Über die Dauer dieser Promi-Ehe wurde schon spekuliert, da war sie noch gar nicht geschlossen. Einfach ist es für die Staatskapelle deshalb in den letzten Monaten nicht gewesen – so unumwoben, wie Christian Thielemann aus Berlin angeflirtet wurde. So herrlich, wie die dortigen Konzerte auch für ihn immer gewesen sein müssen: zwei Wochen im Jahr reichten ihm in Berlin, wiegelte Thielemann letztes Jahr ab; und riet noch am Freitag allen Spekulanten: Mund zu! Genießen wir’s doch einfach, solange die Sache dauert. Heute nämlich dräut schon der nächste Höhepunkt der künstlerischen Zusammenarbeit. Vor der großen Opernpremiere der Osterfestspiele Salzburg hat Martin Morgenstern mit dem Dirigenten gesprochen.
Christian Thielemann, die Dresdner Morgenpost titelte vor Weihnachten mit Ihnen: „DRESDEN IST DER HÖHEPUNKT MEINER LAUFBAHN“. Im Interview mit Guido Glaner sprachen Sie dann vielsagend von Ihrer „bisherigen Laufbahn“. In diesen Wochen fragen sich viele, was da wohl noch kommt?
Vielsagend? Also, viele interessante Posten werden in den nächsten Monaten neu besetzt. Die New Yorker Philharmoniker suchen einen Nachfolger für Alan Gilbert. Riccardo Muti wird nicht mehr lange in Chicago bleiben. Die Metropolitan Opera wird irgendwann frei. Und, jaaa, natürlich, auch in Berlin ist ein Posten vakant. Ich lese ja auch die Zeitung.
Würde der Sie denn reizen?
Das Orchester müsste mich ja erst mal direkt anfragen: Wollen Sie bei uns? Bisher habe ich immer gesagt: Ich bin in Dresden über die Maßen glücklich mit der Staatskapelle. Es ist so anrührend, wie die Musiker spielen. Und die Situation ist zwischenmenschlich so schön, dass ich mir wirklich sehr überlegen würde, was ich mit irgendwelchen Angeboten mache. Aber natürlich kann es passieren, dass mal jemand anruft. Man weiß ja nie!
Ihr Dresdner Haus wird nach einer missglückten Berufung kommissarisch geführt. Mit welcher Intensität wird momentan nach einem Nachfolger für Ulrike Hessler gesucht?
Ich habe die neue Kunstministerin Eva-Maria Stange in der Sache bisher einmal getroffen. Wir haben uns gut verstanden. Ich bin mir sicher, dass wir einen guten Intendanten für die Oper finden werden. Wichtiger scheint mir momentan, die Nachfolge des Schauspielintendanten Wilfried Schulz zu regeln. Das Alltagsgeschäft der Oper wird verlässlich verwaltet.
Die Sächsische Staatskapelle agiert als Hausorchester unter ihrem Orchesterdirektor Jan Nast künstlerisch selbstbewusst. Würde es vielleicht ausreichen, einen Generalintendanten für die Sächsischen Staatstheater zu berufen, wie es in Dresden jahrzehntelang gut funktionierte?
Jan Nast fungiert als Orchesterintendant. Seit den siebziger Jahren will das Orchester ja in Dresden und auf Tourneen selbstbewusst zeigen, was es kann. Neben ihm bräuchte die Oper einen richtigen Operndirektor. Jemand, der mit den Musikern regelmäßig arbeitet und ein großes Opernrepertoire abdeckt, auch die Chefstücke übernimmt. Diese Position wollte ich gemeinsam mit Frau Hessler schon einmal einrichten. Obwohl ich nicht Generalmusikdirektor, sondern nur Chefdirigent bin, ist meine Dresdner Arbeit insgesamt sehr umfangreich. Wir dürfen uns in Salzburg bei den Opernfestspielen zeigen, ich studiere Opern ein… Das ist alles Zeit, die mir am Urlaub fehlt. Ein GMD alten Stils, der im Haus waltet und immer mal nach Wien oder Berlin fährt, das sehe ich in der jetzigen Situation als nicht lösbare Aufgabe.
Als Sie 2012 nach Dresden kamen, war von einer „Traumehe“ von Orchester und Dirigent die Rede. Werden Sie gemeinsam das verflixte siebente Jahr 2019 erreichen?
Na klar werden wir das erreichen! In den nächsten Wochen stehen in Dresden die Gespräche über meine Vertragsverlängerung an. Auch bei den Salzburger Osterfestspielen, mit Peter Ruzicka, werden die Dinge gut weitergehen.
