Auch wenn es sich um eine Oper nach einem Trauerspiel von Friedrich Schiller handelt, wer kennt schon „Die Braut vom Messina“? Schillers Stück, 1803 in Weimar uraufgeführt, sein Versuch, in freier Erfindung, orientiert an der antiken Tragödie „Ödipus“ von Sophokles, bleibt dramaturgisch absichtsvoll, mehr als ein Gewebe von Zufälligkeiten, die man als Schicksal empfinden soll, ist es nicht. Wären da nicht die Chöre, ebenfalls dem antiken Drama nachempfunden, sie scheinen in ihrer Musikalität der Dichtung bereits die Opernhaftigkeit dieses Stückes zu betonen. Opern nach Schiller, ja von Verdi, als sichere Positionen der Spielpläne, allen voran „Don Carlo“, in letzter Zeit auch „I Masnadieri“ nach der jugendlichen, stürmischen und drängenden Räuberpistole, oder auch immer wieder „Luisa Miller“, nach „Kabale und Liebe“. Nicht zu vergessen Rossinis „Guillaume Tell“, auch wenn es hier nicht nur um Schillers Vorlage geht. Aber „Die Braut von Messina“, eine Oper, des tschechischen Komponisten Zdeněk Fibich, wer kennt dieses Werk schon, wer kennt den Komponisten, und warum kennt man bestenfalls Fibichs Namen und vielleicht noch sein schmiegsames Poem op. 41, in verschiedenen Varianten oder Bearbeitungen. Warum das so ist, werden sich sicher die Besucher der Magdeburger Premiere gefragt haben, denn man spürte es auf jeden Fall, von Fibichs Musik geht eine besondere Wirkung aus.
Eigentlich gehört Zdeněk Fibich, der von 1850 bis 1900 lebte, zu den bedeutenden Komponisten der Spätromantik in unserem Nachbarland. Aber aus den mächtigen Schatten seiner Kollegen Smetana und Dvorak konnte er nie heraustreten. Schade, denn Fibichs Erneuerung der Musik – sicher auch stark beeinflusst durch Richard Wagners Musikdramatik – öffnet sich weit den europäischen Einflüssen. In seinen Werken für das Musiktheater zeigen sich Ansätze der Moderne, man kann seine Art Sprache und musikalische Diktion zu verbinden ganz gewiss auch als Vorausahnung dessen hören, was Janacek dann in seinen Opern zur Vollendung bringen wird. Fibich beherrscht die Kunst der Orchestrierung, er verwendet Motive, die sich im Verlauf des Dramas ändern aber erkennbar bleiben, er kann klangliche Gegensätze schaffen, etwa im ersten Vorspiel mit einem harten Schicksalsmotiv in massiver Schichtung der Blechbläser im Gegenüber zu einer sehr zarten Melodik, die auf die tragische Unschuld eben jener Braut von Messina verweist. Aber weil Schillers Stück nicht zu seinen stärksten gehört kennt man bestenfalls Zitate ohne dramatischen Hintergrund: „Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb,…“ oder „Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld.“ Und darum geht es in Schillers Drama: Der Fürst von Messina ist gestorben, seine Söhne sind verfeindet, es droht ein Bürgerkrieg. Seine Witwe will sie versöhnen und ihnen mitteilen, dass sie eine Schwester haben, die auch nicht weiß dass sie Brüder hat. Nach antikem Vorbild gab es Prophezeiungen. Dass diese Tochter das Ende der Familie herbei führen würde träumte der Vater und wollte das Kind töten lassen. Dass sie die Brüder wieder vereinen würde träumte die Mutter, sie gab das Kind unerkannt in ein Kloster. Doppelte Tragik, beide Träume werden wahr, beides trifft ein, die Brüder verlieben sich in diese „Braut von Messina“, einer ersticht in wilder Eifersucht den anderen und nimmt sich selbst das Leben. Sie sind vereint, die Familie ist erloschen.
