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Heute wird das Ganze einfach durchgewunken

Es soll ja eigentlich gut sein, wenn man das Theater mit der Frage verlässt, was denn das bedeuten solle, was man da soeben erlebt hat. Nicht immer muss diese Frage im Unmut über das Gesehene gestellt werden. Im besten Falle führt sie dazu, sich das Ganze einfach noch einmal anzutun, sich klarer zu werden. Nach dem ersten Teil der aktuellen Premiere beim Dresdner Semperoper Ballett mit William Forsythes „Impressing the Czar“, 1988 in Frankfurt am Main uraufgeführt, hatten indes einige Besucher nicht mal mehr das Bedürfnis zu sehen, ob sich denn mit den später folgenden Teilen des Abends ihre Frage auch nur annähernd beantworten würde. Sie gingen.

Alle Fotos: Ian Whalen

Schade. Denn im zweiten Teil des in sich sehr widersprüchlichen Abends stellt sich die Frage nach Sinn oder Unsinn gar nicht mehr. Sie erledigt sich sofort angesichts der exzellenten tänzerischen Leistungen der sechs Tänzerinnen und der drei Tänzer. Hier ist Forsythe auf der Höhe seiner choreografischen Kunst – und die Dresdner Tänzerinnen und Tänzer geben gewissermaßen noch eins drauf, denn sie beherrschen sowohl den neoklassischen, an Balanchine geschulten Stil wie den Forsythes, der dessen leichtfüßig wirkende Technik der abstrakten Ästhetik durch raffinierte Brechungen ganz und gar nicht ad absurdum, sondern zu neuen Höhen führt. Perfektion und spielerische Lässigkeit müssen sich nicht widersprechen. Athletische Kraftsprünge der Herren und irrwitzige Spitzentanzvariationen der Tänzerinnen können jeweils wie im Blitzlicht einer heiteren Laune zu scheinbaren Bewegungen des alltäglichen Schlenderns werden.

Spätestens, wenn der Blick eines Tänzers in die Höhe geht, nimmt auch der Zuschauer wahr, dass da ganz oben ein Paar goldener Kirschen hängt; und wenn der atemberaubende Tanz weitergeht, scheinen die Tänzer davon beflügelt zu sein, da kommen wir auch noch hin, eben „In the Middle, Somewhat Elevated“.
Dieses Stück zu den krachigen, inzwischen doch ganz schön nervigen elektronischen Soundkaskaden von Thom Willems entstand schon 1987. Es kam an der Pariser Oper heraus, sollte eigentlich auch schon „Impressing the Czar“ heißen und den dortigen „Zaren“, also den Chef des Balletts, Rudolf Nurejew, beeindrucken. Für die Frankfurter Premiere hat dann Forsythe diesen Renner ein Jahr später wieder verwendet und weitere Teile hinzu kreiert. Nach einer weiteren Einstudierung durch das Royal Ballet von Flandern in Antwerpen kam das fünfteilige Stück jetzt in Dresden heraus.

Elena Vostrotina, Raphaël Coumes-Marquet

Zunächst „Potemkins Unterschrift“, zu den heiteren, dahineilenden Themen des fünften Satzes aus Beethovens Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll op. 113, verfremdet durch Hinzufügungen von Leslie Stuck und Thom Willems. Hier von einer Handlung im traditionellen Sinne zu sprechen, folgt schon den Vorstellungen von sogenannten „Potemkinschen Dörfern“. Da werden Kulissen aufgebaut, hinter denen sich Leere verbirgt. Hier galoppieren tänzerische Parforceritte durch die Geschichte dieser Kunst vom Barock bis in die Gegenwart, um immer wieder abgebrochen, ironisiert oder karikiert zu werden. Hier werden Pfeile abgeschossen, die gekonnt ihre Ziele verfehlen (immer wieder wird ein Bogen gespannt, allein der Pfeil fehlt). Herrscherthron und Schachspiel könnten zaristisch, höfisches Ambiente andeuten. Allein Helen Picket als in die Jahre gekommene Akteurin in der Uniform eines Schulmädchens nutzt dieses überkommene Requisit, um sich mit plappernden Kommentaren als Herrin im Chaos zu präsentieren, von dem einzig ein androgyner, jünglingshafter Tänzer, mal heiliger Sebastian, dann wieder eher Amor und ein wenig Apollon auch, gänzlich unberührt zu bleiben scheint. Julian Amir Lacey ist dieser schöne Typ im Röckchen namens Mr. Pnut. Er wird auch im weiteren Verlauf des Abends die Blicke auf sich ziehen. Kirschen sieht man immer wieder auf den Versatzstücken der potemkinschen Kulissen. Ein Paar in schwarz spielt hier noch eine besondere Rolle, bevor dann die goldenen Kirschen ganz hoch gehängt am schwarzen Bühnenhimmel glänzen. Mag ja sein, dass eine solche Revue der Absurditäten und der schrägen Typen vor fast 30 Jahren für die einen der Gipfel des modernen Tanzes war, für andere ein provozierendes Ärgernis, dass man sich darüber vor Lachen schüttelte oder kopfschüttelnd den Saal unter Protest verließ. Heute wird das Ganze einfach durchgewunken.

Teil drei des Abends ist von ähnlicher Art, „La Maison de Mezzo-Prezzo“, eine Auktion, Ausverkauf von Kunst und Kultur. Nur: die Witze der hammerschwingenden Versteigerungszarin namens Agnes zünden nicht so recht. Was 1988 noch als Schreckensvision gewirkt haben mag, schreckt nicht mehr auf, auch wenn einige Extempores auf Dresdner Kunstwerke anspielen. Namen und Agenturen bestimmen die Marktwerte, auch der Choreografen, Dirigenten oder Intendanten… Aber so viel Witz blitzt hier nicht auf. Dieses historische Zwischenspiel im choreografischen Kosmos des William Forsythe hat einen Vorteil: es ist kurz.

Knackig wird es dann im Finale. Beethovens Kinderliedmotiv vom Beginn bietet Thom Willems noch einmal Anlass, alles elektronisch zu verstampfen. Dazu wirbelt eine wilde Horde von über 40 Tänzerinnen und Tänzern in schwarz-weißen Schulmädchenuniformen mit schwarzen Perücken furios wie zügellose Furien in einer bacchantischen Revue variierender Wiederholungen über die Bühne; angeführt von drei Chanteurs um den unbesiegbaren Mr. Pnut, der als Faun erlegt wird und als trötendes Kind wieder aufersteht. Ein bisschen Punk, ein bisschen Pogo, vor allem aber ungezügelte Lust an der Bewegung, am Tanz. Der Spaß kommt nicht zu kurz. Jetzt wackelt nicht der Zeigefinger der Konzepte und Recherchen des modernen Tanztheaters, jetzt wackeln die Hintern!

Das Publikum jubelte, der Beifall dröhnte, da wackelten die Wände des ehrwürdigen Opernhauses wie lange nicht mehr. Und Mister Forsythe zeigt sich erfreut lächelnd zum tosenden Schlussapplaus. So toll getanzt dürfte er seine Kreationen lange nicht erlebt haben.

Nächste Vorstellungen: 27., 28. Mai., 5., 8. Juni, 5. Juli, 9., 11., 17. September 2015

 

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