Premieren darf das Ballett selbstverständlich nicht fehlen. Der erst kürzlich in seinem Vertrag verlängerte Aaron S. Watkin erklärte stolz, in seiner zehnjährigen Amtszeit erstmals einen Plan für fünf Jahre vorlegen zu können. Zunächst kündigte er Produktionen wie Kenneth MacMillans „Manon“ sowie Alexander Ekmans „3 by Ekman“ in deren jeweils eigener Choreografie an. Der internationalen Identität des Ensembles sollen Reisen u.a. nach Belgrad, Paris und St. Petersburg dienlich sein. Und international sind teils auch die Wiederaufnahmen der Semperoper besetzt: Evelyn Herlitzius, Christa Mayer, Camilla Nylund, Nina Stemme und Anke Vondung sowie René Pape und noch einige weitere glanzvolle Namen versprechen ein spannendes Opernjahr. In dessen Buntheit passt freilich auch Anna Netrebkos Elsa-Debüt in der von Christian Thielemann geleiteten „Lohengrin“-Wiederaufnahme mit Piotr Beczala in der Titelpartie.
Die Stars kommen und gehen. Die schwierigen Zeiten verlangen nach Kraft, viel Arbeit und Weitblick. Jede weitere Spielzeit ohne künstlerische Leitung macht es der Semperoper nur schwerer.