In der Oper, die sich – wenn auch stark verkürzt – an die Vorgaben der Handlung hält, sind die Chöre musikalisch beeindruckend und sie sind dramatisch motiviert jeweils als die Gefolgsleute der sich bekämpfenden Brüder eingesetzt. Bei Schiller spielt das Drama in einem nicht näher bezeichneten Mittelalter, Fibichs Oper wurde 1884 in Prag uraufgeführt, sie folgt seinen szenischen Vorgaben. In Magdeburg hat die Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz die erste deutsche Aufführung mit einem Bühnenbild von Marcel Keller inszeniert und versucht das Geschehen in eine unbestimmte Gegenwärtigkeit zu übertragen. Hier befindet sich Messina unter einer Militärdiktatur, ein Überwachungsstaat, dennoch ist scheinbar alles im Umbruch, darauf deutet das Bühnenbild, wenn es sich in bewusster Unfertigkeit dreht und somit auch die Technik des Theaters immer weder ins Bild bringt. Eine gewisse Rolle spielt auch ein goldener Vorhang, vor und hinter dem es zu absurd, poetischen Theaterszenen traumatischer Erinnerungen oder in totentanzähnlicher Manier kommt. Hier wird eine Traumpantomime des ermordeten Don Manuel in der Darstellung von Thomas Florio zum optischen Glücksfall der Aufführung, zugleich erweist sich diese szenische Lösung als gelungene Entsprechung zur Fibichs Trauermusik zu der eigentlich keine Handlung vorgesehen ist. Aber die Ideen anderer Bilder erschöpfen sich schnell, die bürgerkriegsähnliche Militanz hat keine Schärfe, zudem wirken Chorsänger mit Attrappen von Schnellfeuerwaffen weniger bedrohlich als eher lächerlich. Auch hatte die Regisseurin offensichtlich alle Kraft daran gesetzt die Auf- und Abgänge partiturgerecht zu organisieren und dann stehen die Solisten doch wieder an der Rampe, heben wechselweise den rechten oder den linken Arm.
Was dann aber gesanglich und musikalisch zu vernehmen ist lässt allen Unmut über szenische Unzulänglichkeiten in den Hintergrund treten. Besonders mit den drei Sängern in den Hauptrollen kann diese Aufführung punkten. Das ist gesanglich ergreifend, berührend und klanglich abgerundet: Lucia Cervoni als Witwe Donna Isabella mit dunklem Mezzosopran. Die verfeindeten Brüder sind mit jugendlichem Bariton Thomas Florio als Don Manuel und der tschechische Tenor Richard Samek als Cesar. Samek wird zurecht am Ende gefeiert, Dramatik, Temperament, Charakterisierung und eine üppige Freude an schönen Tönen zeichnen seine musikalische Leistung aus. Noa Danon in der Titelpartie hingegen kann mit ihren schrillen Höhen weniger überzeugen, aufhorchen aber lässt in einer kleineren Partie Martin-Jan Nijhof als Kajétan, ein Führer aus dem Gefolge des Don Manuel. Die von Martin Wagner einstudierten Chöre sind prächtig, zumeist vierstimmige Männerchöre, bei der Gefolgschaft Cesars mit tieferen Frauenstimmen vermischt, da bleiben keine Wünsche offen. Der aus Dresden stammende vormalige Chordirektor der Staatsoperette wurde gerade für seine besonderen Verdienste in Magdeburg geehrt. Bei der 20. Verleihung des Förderpreises für junge Künstler erhielt Martin Wagner den Ehrenpreis, ausgerichtet vom Förderverein des Theaters Magdeburg. Magdeburgs GMD Kimbo Ishi hat viel Gespür für die Facetten der Dramatik des Orchesterklanges im beständigen Wechsel von Vorandrängen und Innehalten. Mitunter allerdings verdeckt er die Gesangsstimmen. Den Mitgliedern der Magdeburgischen Philharmonie liegt der Klang dieser melodramatischen Spätromantik. Musikalisch ist diese Deutsche Erstaufführung eine Entdeckung, szenisch bringt viel Aufwand wenig Wirkung, Zdeněk Fibichs Werke werden dennoch kaum die künftigen Spielpläne bestimmen, der Mut der Magdeburger aber hat sich gelohnt.
Zdeněk Fibich: „Die Braut von Messina“ – Theater Magdeburg, weitere Aufführungen 28.3., 3.4., 10.4.
Fotos: Nilz Böhme