Amerikanische Oper ist außer Gershwins »Porgy and Bess« kaum bekannt. Mit John Harbisons »The Great Gatsby« wird es nun – nachdem man bisher vor allem das Musical als amerikanisch erlebte – anders. Die Aufführung in der Dresdner Semperoper war ein Ereignis, eins, das tief beeindruckte.
Die Musik des amerikanischen Komponisten offenbarte sich als professionell, meisterhaft gearbeitet, zeigte die Vielseitigkeit heutiger Musik, nicht so sehr die eines Schönberg und Folgen, sondern eine die die ganze Palette moderner Klangfarben von Jazz, Blues, Tango und Charleston bis zu sinfonischer Gestaltung aus dem Geiste Puccinis und Richard Strauss’ »Rosenkavalier« einbezieht. Dies Material eignete sich treffend für die Geschichte des Großen Gatsby, der sich vom jungen unbedarften Gatz emporarbeitete zum Lebemann und Millionär Gatsby. Aber seine Liebe zu Daisy, die ihn einst trug, bleibt am Ende unerfüllt. Das grüne Licht, das so Hoffnung versprechend vom „anderen Ufer der Bucht“ herüberleuchtete? Zukunftslos.
Der Komponist John Harbison verfasste selbst das Libretto, das sich des berühmten, 1925 erschienenen, eine ganze Generation von Hemingway bis Remarque prägenden Roman »The Great Gatsby« von Francis Scott Fitzgerald annahm, einem Symbolwerk der Lost Generation nach dem Ersten Weltkrieg. 1973 verfilmt und in den 1990er Jahren von Harbison im Auftrag der New Yorker Met als Oper gefasst (Uraufführung 1999), zeigte es auch heute noch immer treffend die gesellschaftlichen Zustände der amerikanischen Mittelschicht, wie sie auch in den Romanen von John Updike geschildert sind.
Der englische Regisseur Keith Warner, der schon mit seinem Bayreuther »Lohengrin« Aufsehen erregte, stellte das Werk nun erstmalig für Europa in Dresden auf die Bühne. Mit seinem im Vorjahr verstorbenen Bühnenbildner Johan Engels schuf er eine szenische Welt, die mit großen Tischen, Stühlen, Sofas die höhere Stellung, die upper class symbolisiert, die untere Klasse mit Stahlgerüsten, einer tristen Tankstelle und qualmender Industrie im Hintergrund. All das wird zur Schaubühne, die die echten oder gespielten Leidenschaften der Menschen offenbart.
Ein Beobachter (Nick Carraway, mit dem Bariton John Cest besetzt) notiert alles, ist Aufzeichner, aber auch Mitspieler jener Ereignisse um Liebe, Ehe, Seitensprünge und äußeren Schein. All das wird von stimmlich durchweg hervorragenden Sängern, die sich hier auch als Darsteller bewähren, vorgeführt.
Das künstlerische Niveau vom Bild bis zur musikalischen Gestaltung durch Wayne Marshall und die Dresdner Staatskapelle ist frappierend, wenn auch zuweilen die Stimmen im Orchesterklang untergehen und man nur am Text über der Szene dem Verlauf folgen konnte. Der Staatsoperchor, in bester Form, unterstreicht die Volks- und Gesellschaftsszenen. Tänzer dazwischen lockern auf und schaffen ein Bild der amerikanischen Gesellschaft, die ja im Zentrum dieser Oper steht und vor allem auch in der faszinierenden Inszenierung Keith Warners sichtbar auflebt. Wenn die Besucher der Premiere noch relativ zurückhaltend applaudierten, werden die weiteren Aufführungen ihr dankbares Publikum finden.
Friedbert Streller