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Chaos, Krisen, Chancen

Fotos: Nik Schölzel
Fotos: Nik Schölzel

Wer kennt den Chaoten, das verkannte Genie der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts, den Dichter des „Sturm und Drang“ Jacob Michael Reinhold Lenz, der von Goethe in Weimar verleugnet wird, obwohl er ihn schon aus der Straßburger Zeit kannte, ihn aber jetzt der Stadt verwies? – Die Oper des 20. Jahrhunderts erkannte in ihm 200 Jahre später ein Symbolbild eigener Befindlichkeiten. Bernd Alois Zimmermann nahm »Die Soldaten« auf; die Dresdner Oper inszenierte das Stück vor Jahren. Lenz selbst wurde von Wolfgang Rihm nach der Novelle von Büchner zum Opernhelden, und für Friedrich Goldmann wurde das Stück »Der Engländer« in den siebziger Jahren interessant. 1977 gab es die Uraufführung von »Hot oder Die Hitze« im Apollosaal der Berliner Lindenoper. Peter Konwitschny akzentuierte die Tragik des Revoluzzers, der an die Grenzen des Eng-Landes stößt.

Goldmann, der aus dem Kreuzchor hervorgegangene Student der Dresdner Musikhochschule, spürte nach schwierigen Ansätzen selbst die Enge eines Komponisten in der DDR. Immerhin gelang dem Akademieschüler von Rudolf Wagner-Régeny eine Aufführung der Hot-Oper in Berlin und später auch in Dresdens Kleiner Szene 1986.
Nun nahm sich Manfred Weiß mit dem Ensemble der Jungen Szene dieses Werkes in Semper 2 an. Daraus ein Stück zu machen, das das Eng-Land DDR sichtbar macht, war nur gering zu sehen im stilsicher und farbenreich gehandhabten Bühnenbild und der Kostümierung von Timo Dentler und Okarina Peter mit Plattenbauten und einigen Designs des militant Bürokratischen. Aber der Grundlinie des Werkes, die Entwicklung im Hemmen oder Voranbringen eines jungen Menschen unter dem Druck eines übermächtigen Vaters, ob nun bei Goethe oder in einer etablierten Staatsmacht, bleibt im Vordergrund: das Chaos einer unbewältigten Persönlichkeit, deren unausbleibliche Lebenskrisen bis zur hitzigen Selbstaufgabe und dem visionären Mädchenbild einer „Prinzessin“ als Chance eines möglichen Happyends durchlebt der junge Robert Hot. Mit Martin Koch findet er eine überzeugende, ausdrucksgeladene Darstellung. Die aus einer Vision hervorwachsende Prinzessin aus dem Aus-Land (mit der Britin Menna Cazel vorzüglich besetzt ) leitet, tröstet, entführt ihn auch gegen Ende aus der Welt des eng-ländischen, übergewaltigen Vaters, Lord Hot, der mit Robert Lobert tatsächlich eine mächtige Persönlichkeit erhält und mit dessem profunden Bass dieses Bild fundiert.

Der flüchtige Sohn desertiert und wird verhaftet. Durch den Einspruch seines Vaters erhält er die „Freiheit“, mit dem Versprechen, ins Eng-Land zurückzukehren. Die aber will er nicht haben. Er simuliert einen Selbstmord. Der Arzt bestätigt. Der Vater trauert. Die Prinzessin erweckt ihn zur Flucht in die wahre Freiheit. Hot verlässt jenen „Spiegel-Saal“, der nur wahnsinnig machen kann. Das ist ein faszinierender Bühneneffekt, der dem Anliegen in aller beschränkenden Deutlichkeit entgegenkommt, so dass die vom Komponisten und seinem Librettisten Thomas Körner nach Lenz’ überlieferten Geschichte einen wahrhaft treffenden Charakter einer „opernfantasie in über einhundert dramatischen komischen fantastischen posen“ gibt.

Dass das Ganze seine Wirkung erfahren konnte, war der Musik zu verdanken. Zwar „nur“ mit einem Bläserquintett sowie einem Kontrabass und einer klanglich variabel eingesetzten E-Orgel besetzt (wobei die Spieler jeweils noch Schlagwerke und Maultrommeln zu bedienen haben) entstand unter der überlegen engagierten Leitung von Max Renne eine geschlossene Gestaltung. Das „Orchester“ war durchsichtig gehalten, mehr solistisch als orchestral genutzt, kommentierte mehr, als dass es die Sänger trug. Diese hatten mehr frei gehaltene Soli und Duette ohne Klanguntergrund, in denen sie die sanglich gehaltenen Stimmen gestalteten, was der ehemalige Kruzianer aus Mauersbergers Zeiten bestens zu erfassen vermochte. Eine äußerst bemerkenswerte Aufführung kam so zustande, die zu bewegen verstand, zum Miterleben motivierte und nachdenklich machte, bestehende Verhältnisse aus der Sicht des erwachsen werdenden jungen Menschen zu sehen. Probleme mit der Erziehung von Pubertierenden? – Mehr eine Gesellschaftsanalyse über die Zeiten hinweg!

Friedbert Streller

Nächste Vorstellungen: 20. Dezember 2015, 12., 14., 17. Januar 2016

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