Die Fahrt nach Weimar hat sich gelohnt. Lange nicht mehr so gelacht im Theater, lange nicht mehr so viel Spaß gehabt, auch wenn ich den Anleitungen dieses „Kursus in zehn Abteilungen“ nicht nachkommen werde, dennoch ich habe das Theater reich beschenkt und glücklich verlassen, denn darum ging es ja, das Stück heißt nämlich „Wie werde ich reich und glücklich?“ Das ganze ist ein schräger Spaß, ganz hart am Puls der Zeit. Kaum zu glauben, die Uraufführung fand vor 85 Jahren, in Berlin, in der Komödie am Kurfürstendamm, statt und war 1930 ein ganz großer Erfolg für die bewährten Meister der Kabarett-Revue, den Komponisten Mischa Spoliansky und den Autor Felix Joachimson. Einer von etlichen Volltreffern für das erfolgreiche Team. Mitten in der Weltwirtschaftskrise, im gnadenlosen Konkurrenzkampf der freien Marktwirtschaft, da sieht man auf der Revuebühne, wie ein sympathischer junger Mann namens Kibis einfach nur mal macht, was ihm eine läppische Werbebroschüre verheißt, die er unter einem Wust von Mahnungen und Kündigungsdrohungen in der Post findet: „Wie werde ichreich und glücklich?“
Jetzt ist diese Revue am Deutschen Nationaltheater in Weimar herausgekommen, die Premiere war ein riesiger Erfolg, das Publikum war begeistert. Eigentlich ein ernstes Thema angesichts der Abstürze in der gegenwärtigen Freiheit der Marktwirtschaft und der Glücks- und Reichtumsverheißungen in den Medien. Warum kommt man offensichtlich mit Humor den todernsten Dingen des Lebens so treffend bei? Weil wir am Abend im Theater gerne über die Dinge lachen, die uns am Tage Angst machen, oder wie es der Theaterkritiker Georg Hänsel gesagt hat: In der Komödie darf man abends über die Fragen lachen, vor denen man tagsüber Angst hat. Und es wird herzhaft gelacht in der Weimarer Inszenierung dieser Revue von Christian Weise auf der Bühne von Martin Miotk mit den Schauspielern in den Kostümen von Andy Besuch, die zudem in der Choreografie von Alan Barnes auch noch flott tanzen.
Da ist dieser sympathische Schlags namens Kibis, der ist durchgefallen, an ihm und seiner Freundin Lis geht das Wirtschaftswunder vorbei, im freien Fall der Marktwirtschaft stürzt er tief. Die beiden haben nur sich und Kibis noch sein Grammophon mit ein paar Platten. Und da kommt ihm eben so eine Werbebroschüre in die Hände, eine Anleitung zum reich werden und glücklich sein dazu, das kennt man ja zur Genüge. Nur sagt Kibis sich, mal sehen ob das klappt und klaut einen schicken Anzug, denn Kleider machen Leute und die Fassade den Menschen. Er verkehrt gemäß Anleitung mit reichen Leuten, denn alles andere wäre verkehrt und heiratet sich „hoch“, er ehelicht im Dampftempo Marie, die Tochter eines Geheimrats, die aber – welch verkehrte Welt – an ihrem Reichtum leidet und das Glück vermisst. Natürlich klappt es nicht anleitungsgemäß reich zu werden und glücklich schon gar nicht. Entweder oder, reich oder glücklich, beides geht nicht so richtig. Aber der Weg zu dieser Einsicht ist ein Anlass für ein so schräges wie absurdes, komisches und immer wieder musikalisches, tänzerisch rasantes, was die Kostüme, Masken, Frisuren und Bilder angeht, fantasiereiches Theater. Skurriles Figurentheater, überschäumender Spaß, ungebremst in der Übertreibung, immer wieder Running-Gags bis es schmerzt. Hier kann man sich ins Fressen stürzen: belegte Brote haben die Ausmaße schwabbelnder Wasserbetten, den Schampus dazu kann man aus einem lebenden Kelch schlürfen und eine Schauspielerin wird zum lebenden Leuchtturm.
Und alles schwabbelt, die Requisiten aus Stoff, Briefe und Broschüren: läppische Lebenshilfen. Da braucht der Regisseur keine Videoinstallationen oder Bürgerchöre, die Anspielungen liegen in der Luft und sind sofort im Kopf. Da steht Menschen das Wasser bis zum Hals und sie singen, sie tanzen. Da ist das grandiose Bühnenbild, schräge Silhouetten einer expressionistisch, einstürzenden Großstadtlandschaft mit dem leuchtenden Wunschtraumbild so einer Art von himmlischem Jerusalem darüber. Alles unterm blutrot glühenden Mond.
Aus diesen Kulissen kommt die Musik, da sitzen die Musiker der 9-köpfigen Band, Dirk Sobe hat am Klavier die Leitung. Schräge Poesie, die nicht zuletzt von den grandiosen Schauspielerinnen und Schauspielern lebt und deren Lust an kunstvollen Faxen, womit sie auch immer wieder wett machen, dass es den Musikern mitunter noch an etwas Leichtigkeit fehlt. Sieben Schauspielerinnen und Schauspieler in gut 20 Rollen. Alle, bis auf die herrlich singende, spielende und tanzende Winnie Böwe als Marie haben mindestens zwei Gesichter bei rasanten Wechseln derselben. Weltmeister als Supertalent der Verwandlung ist Tobias Schormann in einer Vielzahl von Rollen bei blitzmäßiger Verwandlung, männlich, weiblich, irgendwie dazwischen und daneben. Uwe Schenker-Primus ist ein Hingucker als liebenswürdiger, dicker Typ, ein aufgeblasener Luftballon auf kurzen Beinen, Bernd Lange ist Geheimrat und Milchmann, Nora Quest sagt uns wo es lang geht, nimmt die seltsamsten Verwandlungen an: als himmlische Glücksfee mit Engelsflügeln, als Champagnerkelch auf Beinen oder als lebender Leuchtturm aus Westerland. Die kluge Lis der Simone Müller gibt nicht auf und hat am Ende ihren Kibis wieder. Der wird von Fridolin Sandmeyer gespielt, dieser langbeinige Schlags gibt seinem Affen Zucker, sprüht vor spielerischer, tänzerischer und musikalischer Energie, hat auch ganz feinsinnige Zwischentöne.
Mein Fazit: Hier wird man im Theater reich beschenkt und das macht glücklich. Selten so gelacht über so viel Unglück und doch auch ein wenig geschluckt: wenn da so ein skurriler „Möchtegerneadolf“ sich auf Westerland eine phallische Strandburg errichtet und auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar seine Hakenkreuze „noch“ in den Sand setzt. Oder doch, wie im Finale gesungen wird, „Es kommt wie es kommt, es kommt wie muss.“
„Wie werde ich reich und glücklich“ – Ein Kursus in zehn Abteilungen / Deutsches National-Theater Weimar, weitere Aufführungen 26.3., 6.4., 3.5.
Fotos: Luca Abbiento