Schenkelklopfen in der Oper? Warum denn nicht? Gerade in Zeiten, da der montägliche Blick auf den Theaterplatz eher Wuttränchen spritzen lässt. Gut, dass hier manche Wortbeiträge vom Herbstwind verweht werden; sie wären besser nie ausgesprochen worden.
Im neuen „Wildschütz“ von Albert Lortzing allerdings sind Volkes Wort und Gesang bestens verständlich; es hätte der Übertitelung gar nicht bedurft. Musikalisch ist diese Spieloper bestens einstudiert worden, die Staatskapelle durfte unter Gastdirigent Alfred Eschwé beweisen, was wirklich in diesem Lortzing steckt (entgegen mancherlei Vorurteile nämlich doch eine charaktervoll reiche, fein arrangierte Melodik mit Themenfülle und zahlreichen Möglichkeiten zur Differenzierung), der Staatsopernchor sowie Mitglieder des Kinderchores wiederum zeigten sich sanges- und spielfreudig, die Solisten waren allesamt nah an der Perfektion und ließen vokal kaum etwas zu wünschen übrig.
Regisseur Jens-Daniel Herzog hat im Haus auf ganz anderem, auf wesentlich höherem Niveau für Lacher und Unterhaltung gesorgt, als es jeder abendländisch Erregte davor zu leisten vermöchte. Er hat die auf ein Lustspiel von August von Kotzebue zurückgehende Vorlage ernst genommen und sie mit offensichtlicher Lust entstaubt und dennoch überaus heiter auf die Bühne gesetzt. Derb lustvolles Herangehen schließt das nicht aus, und so ist ihm in der Ausstattung von Mathis Neidhardt (Bühnenbild) und Sibylle Gädeke (Kostüme) ein echter Schenkelklopfer mit reichlich Augenzwinkern gelungen. Das Premierenpublikum zeigte sich amüsiert und spendete heftigen Zwischen- sowie mächtigen Schlussapplaus.
Die Geschichte vom tumben Dorfschullehrer, der für die generationsübergreifende Hochzeit mit seiner einstigen Schülerin einen gräflichen Rehbock erlegt hat und dafür mit dem Verlust seines Postens bestraft wird, die kann kaum aufpoliert werden und bleibt, was sie ist – ziemlich plump. Doch ihre Wiedergabe mitsamt allen Verstrickungen zwischen den Geschlechtern am Hofe und in der Schule, die gelang hier endlich mal ziemlich frisch. Und musste dafür keineswegs krummgebogen oder gar modernistisch begradigt, sondern einfach nur mit etwas Schalk und durchgehender Spielfreude von Stapel gelassen beziehungsweise auf die Bretter gesetzt werden. Eingesetzt wurden dafür Äußerlichkeiten wie Schmollmünder und Oberweiten, Augenrollen und begehrliche Blicke, ohne jedoch das riskante Grenzgebiet der Geschmacklosigkeit ganz zu verlassen. Insofern war es nur konsequent, dass hier vieles an Inhalt überzeichnet wurde, dass verbale Entgleisungen von Slapsticks im Spiel begleitet worden sind und die Wucht der Schwerenöt(ig)er auch mal auf seelenvolle Leichtigkeit getroffen ist. Verwechselungen und Intrigen ohne Zahl, stets aus der Lust der Lenden gespeist und mit der „Stimme der Natur“ entschuldigt.
Ja, wer mochte bei einem erwachenden Gretchen à la Carolina Ullrich nicht der väter- oder gar großväterliche Schullehrer sein, den Georg Zeppenfeld so grandios geradeaus gab, als hätte es hier gar keine Intrige, geschweige denn eine Komödie gegeben? Wer wiederum würde nicht auf Sophokles abfahren, wäre er einer vom griechischen Tragöden besessenen Gräfin begegnet, die Sabine Brohm bis in die Fingerspitzen so grandios überzeichnete? Und wer würde nicht ihrem Gatten Graf von Eberbach ebenso entfliehen wollen wie dem nicht minder libidinösen Baron Kronthal? Bariton Detlef Roth und Tenor Steve Davislim ließen sich nichts entgehen, was irgend nach Rock roch, sie schenkten sich nichts im geilen Wettstreit um den als vermeintliche Lehrerbraut Gretchen auftretenden Studenten, der in Wahrheit nichts anderes war als die Grafenschwester und Baronin Freimann. Emily Dorn becircte in dieser Doppel- und Dreifachrolle sehr schön, sehr stimmschön und auch sehr spielschön.
Man mag diese Oper als Klamotte abtun, man mag in ihr einen Zwitter erkennen, der noch nicht die durchkomponierte Wagneriade und nicht mehr so ganz den Mozart-Genius enthält; wenn sie aber so überzeugend musikalisiert wird wie hier und derart reizvoll inszeniert ist wie bei Jens-Daniel Herzog, dann hat auch ein Lortzing die Chance, im Heute anzukommen, ohne seine Herkunft verleugnen zu müssen. Beinahe ist der Lehrer Baculus als Zeitbild zu sehen: der nämlich doch keinen gräflichen Bock für sein Fest geschossen, sondern versehentlich den eigenen Esel erlegt hat.