Warum mich die Neugier nach Frankfurt trieb und ich eine Aufführung sah, die ich in wenigen Tagen in Dresden auch sehen kann? Ich wollte dabei sein. Ich wollte es erleben, wenn die neu gegründete Dresden Frankfurt Dance Company ihre ersten Schritte macht, in Frankfurt, im Bockenheimer Depot, wo eben die Forsythe Company zu Hause war, was so in Dresden wohl nie ganz geklappt hat.
Nicht noch einmal das Für und Wider, die Spekulationen darüber, warum der Meister müde geworden war, jedenfalls im Hinblick auf die Arbeit mit der nach ihm benannten und von Frankfurt und Dresden, samt entsprechenden Bundesländern gut geförderten Company, und in dem Augenblick, als die weitere Finanzierung bis 2018 beschlossene Sache war, Jacopo Godani als möglichen Nachfolger präsentierte. „Forsythe Company“, das ist jetzt ein juristischer Begriff. Und ein abgeschlossenes Kapitel.
Am ersten Oktober stellte sich erstmals die Dresden Frankfurt Dance Company vor. Die Spannung im ausverkauften Bockenheimer Depot war spürbar. Das gilt für das Publikum wie für alle Verantwortlichen, vor allem für Godani, seine Tänzerinnen und Tänzer. „The Primate Trilogy“ heißt die erste Produktion dieser komplett neu besetzten Company .
Für mich wird an diesem Abend Frankfurt sehr schnell klar: Forsythe bleibt Forsythe, Godani wird Godani. Und das ist gut so! Und es ist auch gut, dass Godani mit dieser in technischer Hinsicht glänzend aufgestellten Company sein Ding macht. Das ist keine neue Forsythe Company, obwohl nicht zu übersehen ist, dass Godani sehr viel vom Meister gelernt hat. In dessen Company hat er fast zehn Jahre getanzt, bevor er sich als Choreograf auf den Weg machte. Dass er mit seinen 15 Tänzerinnen und Tänzern, darunter ein Praktikant der Dresdner Palucca Hochschule für Tanz, auf dem Weg ist spürt man an diesem Abend deutlich. Vor allem aber auch, dass es spannend sein könnte, diesen Weg mitzugehen. Godani geht auf das Publikum zu, und dabei scheut er sich nicht auch einige Schritte zurück zu gehen, aufzunehmen, was er aus seinen eigenen Tanzerfahrungen mitgenommen hat und was er jetzt in bisweilen recht eigenständigen Variationen seinen Tänzerinnen und Tänzern mit auf den Weg gibt.
Hier könnte etwas im Entstehen sein. Dazu gehört das Experiment ebenso wie die Besinnung auf das sichere Repertoire neoklassischer Formen und das erneute Ausreizen längst nicht überholter Formen, wie etwa dem Spitzentanz und den Versuchen, diesen als eine von vielen Varianten zeitgenössischer Erforschung tänzerischer Ausdrucksmöglichkeiten zu integrieren. In der Art und Weise, wie dann im Verlauf von gut 70 Minuten die Rückbesinnung und die Momente des Aufbruchs korrespondieren, auch unvermittelt nebeneinander stehen, gelingen sowohl spannende als auch verblüffende Passagen. Konstruktive Verunsicherungen gehören dazu.
Es werden viele Varianten tänzerischer, räumlicher und durch das Licht bestimmter optischer Korrespondenzen angeboten. Da sind immer wieder kurze Soli, etliche Duette, die am stärksten an Forsythes Neuerungen erinnern. Dann sieht man auch immer wieder die ganze Gruppe in suchenden Bildern der Bewegungen. Dann kommen die Tänzerinnen und Tänzer zusammen, geben einander den Schutz der Gruppe, um knapp darauf wieder in neuen Formationen neue Wege zu erkunden. Geschichten im traditionellen Sinne werden nicht erzählt, wohl aber assoziative Angebote gemacht, diese Erkundungen auf zu erinnernde Lebensbereiche und Erfahrungen des Alltags zu beziehen. Mitunter hat man den Eindruck, man erlebe wie von Blitzlichtern erhellte Momente, Andeutungen, Anregungen, um gleich darauf im grundsätzlich leicht diffusen Licht die große Gruppe wahrzunehmen. Wie sich diese in Vereinzelungen auflöst, wieder zusammenfindet und dennoch kein Ende des Suchens in Sicht ist. Wie da ein Tänzer scheinbar den Raum verlässt, um sofort zurückzukehren, den Versuch unternimmt, sich zu den anderen erneut in eine Beziehung zu begeben, um dennoch das Geschehen wieder zu verlassen, und kurz darauf zurück zu kehren… Das sind Momente der Brüchigkeit. Hier sollen in dieser ersten Arbeit der Dresden Frankfurt Dance Company durch Jacopo Godani keine abschließenden Ausrufezeichen gesetzt werden. Hier bekennen sich eine Company und ihr künstlerischer Leiter zu den Zeichen der Verunsicherungen.
Verstärkt werden diese mitunter dadurch, dass die technischen Möglichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer noch nicht in gleichem Maße mit deren jeweiliger körperlicher Präsenz und individueller Ausstrahlung einhergehen. Auch hier: man ist auf dem Weg. Die Kostüme, für die ebenso wie für das Licht und den Raum Jacopo Godani verantwortlich ist, machen zunächst in ihrer Durchsichtigkeit die Körper schutzlos. Sie verhüllen dann stärker die Haut als Sinnbild der Verletzlichkeit, um am Ende optisch eine Vision menschlicher Gleichberechtigung anzudeuten.
Der elektronische Sound von Ulrich Müller und Siegfried Rössert, „48nord“, vermag nicht durchgehend zu überzeugen, am wenigsten immer dann, wenn er zu stark Thrillerspannung a la Hollywood zu suggerieren scheint.
Der Anfang ist gemacht, die ersten Eindrücke begründen Hoffnungen auf die weitere Entwicklung dieser Company. Interessant könnte es auch werden, wenn Godani in der nächsten Saison eigene Arbeiten mit Kreationen von Forsythe in Beziehung setzt.
Am 22. Oktober wird „The Primate Trilogy“ erstmals im Festspielhaus Hellerau erleben sein.