Was nicht viele wissen: Ruzicka spielte zu Beginn Ihrer Dirigentenkarriere schon einmal eine wichtige Rolle…
Er ist auf jeden Fall derjenige, der mich aufs Wagner-Repertoire losgelassen hat. Ihm verdanke ich, dass ich in den frühen Jahren so viel Wagner dirigiert habe. Das war immer die Aufgabe der alten Kollegen gewesen…
Was planen Sie mit ihm für das Programm der Osterfestspiele, deren 2015er Jahrgang heute feierlich eröffnet wird?
Auf jeden Fall möchten wir zukünftig etwas Zeitgenössisches dabeihaben, möchten auch Dinge nachspielen. Wenn wir sehr gute Sängerinnen und Sänger dabeihaben, kommt das Publikum, auch wenn es nicht „leicht“ ist. Ruzicka hat halt einfach so viel Geschmack! Und tolle Ideen hat er. Dadurch, dass er selber Komponist ist, kann er mir manche Ratschläge geben, denen ich dann äußerst gern folge. So stellt man sich die ideale Zusammenarbeit zwischen Intendant und Dirigent, auch zwischen Dirigent und Komponist vor.
Haben Sie bei einer Komposition denn schon einmal vor Interpretationsfragen gestanden, wo die Staatskapelle deutlich anderer Auffassung war als Sie?
Eigentlich nicht. Gut, was ich vor meiner Dresdner Zeit nicht kannte, waren Max Reger, Ferruccio Busoni, so genannte „Novitäten von gestern.“ Und gerade vorhin habe ich einem Bratscher gesagt: Mensch, wie euer »Capriccio« sitzt! So ein ausgesprochen schweres Stück! Er hat lapidar geantwortet: Das haben wir doch seit der Premiere so oft gespielt… Es dürfte weltweit einmalig sein, dass ein Orchester dieses Werk so hinkriegt.
Haben Sie selbst bestimmte Abläufe, Regeln, beruhigende Rituale, damit ein Abend komplikationslos abschnurrt?
Ich ziehe mich immer zur selben Zeit an. Gehe immer frühzeitig zum Konzertsaal, vorher noch mal auf die Bühne. In Dresden muss das Messinggerüst des Dirigentenpodests noch mal abgerieben werden, der rote Teppich muss noch mal gesaugt werden, solche Dinge. Manche Musiker sind übrigens auch sehr früh da.
Die Musiker haben sich vor kurzem entschieden, die Probezeit eines Orchesteranwärters, den Sie gern in Dresden gehabt hätten, nicht zu verlängern. Ist Demokratie manchmal doch Mist?
Nee, das ist schon richtig so. Da beugt man sich als Chef dann doch. Die Entscheidung der Musiker ist in diesem Orchester aus Erfahrung gespeist. Dann muss es so sein, auch wenn es ein bisschen wehtut. Und ich glaube, es ist auch ganz gut, wenn „der Chef“ nicht alles weiß. Eine sehr wohltuende Sache ist das in Dresden: Es gibt keine Petzen, keine Zuträger.
„Man weiß ja nie!“
Der Orchestervorstand beklagte kürzlich öffentlich, dass es für die Staatskapelle kaum noch qualifizierten Nachwuchs gäbe. Man mag das kaum glauben, bei all den technisch perfekten Absolventen?
Das Besondere der Dresdner ist eben, dass sie sich über die ganzen Jahre einen einzigartigen Klang bewahrt haben. Wenn ein neuer Musiker hinzukommt, muss klar sein, das er auch mit an diesem Klangstrang zieht. Es muss passen! Sie können Leute eben nicht nur auswählen, weil sie technisch brillant sind. Ein Konzertmeister muss sowohl Solist sein als sich auch künstlerisch unterordnen können. Das ist wenigen gegeben.
Dresden hat sich als Kulturhauptstadt 2025 ins Gespräch gebracht. Wäre die Bewerbung aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Eigentlich ist der Titel gemacht für Städte, die nicht im Rampenlicht stehen. Dresden ist doch schwer im Rampenlicht! Aber es würde der Stadt gut tun, und ich bin voll dafür, dass man das angeht. Dann könnte man die Schätze der Stadt noch mehr ausstellen; es gibt immer noch zu viele Leute, die noch nie in Dresden waren.
Auch das Thema „Konzertsaal“ würde sich für die Staatskapelle dann vielleicht noch einmal neu stellen.
Das Orchester beklagt ja seit Längerem, dass erst die Generalprobe auf der Bühne der Semperoper stattfindet. Ich habe weitestgehend durchgesetzt, dass auch die anderen Proben dort stattfinden können. Bestimmte Dinge sind aber auch dort wahnsinnig kitzlig umzusetzen. Immerhin wird sich die akustische Situation bald ändern, da wir eine neue Konzertmuschel bekommen. Ansonsten stellt sich das Thema Konzertsaal momentan für uns nicht mehr.
Anderes Thema: Beim Thema „Musik und Politik“ wiegeln Sie gern ab: „C-Dur ist nicht politisch“, höre ich Sie sagen. Da fordern Sie nicht nur Dresdner zum Widerspruch. Prägt die Geschichte nicht den Dingen ihren Stempel auf? Ist beispielsweise nicht auch das Datum „13. Februar“ politisch?
Hm. Das ist ein allgemeines Datum. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde es gut, dass es in Dresden diese spezielle Erinnerungskultur gibt. Dass man von den Ereignissen nicht völlig unberührt bleibt, ist klar. Sie leben ja als Künstler nicht in einem Käfig auf dem Mars. Aber ich wüsste zum Beispiel nicht, dass etwa der späte Richard Strauss „politisch“ komponiert hätte. Seine Erlebnisse mögen eingewirkt haben, aber seine Inspiration kam woanders her. Strauss wurde angegangen, er schreibe so „schön“, in diesen Zeiten!, und da hat er entwaffnend gesagt: Gerade weil es so viel unangenehmes gibt, habe ich keine Lust, das in meiner Musik wiederzugeben. Es ist ein Fehler zu denken, man müsste auf alles immer gleich eine Antwort haben oder alles in Beziehung setzen. Gut, das ist Ihre Aufgabe als Musikwissenschaftler. Aber da geraten Sie auch irgendwann an Grenzen.
„Ich lese ja auch die Zeitung“
Bei den Osterfestspielen wird dieses Jahr auch Dmitri Schostakowitschs Zehnte Sinfonie erklingen. Wer ein Werk wie dieses nicht auch politisch und biografisch zu lesen versucht, wird sich die Musik kaum erschließen können – oder?
Da haben Sie Recht. Vielleicht ist das bei Prokofjew, bei Schostakowitsch, aber ein Sonderfall. Vom Zarenreich fiel Russland in die Revolution, in den Krieg, in die Diktatur… Und die Komponisten mittendrin. Auch das Violinkonzert von Schostakowitsch werden wir spielen. Es ist 1948 geschrieben… So ungewöhnlich, wie es anfängt, dieser langsame Satz, ist das nicht erstaunlich? Was mich fasziniert, ist diese Stimmung. Aber auch bei Schostakowitsch bleibt Es-Dur Es-Dur, tut mir leid. Ich würde mich immer vor Überinterpretationen hüten. Manchmal ist es gut, einen Gang runterzuschalten. Das merke ich auch beim Dirigieren. Ich lasse mich nicht mehr sofort total mitreißen, aber wenn’s soweit ist, darf es auch mal losgehen. Dann kann man sich nicht mehr zuviel Gedanken über C-Dur machen.
Anton Bruckners „Neunte“ haben Sie kürzlich in Abu Dhabi präsentiert. Als Sie dort gefragt wurden, wie diese erzkatholische Musik ins Morgenland passe, sagten Sie, Religion spiele bei dieser Musik eigentlich keine Rolle. Ist die Religion nicht der Urgrund der Musik des Abendlandes? Sollte man das nicht erklären, neugierig machen, Reibungspunkte suchen?
Natürlich! Aber die Musik wirkt, welcher Religion Sie auch immer sind. Den Glauben in der Musik zu finden – das klingt mir zu sehr nach Scharia. Bei Bruckner denke ich eher an weite Landschaften als an Gott. Wie die Welt wohl entstanden ist? Wie die Natur das gemacht hat?
Dann ende ich mal mit einer landschaftlich-epischen Frage. Ihre künstlerische Karriere dauert schon mehrere Jahrzehnte. Sie haben Karrierestufen erklommen, sich auch manches mal verkämpft… Sind für Sie noch Wünsche offen, musikalisch, und außerhalb der Musik?
Ich hatte schon oft im Leben das Gefühl, ich werde der Sache, wie ich sie mache, nicht gerecht. Meinen Dirigierstil habe ich mehrmals verändert; auch durch Bayreuth, durch die schiere Länge der Stücke muss man ökonomisch sein. Insgesamt bin ich mehr darauf aus, das Orchester mit kleineren Bewegungen viel konzentrierter spielen zu machen. Und es ist auch bei mir nicht alles so glatt gelaufen, wie man es liest. Meine Karriere ist auch von Niederlagen, von unangenehmen Momenten geprägt. Wenn man ein paar Jahre älter ist, verblasst das glücklicherweise allmählich. Bestimmte Situationen werde ich nie vergessen. Vielleicht würde ich heute manches diplomatischer angehen lassen. Aber es wäre ja blöd, das zwanzig Jahre nach dem Krach zu sagen. Ich bin der Typ, der ich bin. Und aus Niederlagen lerne ich mehr als aus den Erfolgen. Auch aus den ungerechtfertigten Niederlagen.
Für alle, die keine Karte für die heutige Premiere mehr ergattern konnten: am 6. April sendet das ZDF ab 23.15 Uhr einen Mitschnitt. Weiter Übertragungstermine hier.